Leben »WIR BRAUCHEN LEUTE, DIE ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN« VON INTUITION, ERFAHRUNG, ALGORITHMEN UND ANGST, SOWIE VON DER GRÖSSE, FEHLER EINZUGESTEHEN – VIER AUSSERGEWÖHNLICHE PERS- PEKTIVEN AUF DAS THEMA »ENTSCHEIDUNGSFINDUNG UNTER DRUCK« 18 www.erfolg-magazin.de . <strong>Ausgabe</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong> . ERFOLG magazin
Leben Bilder: IMAGO / PA Images / Geisser Was haben die WM- Schiedsrichterlegende Urs Meier, ein ehemaliger Fremdenlegionär, eine Notärztin in der alpinen Luftrettung sowie ein Schweizer Multipreneur gemeinsam? Ihre Berufe erfordern es, dass sie unter enormem Zeitdruck in hoch komplexen Situationen mit vielen Unsicherheiten Entscheidungen von oft eklatanter Reichweite treffen. Wie gelingt es ihnen dabei, unter solch widrigen Voraussetzungen die »richtigen« Entscheidungen zu treffen, nicht von Angst geleitet zu werden und das situativ bestmögliche Ergebnis klar im Fokus zu behalten? Wie gehen sie mit möglichen Fehlern um? Exklusiv haben wir mit Urs Meier, Fred H. (Name v. d. Red. geändert), Dr. Nicole W. und Marco Corvi gesprochen und dabei tiefe Einblicke in vier sehr unterschiedliche und dennoch erstaunlich vergleichbare Welten der Entscheidungsfindung erhalten. 883 Spiele hat Urs Meier geleitet, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Bundesliga, Champions League – unbestritten gehört er zu den großen FIFA- Schiedsrichtern der Welt. Er weiß, was es bedeutet, sich im Bruchteil einer Sekunde unter enormem Stress entscheiden zu müssen, aus einer bestimmten Perspektive auf dem Spielfeld heraus, ohne je den gesamten Überblick zu haben, körperlich am Ende seiner Kräfte, mit 80.000 Zuschauern im Stadion und Millionen weltweiter Fans vor den Fernsehern, Gefahr laufend, die halbe Fußballwelt gegen sich aufzubringen. »Aber im Fußball musst du entscheiden. Blitzschnell. Und es gibt nur Einhundert-Prozent-Entscheidungen. Entweder ist es ein Tor oder nicht, dazwischen gibt es nichts.« Für Angst und Zögern ist kein Raum, denn Angst stellt den größten Hemmschuh dar, egal in welcher Lebenssituation. »Neben dem, was ich von meinem Standpunkt aus sehen konnte, habe ich mich bei meinen Entscheidungen oft auf meine Intuition verlassen. Ich habe gespürt, wenn etwas nicht richtig war und mir mein Bauch sagte: Hier stimmt etwas nicht. Die Intuition ist immer schneller als der Kopf und es wäre fatal, Jahrzehnte der Erfahrung brachliegen zu lassen und dem Bauch nicht zu vertrauen.« Es gehören Mut und Selbstvertrauen dazu, sich dieser Gefühle klar zu werden und sie bewusst einzusetzen. Laut Urs Meier nutzen Manager viel zu selten ihre Intuition, sondern verlangen oft Unmengen an Fakten, um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen, das habe mit Angst zu tun. Doch letzten Endes beruhe die Intuition oder das Bauchgefühl nicht auf »Unerfahrenheit oder Leichtsinn«, sondern auf Jahren an Erfahrung und sei als »bedeutende Komponente der Entscheidungsfindung wissenschaftlich eindeutig nachgewiesen«. Erfahrung bildet somit für den Menschen die Grundlage sicherer Entscheidungen und »als Schiedsrichter ist meine Intuition ein enorm wichtiges Arbeitsmittel«. Schon als Kind schlägt Urs Herz leidenschaftlich für Gerechtigkeit – er ist von jeher ein entscheidungsfreudiger Mensch, der sich mit großem Mut und ohne Angst vor Konsequenzen für das einsetzt, was er als »richtig« und »rechtens« empfindet. Doch gerade als Schiedsrichter war auch er vor Fehlentscheidungen nicht gefeit. »Egal, wie gut man vorbereitet ist und wie sehr man sich bemüht, es kommt zu Fehlern oder zu ungünstigen Situationen, in denen man mit seiner Entscheidung einfach daneben liegt«. Weder im Fußball noch im privaten oder Geschäftsleben gibt es eine hundertprozentige Garantie für richtiges Entscheiden. »Fehler gehören einfach dazu, sie sind Teil des Lebens, Teil des Sammelns an Erfahrung.« Aber wie gehen wir damit um, wenn uns ein Fehler passiert? »Ich habe für mich erkannt, dass es unabdingbar ist, nach einem Fehler sofort klar Schiff zu machen, zu meiner Fehlentscheidung zu stehen und mich aufrichtig zu entschuldigen.« Doch viele Menschen haben Angst davor, genau dies zu tun, aus Angst, etwas zu verlieren, sei es den Job, die Position oder das Ansehen. »Gerade in der Führung haben viele das Gefühl, dass ihre Reputation leidet, wenn sie einen Fehler eingestehen, aber das stimmt eben nicht. Ganz im Gegenteil. Offene Kommunikation, aufrichtiges Entschuldigen und das Korrigieren von falschen Abzweigungen geben Vertrauen.« »Wir brauchen Leute, die Entscheidungen treffen« – besonders im Management und der Politik sei dies elementar wichtig. Denn »kein Entscheid ist auch ein Entscheid« und das Ausbleiben einer Entscheidung hat oft deutlich größere Folgen, als oft vermutet wird. »Natürlich muss ein Chef auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Aber wenn er den sprichwörtlichen faulen »Neben dem, was ich von meinem Standpunkt aus sehen konnte, habe ich mich bei meinen Entscheidungen oft auf meine Intuition verlassen.« – Urs Meier ERFOLG magazin . <strong>Ausgabe</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong> . www.erfolg-magazin.de 19