Die Zeitschrift "monat" Ausgabe 4/2022
Inklusions-Demo
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Die Zeitschrift
monat
Ausgabe 4/2022
Inklusions-Demo
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editorial
Liebe Leser*innen,
Der Österreichische Behindertenrat blickt auf
einen heißen Herbst zurück.
Den Auftakt machten die österreichweiten Inklusions-Demonstrationen
und -Mahnwachen
am 28. September 2022, an denen sich tausende
Menschen beteiligten.
Auslöser für die öffentlichkeitswirksame Protestaktion
war die unzureichende Erabeitung des
Nationalen Aktionsplans Behinderung 2022 –
2030. Denn obwohl Österreich bereits im Jahr
2008 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat, verbesserten
sich die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen seitdem nicht
wesentlich. (Lesen Sie mehr darüber ab Seite 14.)
Foto: Lukas Ilgner
Diesen Missstand griffen die wichtigsten Zeitungen, Fernsehanstalten und Online-Medien
des Landes auf. Sie berichteten in etlichen Beiträgen darüber, dass
tausende Menschen mit Behinderungen in ganz Österreich ihren Protest auf die
Straßen bringen, um ihren Unmut zu zeigen.
Die Übergabe des Menschenrechts-Forderungspakets an Vetreter*innen der
Regierungsparteien am 2. Dezember, an der trotz Schneeregen zahlreiche Mitstreiter*innen
und Wegbegleiter*innen teilnahmen, wurde ebenso medial breit
aufgegriffen. (Lesen Sie mehr darüber auf Seite 18.)
So durfte ich in insgesamt fünf Zeit im Bild-Beiträgen innerhalb nur einer Woche
behindertenpolitische Anliegen und Versäumnisse ins Blickfeld der Öffentlichkeit
rücken.
Am 6. Dezember konnte ich mit Sozialminister Johannes Rauch und ÖVP-Klubobmann
und -Sozialsprecher August Wöginger bei einer Pressekonferenz im
Sozialministerium einen ersten Meilenstein in Richtung Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
vorstellen: Das Pilotprojekt zur Persönlichen Assistenz
in den Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg. (Seiten 16 und 17)
Ein Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 16. Dezember
in der Wiener Hofburg war ebenso sehr konstruktiv.
Am 18. Dezember folgte schließlich ein Lichtermeer auf der Wiener Ringstraße,
mit dem ein sichtbares Zeichen für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen
gesetzt wurde.
Dass Menschen mit Behinderungen in letzter Zeit so sichtbar sind sowie zahlreiche
Gespräche mit führenden Politiker*innen erzeugen immensen Druck in
Richtung der Umsetzung unserer Anliegen.
Die politischen Verantwortungsträger*innen werden sich dem Druck seitens
des Österreichischen Behindertenrates nicht mehr entziehen können. Es ist
nun – 14 Jahre nach Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen – an der Zeit, diese verbrieften Rechte ernsthaft
und nachhaltig umzusetzen. •
Mit den besten Wünschen
Ihr Klaus Widl
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Aus dem Inhalt
Ausgabe 4/2022
Neuer Präsident 6
Neue Geschäftsführerin 7
Dr. Hansjörg Hofer verstorben 8
Menschen mit Behinderungen und
die Klimakrise 9
UNIKATE Preisverleihung 14
Persönliche Assistenz 16
Inklusions-Demo 18
Übergabe Forderungspaket 22
Ein Jahr Aktion Mensch 26
Hilfsgemeinschaft nun
auch in Linz 27
40 Jahre ÖHTB 28
Sportler*innen des Jahres
mit Behinderungen 29
Studieren mit Behinderungen 31
Sexualbegleitung 32
Was ist Hemiparese? 36
Unsichtbare Behinderungen 38
Medien 40
Gefördert aus den Mitteln des
Sozialministeriums
Foto: Lukas Ilgner
Im Rahmen eines Pilotprojekts
wird in Salzburg, Tirol und
Vorarlberg die Zusammenführung
der Persönlichen Assistenz in
Freizeit und Beruf erprobt.
Dafür stellt das Sozialministerium
100 Mio Euro zur Verfügung.
Seiten 16 bis 17
Foto: Kerstin Huber-Eibl
Ende September fanden österreichweit
Inklusions-Demos und
-Mahnwachen mit tausenden
Teilnehmer*innen statt. Anfang
Dezember wurde ein Forderungspaket
an die Regierungsparteien
übergeben.
Seiten 18 bis 25
IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Klaus Widl · Redaktion:
Kerstin Huber-Eibl, Andrea Strohriegl, Bernhard Bruckner, Emil Benesch, Melissa Felsinger · Lektorat: Andrea
Strohriegl, Melissa Felsinger · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513 1533, Mail: presse@
behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher
GmbH · 8151 Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover:
Lukas Ilgner · Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht
alle Artikel entsprechen unbedingt der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis
für behindertenpolitische Themen und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit
Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung: easybank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1
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Aktuell
KOLUMNE
Von Bernhard Bruckner
Am 28. September
2022 fanden am Ballhausplatz
und in allen
Landeshauptstädten außer Graz
Inklusionsdemos statt.
Wechsel an
der Spitze des
Behindertenrates
Klaus Widl folgt Mag. Michael Svoboda
als Präsident
Wie im Inneren des Heftes zu lesen ist,
folgte darauf eine unerwartet große mediale
Berichterstattung über dieses Event und
dessen Inhalte.
Zeitgleich brach auch innerhalb der Community
eine große Euphorie aus.
Der daraus resultierende Tatendrang, öffentlich
für die eigenen Rechte einzustehen,
dauert bis heute an, wie man beispielsweise
bei der Übergabe der Forderungspakete an
die Regierungsparteien am 2. Dezember
2022 spüren konnte.
Aber war das immer so?
Im Vorfeld der Demonstrationen bemerkten
wir, dass es viele Menschen mit Behinderungen
schlichtweg nicht gewohnt waren bzw.
sie sich nicht zutrauten, öffentlich und laut
auf ihre Menschenrechte aufmerksam zu
machen. Dies hat sicherlich viel mit dem in
der Gesellschaft vorherrschenden Bild von
Menschen mit Behinderungen als Bittsteller*innen
zu tun. Aber auch damit, dass
Menschen mit Behinderungen viel zu wenig
darin ermutigt und ermächtigt werden, für
ihre Rechte einzustehen.
Was lernen wir also aus den
Inklusionsdemos?
Gemeinsam ist es uns möglich, ein starkes
und lautes Zeichen zu setzen, das von der
Politik, den Medien und der Gesellschaft
nicht überhört werden kann.
In dem Sinne freue ich mich schon auf die
nächste gemeinsame Aktion und hoffe,
dass das Feuer, das entfacht wurde, auch
im nächsten Jahr in ganz Österreich weiter
flammen wird. •
Mag. Michael Svoboda
hat aus gesundheitlichen
Gründen mit
November 2022 seine Funktion
als Präsident des Österreichischen
Behindertenrates
zurückgelegt. Das Präsidium
spricht Mag. Svoboda für sein
jahrzehntelanges Engagement
für die Anliegen von Menschen
mit Behinderungen seinen
Dank aus.
In der Präsidiumssitzung vom
9. November 2022 wurde
Klaus Widl, der seit Mai 2022
die Präsidentschaft interimistisch
ausgeübt hat, einstimmig
zum neuen Präsidenten
des Österreichischen Behindertenrates
ernannt.
Der neue Präsident hat 1994
den Verein CBMF – Club behinderter
Menschen und ihrer
Freunde in der Wiener Leopoldstadt
gegründet. Widl und
das CBMF-Team bieten Menschen
mit Behinderungen und
teilweise hohem Betreuungsund
Assistenzbedarf seitdem
Vernetzung und Freizeitaktivitäten
und fördern die Inklusion
sowie Selbständigkeit
der Vereinsmitglieder. Seit
Jahrzehnten ist Klaus Widl in
zahlreichen Gremien vertreten
und setzt sich unermüdlich
für sozialpolitische Anliegen
Klaus Widl, neuer Präsident des
Österreichischen Behindertenrates
Foto: Lukas Ilgner
ein. So ist er beispielsweise
Vorsitzender der Interessenvertretung
der Menschen mit
Behinderung zur Beratung der
Wiener Landesregierung in
Angelegenheiten, die behinderte
Menschen betreffen.
Wir bedanken uns bei Klaus
Widl für seine Bereitschaft,
die wichtige Funktion des Präsidenten
im Behindertenrat zu
übernehmen und sind überzeugt,
dass er die Interessen
der 1,4 Millionen Menschen
mit Behinderungen in Österreich
mit aller Kraft vertreten
wird. •
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Ausgabe 4/2022
Mag. Birgit Maria Langeder, MA
Neu im Team des Österreichischen Behindertenrates
Seit 1. November 2022 ist
Birgit Maria Langeder, geb.
1969, neue Geschäftsführerin
im Österreichischen Behindertenrat.
Nach ihrer ersten beruflichen Ausbildung
und leitenden Tätigkeit im
Rechnungswesen arbeitete sie zuerst
in einer Steuerberatungskanzlei
in Oberösterreich und später
in verschiedenen Marketing- und
Kommunikationsberatungsagenturen
in Wien.
Seit einem folgenschweren Verkehrsunfall
im Jahr 1993, an dem
sie als Radfahrerin beteiligt war,
hat sie mit ihren daraus resultierenden
Beeinträchtigungen gut zu
leben gelernt.
Dabei erfuhr Birgit Langeder aber
auch Behinderungen, die ihre
Sensibilität für bestehende Barrieren
in unserer Gesellschaft und
Umwelt schärften und gleichzeitig
das Bewusstsein für Menschen mit
Behinderungen stärkten.
Nach umfangreichen Rehabilitationsmaßnahmen
studierte sie an
der Universität Wien Kommunikationswissenschaft
sowie Film-,
Medien- und Theaterwissenschaft
am zweiten Bildungsweg.
Diese Möglichkeit war für Birgit
Langeder ein Wegweiser, weiter im
Bildungsbereich tätig zu sein. Sie
konnte Einblick in sämtliche Sektoren
des Bildungssystems gewinnen:
Beginnend in Kindergärten bis zu
Erwachsenenbildungseinrichtungen
und Universitäten.
Ihr Portfolio reicht von Theaterspiel
in Privatkindergärten über Schreibförderung
und szenisches Lernen
ian Volksschulen bis zur Entwicklung,
Begleitung und Darstellung
integrativer Performances zur Gewaltprävention
in Sonderschulen,
kooperativen Mittelschulen und
Bildungsanstalten für Elementarpädagogik.
Darüber hinaus war Birgit Langeder
als Projektmanagerin für EU-Projekte
für Lehrlinge tätig und hat
an Berufsschulen wirtschaftliche
Gegenstände wie Buchhaltung,
Schriftverkehr, Wirtschaftskunde
und kaufmännisches Rechnen
unterrichtet. Für die Berufsmatura
Wien vermittelte sie Lehrlingen aus
verschiedenen Branchen die Gegenstände
Deutsch und Englisch.
Als Mitarbeiterin des Verbandes
Österreichischer Volkshochschulen
koordinierte sie als pädagogisch
wissenschaftliche Mitarbeiterin
das bundesweite Angebot der 260
Volkshochschulen für den zweiten
Bildungsweg und Gesundheitsbildung.
Daneben war sie Erasmus+
Beauftragte in allen Volkshochschulen
in Österreich und in allen
wichtigen Verbandsgremien vertreten.
Nach dem Abschluss ihres Master-Studiums
für Deutsch als
Fremdsprache an der Universität
Wien im Jahr 2017 verbrachte sie
einen längeren Auslandsaufenthalt
als Lehrbeauftragte für Deutsch als
Fremdsprache und Austrian Cultural
Studies an der Universität Pune und
an Goethe Instituten in Indien.
Seither lehrt sie an der Wirtschaftsuniversität
Wien nebenberuflich
Wirtschaftskommunikation Deutsch
als Fremdsprache C1. Dort fällt ihr
u.a. die Umsetzung von „Design
für alle“ positiv auf. Gleichzeitig
stechen ihr aber auch die Barrieren
bei der Umsetzung einer inklusiven
Mobilitätskette in Wien ins Auge.
Im Rahmen ihrer umfangreichen
Tätigkeit als Projektleiterin hat sich
Birgit Langeder immer wieder für
vulnerable Zielgruppen eingesetzt.
Birgit Langeder ist sehr motiviert,
sich in die interessanten Aufgabengebiete
des Österreichischen
Behindertenrates einzuarbeiten,
um zur Umsetzung einer inklusiven
Gesellschaft, von der alle Menschen
profitieren, beitragen zu können. •
Kontakt
Foto: Lukas Ilgner
b.langeder@behindertenrat.at
www.behindertenrat.at
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Trauer
Ausgabe 4/2022
Behindertenanwalt Dr. Hansjörg
Hofer verstorben
Hansjörg Hofer, Vorreiter für die Umsetzung
Dr. der Rechte von Menschen mit Behinderungen
in Österreich, ist am 29. September 2022 nach langer
Krankheit verstorben. Das Präsidium des Österreichischen
Behindertenrates ist bestürzt über den
Verlust eines Mannes, der die Lebensumstände von
unzähligen Menschen mit Behinderungen maßgeblich
verbessert hat.
vor allem seiner Gattin und seinen Kindern, seine
aufrichtige Anteilnahme aus.
Die Verabschiedung von Dr. Hansjörg Hofer fand am
21. Oktober 2022 am Friedhof Wien-Mauer statt. •
„37 Jahre lang machte sich Hansjörg Hofer mit Wissen
und Weitsicht für Menschen mit Behinderungen und
jene, die auf Unterstützung angewiesen sind, stark.
Dass er nun von uns gehen musste, macht uns unfassbar
traurig. Hansjörg Hofer hinterlässt eine unersetzbare
Lücke“, so Klaus Widl, Präsident des Österreichischen
Behindertenrates.
Der 1959 in Wien geborene Jurist brachte im Lauf seiner
37-jährigen Berufstätigkeit für das Sozialministerium
Veränderungen auf den Weg, ohne die das
Leben von Menschen mit Behinderungen heute völlig
anders aussähe: So basieren etwa das Behinderteneinstellungsgesetz,
das Bundesbehindertengesetz und das
Behindertengleichstellungsrecht auf Hofers Engagement
und Expertise. Hofer war darüber hinaus in die
Verhandlungen zur UN-Behindertenrechtskonvention,
die vor 14 Jahren von Österreich ratifiziert wurde,
involviert.
Großer Verlust für die Gemeinschaft von
Menschen mit Behinderungen
„In seiner Funktion als Behindertenanwalt der Republik
Österreich, die Hansjörg Hofer seit 2017 ausübte,
war ihm die von ihm mitverhandelte und vorangetriebene
UN-Konvention für die Rechte von Menschen
mit Behinderung ein wichtiges Anliegen. Leider durfte
er deren vollständige Umsetzung in Österreich nicht
mehr erleben. Wir werden uns in Fortsetzung seines
Weges weiterhin mit aller Kraft für die chancengleiche
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einsetzen“,
erklärt Klaus Widl.
Das gesamte Präsidium des Österreichischen Behindertenrates
drückt den Angehörigen von Hansjörg Hofer,
Dr. Hansjörg Hofer bei der Pressekonferenz zum Nationalen
Aktionsplan Behinderung im Juni 2022 Foto: Michael Janousek
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Fachkonferenz
Ausgabe 4/2022
Klimakrise – Ohne uns keine Zukunft
Menschen mit Behinderungen und die Klimakrise
Von Andrea Strohriegl
Klimaschutz braucht uns alle. Menschen mit Behinderungen sind in der Löschkette unverzichtbar.
Illustration: Petra Plicka
Klaus Widl eröffnet die Konferenz
Fotos: Lukas Ilgner, Michael Janousek, Andrea Strohriegl
Der Österreichische Behindertenrat
veranstaltete am 16.
September 2022 eine Fachkonferenz
mit dem Titel: „Klimakrise:
Ohne uns keine Zukunft. Menschen
mit Behinderungen können und
wollen eine Rolle im Umgang mit
der Klimakrise spielen.“
1,4 Millionen Menschen leben in
Österreich mit einer Behinderung.
Ihr Mitwirken ist entscheidend, will
Österreich die eigenen Klimaziele
erreichen und Treibhausgas-Emissionen
schnell und größtmöglich
reduzieren. Sind neue Planungen,
Technologien, Produkte oder Dienstleistungen
für Menschen mit Behinderungen
nicht verwendbar, wird
der Umstieg auf klimafreundliche
Lebensstile für 20 Prozent der Bevölkerung
unmöglich gemacht.
Menschen mit Behinderungen sind
von den negativen Auswirkungen
des Klimawandels besonders betroffen.
Sie zählen häufig zu den letzten,
die gesehen und gehört werden
und zu den ersten, die betroffen
sind. So gilt es, auch für den Katastrophenfall
vorzusorgen. Viele Tragödien
sind nicht Zufall, sondern die
Folge von Versäumnissen. Es braucht
für alle Menschen mit Behinderungen
Klimawandel-Anpassungen zum
Leben und Überleben.
Ein Übersehen und Ausgrenzen von
Menschen mit Behinderungen läuft
somit allen Bemühungen zur Lösung
der Klimakrise diametral entgegen.
Die weitgehende Unbenutzbarkeit
von E-Ladestationen, stromsparenden
Haushaltsgeräten und
Shuttle-Bussen in ganz Österreich
für Menschen mit Behinderungen
erinnern uns daran: Menschen mit
Behinderungen sind für Erfolge beim
Klimaschutz unverzichtbar.
Tom Shakespeare: „Wir müssen Teil des
Umdenkens sein.“
Start in die Konferenz
Durch die Veranstaltung führte
Miriam Labus. Bundespräsident
Alexander Van der Bellen, Gesundheits-
und Sozialminister Johannes
Rauch und Klimaschutzministerin
Leonore Gewessler schickten ihre
Eröffnungsworte per Videostatement.
Manuela Scheffel (ÖGB, in Vertretung
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9
Fachkonferenz
für Patrick Berger) und Klaus Widl
(Präsident Österreichischer Behindertenrat)
eröffneten die Konferenz.
Keynotes
Die Konferenz wurde mit zwei Keynotes
eröffnet. Die erste Keynote wurde
von Tom Shakespeare (Vorstandsvorsitzender
Licht für die Welt International)
per Videobotschaft zur Verfügung
gestellt. Er sprach darüber,
warum die Klimakrise Menschen mit
Behinderungen besonders betrifft
und Maßnahmen zum Klimaschutz
unbedingt inklusiv gestaltet werden
müssen.
Die Sprecher*innen des Panel 1 auf der Bühne. Von links nach rechts: Miriam Labus,
Andreas Zehetner, Helga Kromp-Kolb, Elmar Fürst, Katrin Langensiepen, Vera Hofbauer,
Christine Steger, Traude Kogoj
Helga Kromp-Kolb: „Es gibt viel, viel,
was wir ändern müssen.“
In der zweiten Keynote erinnerte
Helga Kromp-Kolb (Klimaforscherin,
emeritierte Professorin BOKU Wien),
dass nur noch zehn Jahre Zeit seien,
das Klima zu stabilisieren. Es brauche
eine Neuausrichtung im folgenden
Sinn: „Wie kann ich innerhalb
der gesetzten Grenzen ein gutes
Leben führen?“ Die Klimaforscherin
sieht Menschen mit Behinderungen
bei der Bewältigung der Klimakrise
in einer besonderen Rolle: „Jetzt
müssen wir als Gesellschaft etwas
lernen. Sie können dabei unsere
Lehrer sein.“
Panel 1
Unter der Moderation von Miriam
Labus diskutierten Helga Kromp-
Kolb, Traude Kogoj (Diversity-Beauftragte,
ÖBB), Vera Hofbauer
(Sektionsleiterin IV Verkehr, Bundesministerium
für Klimaschutz), Katrin
Langensiepen (EU-Abgeordnete),
Elmar Fürst (Vorstandsvorsitzender
Hilfsgemeinschaft der Blinden und
Sehschwachen Österreich, inklusive
Planungsgruppe), Christine
Steger (Vorsitzende Unabhängiger
Monitoringausschuss) und Andreas
Zehetner (Selbstvertreter, Präsidiumsmitglied
Österreichischer
Behindertenrat). Zentrales Thema
der Diskussionsrunde war Mobilität
und warum der Wandel der Mobilität
Inklusion und Barrierefreiheit für
Menschen mit Behinderungen mitdenken
muss.
Für die Diskussionsteilnehmer*innen
stand fest: Menschen mit Behinderungen
müssen von Anfang an in
der Planung von öffentlicher Infrastruktur
mitgedacht und mitgeplant
werden. „Pläne lassen sich noch
leicht ändern, ein fertiges Gebäude
umzubauen ist viel schwieriger“, so
Elmar Fürst. Einen Grund, warum das
schwer funktioniert, brachte Traude
Kogoj ein: Viele Aufträge werden
nicht nach dem Bestbieter-, sondern
dem Billigstbieterprinzip vergeben.
So entscheide oft das Geld darüber,
welche Aufträge schlussendlich vergeben
werden.
Dazu warf Christine Steger ein:
„Wenn wir davon ausgehen, dass es
ganz normal ist und nichts Anderes
mehr zulassen als eine solche Art der
inklusiven Planung, dann habe ich
nicht den Eindruck, dass es sich um
Zusatzkosten handelt, sondern um
einen Planungsprozess, der budgetiert
werden muss.“
„Man muss endlich verstehen, dass
Barrierefreiheit etwas mit Funktionalität,
mit Nutzbarkeit zu tun hat,
und davon profitiert jeder“, so Elmar
Fürst zum Thema inklusive Planung.
Außerdem sei es ungesetzlich, nicht
barrierefrei zu planen, dennoch
passiere es nach wie vor. Was es daher
brauche, seien Sanktionen und
Bewusstseinsbildung.
Über Maßnahmen auf EU-Ebene gab
Katrin Langensiepen einen Ausblick:
Es werde derzeit ein europäischer
Behindertenausweis geplant. Einen
Entwurf der EU-Kommission dazu
werde es bald geben. Was das europäische
Bahnnetz betrifft, müsse
noch einiges getan werden, damit es
für alle Menschen europaweit problemlos
und barrierefrei nutzbar wird.
Vera Hofbauer kam zum Schluss:
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„Für eine klimaverträgliche Mobilität
müssen wir als Klimaschutzministerium
Rahmenbedingungen schaffen,
die es allen ermöglicht, diese auch
zu nutzen.“
Fazit: Die verstärkte Einbindung
und Beteiligung von Menschen mit
Behinderungen in Entwicklungsprozesse
ist unbedingt notwendig.
Vertiefende Sessions
Im Rahmen der Konferenz wurden
vier Sessions abgehalten, eine davon
gestreamt, wobei die Teilnehmer*innen
in direkten Austausch gehen
konnten.
Session 1: Inklusiver Klimaschutz
als globale Herausforderung
Die Klimakrise verstärkt weltweit gesellschaftliche
Ungleichheiten. Menschen
mit Behinderungen sind von
den Folgen besonders stark betroffen.
Wie kann sichergestellt werden,
dass Investitionen und Maßnahmen
zur Lösung der Klimakrise automatisch
für die Inklusion von Menschen
mit Behinderungen genutzt werden
und deren Teilhabe systematisch
ermöglicht wird? Mit: Johanna Mang,
Julia Moser (Licht für die Welt)
Session 2: Inklusion als Innovationstreiber
in der Klimakrise
Wie kann bei der klimafreundlichen
Stadtplanung und Mobilität Barrierefreiheit
von Anfang an mitgedacht
werden? Welche Best-Practice-Beispiele
gibt es schon und wo gibt es
noch Aufholbedarf? Mit: Manuela
Lanzinger (DIE UMWELTBERATUNG),
Markus Ladstätter (BIZEPS)
Session 3: Menschen mit Behinderungen
im Katastrophenfall –
zuletzt beachtet, zuerst gestorben.
Damit aus Fahrlässigkeit keine Tragödie
wird. Wie können wir Lücken
und Mängel im Katastrophenschutz
identifizieren und beheben? Welche
Möglichkeiten können durch die
De-Institutionalisierung eröffnet
werden? Mit: Christine Steger, Stefanie
Lagger-Zach (Monitoringausschuss)
Session 4 ONLINE: Inklusiver Klimaaktivismus:
Wie können Klimaund
Inklusionsaktivismus Hand in
Hand gehen?
Was braucht es, damit Menschen mit
Behinderungen den Wandel mitgestalten
können? Wie können sich
Klimaschützer*innen und Menschen
mit Behinderungen gegenseitig empowern
und unterstützen? Mit: Raul
Krauthausen (Inklusionsaktivist),
Cécile Lecomte (Klimaaktivistin)
und Valerie Peer (Fridays for Future
Österreich) Diese Session fand über
Zoom statt. Sie wurde online gestreamt
und kann auf unserem YouTube-Kanal
nachgesehen werden.
Panel 2
Im zweiten Panel wurden Erkenntnisse
aus den Sessions zusammenzutragen
und ein Austausch mit dem
Publikum ermöglicht.
Unter der Moderation von Miriam
Labus sprachen Julia Moser und
Johanna Mang von Licht für die
Welt, Christine Steger und Stefanie
Lagger-Zach vom Monitoringausschuss
sowie Manuela Lanzinger von
DIE UMWELTBERATUNG. Aus Session
4 waren Cécile Lecomte und Valerie
Peer online zugeschaltet.
Fazit
Die Klimakrise betrifft alle Menschen
auf der Welt. Die Zeit drängt. Wirksame
Maßnahmen zur Entschärfung
der Klimakrise sind jetzt nötig. Viele
Veränderungen stehen bevor.
Menschen mit Behinderungen
kommt in der Klimakrise eine
Schlüsselrolle zu. Sie sind einerseits
besonders von den Folgen der Klimakrise
betroffen. Sie sind andererseits
für Erfolge beim Klimaschutz
unverzichtbar. Veränderungen im
Namen des Klimaschutzes sind
deshalb ausnahmslos und systematisch
für mehr Barrierefreiheit und
Inklusion zu nutzen. Um Barrierefreiheit
und Inklusion zu schaffen,
ist wiederum die Beteiligung von
Menschen mit Behinderungen an
den Veränderungsprozessen unbedingt
erforderlich. Nur durch die
Einbindung von Expert*innnen mit
Behinderungen in Planungsprozesse
kann sichergestellt werden, dass die
neuen klimafreundlichen Entwicklungen
auch barrierefrei werden und
für alle zu verwenden sind.
Darüber hinaus erfordert die Klimakrise
neue Kooperationen und
Zusammenarbeiten. Zum Beispiel
zwischen Inklusionsbewegung und
Umweltbewegung. Die Klimakrise
bietet somit viele neue Chancen für
Beteiligung, für mehr Barrierefreiheit
und gesellschaftliche Inklusion.
Nutzen wir sie gemeinsam.
Ein klimaschonender Lebensstil
muss für alle Menschen möglich
sein! Und: Menschen mit Behinderungen
dürfen in Klima-Notfällen
nicht zu Opfern werden!
Die Klima-Konferenz des Behindertenrates
möchte den Willen und die
Lust wecken, Chancen zu ergreifen
und sich an der Lösung der Klimakrise
zu beteiligen. Sehen wir die
Klima-Konferenz als Startschuss
zum verstärkten, gemeinsamen
Engagement für unser Klima und für
ein klimaschonendes Leben in einer
inklusiven Gesellschaft. •
Weitere Infos
https://wp.me/p9ocLE-3OT
www.behindertenrat.at
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Fachkonferenz
Klimakrise – na und?
Die ÖBR-Klimakonferenz – ein Weckruf und Startschuss
Von Emil Benesch
Die Klimakrise ist die größte
Herausforderung für die
Menschheit. Das hat UN-Generalsekretär
Antonio Guterres
einmal gesagt. Warum das so ist,
hat Klimaforscherin Helga Kromp-
Kolb in einem Grundsatzreferat
auf der Klimakonferenz des Behindertenrates
erklärt. Für Menschen
mit Behinderungen ist die Klimakrise
dabei nicht nur eine große
Gefahr. Sie ist auch eine große
Chance.
Fotos: Lukas Ilgner
Der Klimawandel beginnt mit der
Freisetzung von Treibhausgasen.
Durch die Verbrennung von fossilen
Brennstoffen wie Kohle, Erdöl,
Erdgas, aber auch Biomasse - z.B.
beim Abholzen und Verbrennen
von Wäldern - sind die Emissionen
in den letzten Jahrzehnten enorm
gestiegen, sagt die Klimaforscherin.
Das hat dazu geführt, dass die
Konzentration von CO2 und anderen
Treibhausgasen in der Atmosphäre
stark angestiegen ist. Dadurch wird
es wärmer. Weltweit ist die Temperatur
bereits um 1,2 Grad gestiegen,
im Vergleich zur Referenzperiode
1880 bis 1920.
Die Klimakrise –
Bedrohung für alle
Die globale Erwärmung führt dazu,
dass sich vieles andere verändert.
„Es verändert sich die Druckdifferenz
zwischen verschiedenen Teilen der
Welt, oder verschiedenen Oberflächen.
Das führt zu anderen Winden,
anderen Windgeschwindigkeiten.
Es verändert sich die Feuchte in der
Luft. Daher verändern sich auch die
Niederschlagsverhältnisse. Alles
was mit Klima zusammenhängt,
verändert sich wegen dieser Temperaturabweichungen“,
sagt Helga
Kromp-Kolb. Dadurch nehmen Extremereignisse
in Häufigkeit und Stärke
zu. Starkregen und Überschwemmungen,
Dürreperioden, Waldbrände,
Hitzeperioden, u.v.m.
… in 10 Jahren ist es zu spät
Wir haben heute die Wahl. Entweder
Temperaturanstieg einbremsen und
bei 1,5 Grad stabilisieren oder die
Treibhausgase nicht reduzieren und
den Temperaturanstieg nicht stabilisieren
– das führt zur ständigen,
weiteren Erwärmung. So weiter wie
bisher führt zum Szenario „Hothouse
Earth“. Die Temperaturen
- und mit ihnen die Extremereignisse
- nehmen dann von Jahr zu Jahr
zu, ohne dass der Mensch diesen
Prozess später noch stoppen kann.
Zum Leben –
Klimaschutz jetzt!
Die 1,5 Grad werden Anfang der
2030er Jahre überschritten. Es
braucht daher Klimaschutz Maßnahmen,
die sofort wirksam werden. Um
eine unkontrollierbare Entwicklung
zu verhindern, sind ab sofort die
größtmöglichen Anstrengungen
zu unternehmen. Klimaforscherin
Helga Kromp-Kolb: „Wir brauchen
Maßnahmen, die in dieser Dekade
wirksam werden.“ Wenn wir die
Emissionen bis 2030 halbieren und
bis 2050 auf 0 bringen - Klimaneutralität
- besteht eine 50 % Chance,
dass die Erderwärmung bei 1,5 Grad
gehalten werden kann.“ Es ist also
dringend. Wir brauchen eine starke
Verringerung des Ausstoßes von
Treibhausgasen jetzt.
Was ansteht –
die Volltransformation
Die Klimakrise erfordert eine „Volltransformation
unserer Art des
Wirtschaftens“, hat Angela Merkel
im Weißen Haus am 15. Juli 2021
offen ausgesprochen. Sie erfordert
Veränderungen in den Bereichen
Energie, Industrie, Mobilität, Infrastruktur,
Landwirtschaft, im Gesundheitssystem,
im Bildungssystem, im
12 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
Wirtschaftssystem, im Finanzsystem
und im demokratischen Zusammenleben,
erklärt die Klimaforscherin.
Parallel zu strukturellen Veränderungen
braucht es Veränderungen
im Lebensstil, Effizienzsteigerungen
und den Umstieg auf erneuerbare
Energien.
Wie es gehen kann
„Ohne der Natur können wir nicht
existieren. Wir müssen lernen, nur
das zu wollen, was wir innerhalb der
Grenzen, die die Natur setzt, auch
können. … Wir müssen lernen zufrieden
zu sein mit weniger. Das hat
etwas mit Effizienz, aber es hat vor
allem etwas mit Suffizienz zu tun,
etwas mit Genügsamkeit. Manches
von dem wir dachten, dass es uns
zusteht, wird nicht erreichbar sein“,
erinnert die Klimaforscherin.
Was ist ihre Rolle dabei?
„Viele von ihnen, wenn nicht alle,
haben einen ähnlichen Prozess des
Grenzen Erkennens bereits durchgemacht.
Auf der persönlichen Ebene.
Jetzt müssen wir als Gesellschaft etwas
lernen. Sie können dabei unsere
Lehrer sein. Sie haben unheimlich
viel Kreativität entwickelt. Sie haben
Beharrlichkeit entwickelt. Sie haben
Lösungen gefunden, wo keine Lösungen
möglich schienen. Sie haben
sich mit diesen Grenzen, die gesetzt
sind, ihren persönlichen Grenzen
nicht einfach als Opfer abgefunden,
sondern sie haben Wege gefunden
trotz dieser Grenzen ein befriedigendes,
ein gutes Leben zu führen.
Das müssen wir jetzt mit anderen
Grenzen, die uns vorgegeben sind.
Wie man das macht, das glaube ich
könnten wir von ihnen lernen. Und
das würde ich als ihre Aufgabe sehen.“
Diese Botschaft richtet Helga
Kromp-Kolb an die Menschen mit
Behinderungen.
Menschen mit Behinderungen
sind unverzichtbar
Die Gesellschaft braucht die Unterstützung
von Menschen mit
Behinderungen heute mehr als je
zuvor. Neben einer möglichen neuen
Rolle als Vorbild und Lehrmeister*in
bringt die Klimakrise weitere Chancen
für mehr Inklusion. So sind
Menschen mit Behinderungen bei
der Entschärfung der Klimakrise unverzichtbar.
Das unterstreicht auch
Bundesministerin Gewessler in ihrer
Videobotschaft an Menschen mit
Behinderungen zur Eröffnung der
ÖBR Klimakonferenz: „Klimaschutz
braucht uns alle. Uns alle und zwar
jetzt. … Sie alle sind für erfolgreichen
Klimaschutz unverzichtbar.“
Veränderungen barrierefrei
Bundespräsident Van der Bellen
konkretisiert, was zu tun ist, damit
Menschen mit Behinderungen den
gesellschaftlichen Wandel unterstützen
können. „Als Bundespräsident
spreche ich mich dafür aus,
die Veränderungen im Namen des
Klimaschutzes ausnahmslos und systematisch
für mehr Barrierefreiheit
und Inklusion zu nutzen. Klimaschutz
muss mit Inklusion Hand in
Hand gehen.“ Der Bundespräsident
verbindet seine Forderung mit einem
Appel an alle Verantwortlichen:
„Sorgen Sie bei Ihren Entscheidungen
dafür, dass alle klimafreundlichen
Entwicklungen gleichzeitig
umfassend barrierefrei werden. Ein
klimaschonender Lebensstil muss für
alle Menschen möglich sein!“
Einbindung von Menschen
mit Behinderungen
Die verstärkte Einbindung und
Beteiligung von Menschen mit
Behinderungen in Planungs- und
Entwicklungsprozesse wird auch
im Klimaministerium als wichtig
angesehen. Vera Hofbauer, Sektionschefin
für Verkehr schreibt an den
Behindertenrat: „Für eine klimaverträgliche
Mobilität müssen wir als
Klimaschutzministerium Rahmenbedingungen
schaffen, die es allen
ermöglicht diese auch zu nutzen.
Das passiert am besten durch regelmäßigen
Austausch und frühzeitige
Einbindung in Entscheidungsprozesse,
beides möchte ich in meinem
Wirkungsbereich fördern.“
Was nun? Dringlichkeit
erkennen und zusammenarbeiten!
Tom Shakespeare von Licht für die
Welt erinnert in seinem Grundsatzreferat:
„Wir müssen von behinderten
Menschen lernen. Und behinderte
Menschen müssen, wie alle anderen
auch, lernen. Wir sind einem besonderen
Risiko des Klimawandels
ausgesetzt, wir werden uns an der
Seite aller anderen für Veränderungen
einsetzen müssen.“ Wie kann
es gehen? So wie Johanna Mang
sagt: Lösen können wir die Klimakrise
„nur wenn wir die Dringlichkeit
erkennen und auch wirklich alle an
Lösungen arbeiten. Und ich meine
wirklich alle.“ •
Ihre Anregungen
Bei Ideen zum Thema Klimakrise
bitte um Kontaktaufnahme
unter:
e.benesch@behindertenrat.at
www.behindertenrat.at
13
Barrierefreiheit
UNIKATE Preisverleihung 2022
Assistive Technologien auf der Bühne
Von Emil Benesch
Die Preisträger*innen des UNIKATE Ideenwettbewerbs
von UNIQA, Österreichischem Behindertenrat
und Technischer Universität (TU) Wien waren
am 16. September 2022 aus ganz Österreich angereist,
um im Veranstaltungszentrum Catamaran in Wien ihre
Prototypen vorzustellen.
Im Interview mit Moderatorin Barbara Sima-Ruml erläuterte
Filip Kisiel in Vertretung der UNIQA Stiftung seine
persönliche Sichtweise auf assistive Technologien: „Ich
bin heuer mit einem anderen Mindset da, nach dem
Schlaganfall meines Vaters. Ich habe den Blickwinkel erweitert
bekommen und finde den Wettbewerb noch toller
als davor“. Klaus Widl, damals interimistischer Präsident
des Behindertenrates, unterstrich in seiner Wortmeldung
die Zusammenarbeit auf Augenhöhe unter Einbindung
von Menschen mit Behinderungen. Ganz im Sinne von
gelebter Partizipation würden nicht nur für sie, sondern
gemeinsam mit ihnen hilfreiche Technologien entwickelt.
Wie notwendig und wertvoll die Einbindung von Menschen
mit Behinderungen in Planungsprozesse ist,
konnte Corinna Heiss auf der Bühne unter Beweis stellen.
Als Expertin mit Behinderungen und Gründerin des
Österreichischen Amputiertenverbandes war sie bereits
zu Beginn der Projektentwicklungen und bei einzelnen
Projektbesprechungen im Dezember 2021 dabei. Dadurch
konnte sie wertvolle Denkanstöße und Empfehlungen
für Verbesserungen geben. Auf der Bühne erklärt sie, es
habe sie beeindruckt, wie vielfältig die Projekte waren.
Die Expertin mahnt, sich nicht zu verzetteln und in der
Forschung nicht auf die falschen Dinge zu setzen. Je
mehr Prothesen können, desto schneller lässt die Akkuleistung
nach, desto kürzer ist die „Haltbarkeit, bis du
wieder eine Steckdose brauchst.“ Den engagierten Schüler*innen
gibt Heiss mit auf den Weg: „Bleibt neugierig,
bleibt innovativ, hinterfragt, bleibt dran, dann wird das
schon.“
Es folgten die Präsentationen der sech ausgezeichneten
Projektideen durch die Schüler*innen-Teams.
„Pathfinder“ findet barrierefreie Wege
Eine Schülerin und ein Schüler der HTL Braunau beobachteten,
dass das Finden barrierefreier Wege auch in
großen Gebäuden Thema sein kann. Ausgangspunkt
der Idee war der Beinbruch eines Schulkollegen, der
vorübergehend auf die Nutzung eines Rollstuhls und so
auf Informationen über barrierefreie Wege im Schulgebäude
angewiesen war. Da GPS im Gebäude nicht verwendet
werden konnte, erfolgt die Standortbestimmung
über Türschilder mit Unterstützung von künstlicher
Intelligenz. Die App “Pathfinder - an Android App for
Barrier-Free Indoor Navigation” ermittelt die kürzeste
barrierefreie Route und zeigt den Weg auf einem elektronischen
Plan an.
Beinprothese für einen Mitschüler
Schüler*innen der HTL Weiz arbeiteten an einer Beinprothese
für einen Mitschüler. Die ursprüngliche Prothese
bedingte ein Einsacken bei jedem Schritt. Sie kann sich
nicht an Untergründe anpassen und beim Stiegensteigen
nicht ausreichend abgewinkelt werden. Als Lösung wird
eine „ausfahrbare Prothese“ mit einem „Hydraulikzylinder
zum Heben und Anwinkeln“ des Beins entwickelt.
Das aktuelle Schülerteam baut auf Erfahrungen von zwei
Jahrgängen auf und stellt die dritte Generation bei der
Entwicklung von Prothesen dar.
Mechatronische Optimierung einer Beinprothetik
Ein Student des Masterstudienlehrgangs am Campus 02
in Graz trägt nach einem schweren Unfall und nachfolgender
Amputation eine Prothese. Nun entwickelte er
eine Prothese für sich selbst. Ausgangspunkt war die
Überzeugung: „Die Technik ist schon weiter als das, was
momentan erhältlich ist. Verbesserungsbedarf besteht:
„Über eine Gehsteigkante mit über vier bis fünf Zentimetern
schaffe ich es mit meiner derzeitigen Prothese
nicht.“ Auch der Stromverbrauch der Prothese soll
reduziert werden, um die Zeitspanne der Nutzung zu
erhöhen.
Durch eine Befragung von 30 amputierten Menschen
waren frühzeitig weitere Wünsche und Anforderungen
erhoben und das Verbesserungspotential festgestellt
worden. Im Projekt erfolgte darauf aufbauend ein Focus
auf die Sensorik, für die Gangart- und Gangphasenerkennung
und das Testen der Sensorik. Die innovative
Herangehensweise: Durch Sensoren am gesunden Bein
14 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
wird die Gangart mit der Prothese vorbestimmt. „Über
den gesunden Fuß sage ich der Prothese, was sie tun
soll.“ Die Sensorik wurde in die Sensorsohle eingepasst
und die Übertragungstechnik getestet. Die Mechanik der
Beinprothese wurde verbessert und die aktive Steuerung
optimiert.
Sensoren am gesunden Bein liefern Infos für die Prothese
Foto: Michael Sauer
BlindPingPong
Zwei Schüler*innen der HTL Mössinger Straße in Klagenfurt
entwickelten ein Ballspiel für Menschen mit
Sehbehinderungen. Das kamera- und audiobasierte
Computerspiel mit Sprachausgabe kommt ohne teures
Zusatzzubehör aus. Benötigt werden ein Tischtennisschläger,
ein Standard-Computer und eine herkömmliche
Webcam. Das Spiel BlindPingPong soll Spaß machen und
als „Freeware und open source“ zur Verfügung stehen.
Stiegen steigender Rollstuhl
Die Idee des „Stiegen steigenden Rollstuhls“ stammt von
einem Lehrer der HTL Weiz. Die ursprüngliche Überlegung
war, einen Zusatz für bestehende Rollstühle zu
konstruieren. Der Zusatz verursachte zu hohes Gewicht
und zu hohe Breite. Deshalb wurde der Ansatz eines
neuen, Stiegen steigenden Rollstuhls gewählt. Basierend
auf Messungen werden Elemente waagrecht und senkrecht
ein- oder ausgefahren. Mit im erweiterten Team ist
ein Schüler, der seit seiner Geburt einen Rollstuhl nutzt.
Die Entwicklung des Rollstuhls erfolgt über mehrere
Jahre durch unterschiedliche Schüler*innen-Teams, die
jeweils auf der Arbeit der vorangegangenen Teams aufbauen.
Die Hauptkomponenten sind Teleskopachsen aus
Poliamid 12, einem Material leichter als Alu. Im Projekt
wird mit 5 Firmen kooperiert.
Rehab Glove
Eine Schülerin am Linzer Technikum entwickelte einen
Handschuh zur Rehabilitation. Dieser trainiert die
Feinmotorik, etwa nach einem Schlaganfall. Der Handschuh
verfügt an den Fingerspitzen über Leuchtdioden.
Leuchten Lampen auf, sind entsprechende Finger zur
Berührung zu bringen. Gesteuert wird der Handschuh
über eine App. Zum ersten Prototypen sagt die Schülerin
bei der Bühnenpräsentation: „Wie man sieht, ist der a
bissi schiach.“ Mittlerweile ist bereits der dritte Prototyp
entwickelt.
Technik für Menschen
Im Bühnen-Interview mit der Moderatorin bedankt sich
Paul Panek, TU Wien, bei den Expert*innen mit Behinderungen,
bei Emilie Karall, Corinna Heiss und Andreas
Weidenauer, die die Entwicklung der Projekte mit ihren
Rückmeldungen und Empfehlungen in gute Richtungen
gelenkt und gefördert haben. Entsprechend dem Leitspruch
der TU Wien „Technik für Menschen“ würde sich
die Uni für Offenheit und Toleranz und Partizipation
einsetzen. Das widerspiegelte sich auch in der Anzahl
der Studierenden mit Behinderungen, die in den letzten
Jahren „stark gestiegen“ ist.
Die Preisverleihung fand ihre Fortsetzung in der Überreichung
von Urkunden an die sechs Teams durch Filip
Kisiel und Klaus Widl. •
Foto: Lukas Ilgner
www.behindertenrat.at
15
Persönliche Assistenz
Pilotprojekt startet 2023
Die neuen Kriterien für die Förderung
des Unterstützungsfonds
für Menschen mit Behinderungen
wurden vom Sozialministerium in
Zusammenarbeit mit den Bundesländern
Tirol, Salzburg und Vorarlberg
erarbeitet. Die Behindertenverbände
– allen voran Vertreter*innen des
Österreichischen Behindertenrats
– waren in die Erarbeitung einbezogen.
Insgesamt werden hierfür bis zu
100 Millionen Euro vom Sozialministerium
zur Verfügung gestellt.
Behindertenrats-Präsident Klaus Widl, Sozialminister Johannes Rauch und
ÖVP-Klubobmann und -Sozialsprecher August Wöginger
Foto: Kerstin Huber-Eibl
I
m Frühling 2023 startet in Salzburg,
Tirol und Vorarlberg ein
Pilotprojekt, in dessen Rahmen
die Zusammenführung der Persönlichen
Assistenz in Freizeit und Beruf
erprobt wird. Um letztendlich bundeseinheitliche
Rahmenbedingungen
zur Persönlichen Assistenz in
allen Lebensbereichen zu schaffen,
stellt das Sozialministerium für die
kommenden Jahre insgesamt 100
Millionen Euro zur Verfügung.
Bei einer Pressekonferenz zur
Persönlichen Assistenz stellten
Sozialminister Johannes Rauch,
ÖVP-Klubobmann und -Sozialsprecher
August Wöginger und Behindertenrats-Präsident
Klaus Widl am
6. Dezember 2022 ein Pilotprojekt
zur Persönlichen Assistenz in den
Bundesländern Vorarlberg, Tirol und
Salzburg vor. Die Ausweitung auf
weitere Bundesländer ist geplant.
Damit soll die Assistenz in Freizeit
und Beruf langfristig vereinheitlicht
und der Kreis der anspruchsberechtigten
Personen erweitert werden.
Die Zuständigkeit für die Persönliche
Assistenz ist zwischen dem Bund und
den Bundesländern aufgeteilt. So
nehmen derzeit rund 2.000 Personen
Persönliche Assistenz für Freizeitgestaltung
nach landesrechtlichen
Vorschriften in Anspruch, rund 600
eine Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz
nach bundesgesetzlichen
Vorschriften. Da sich die Systeme in
ihrem Umfang von Bundesland zu
Bundesland unterscheiden, fordert
der Österreichische Behindertenrat
seit Jahren eine bundeseinheitliche
Regelung. Nun sollen die beiden getrennten
Systeme zusammengeführt
werden. Mit einer neuen Förderrichtlinie
schafft das Sozialministerium
die Voraussetzung, damit die Bundesländer
ihre unterschiedlichen
Systeme zur Persönlichen Assistenz
anpassen können.
Pilotprojekt probt Zusammenführung
Persönlicher
Assistenz in Freizeit und
Beruf
Das Pilotprojekt, bei dem die Zusammenführung
der Persönlichen
Assistenz in Freizeit und Beruf in
den Bundesländern Salzburg, Tirol
und Vorarlberg erprobt wird, startet
im Frühling 2022. Parallel läuft ein
Evaluierungsprozess, damit Verbesserungen
laufend eingearbeitet
werden können.
Ziel ist, dass auch alle anderen
Bundesländer die neue Förderung
in Anspruch nehmen und die Persönliche
Assistenz damit bundesweit
für alle Lebensbereiche
vereinheitlicht wird.
„Die Verbesserung der gesellschaftlichen
und beruflichen Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen ist mir
persönlich ein großes Anliegen. Mit
der neuen Förderrichtlinie schaffen
wir die Voraussetzung für eine
bundesweite Vereinheitlichung für
die Persönliche Assistenz in Beruf
und Freizeit. Der Start mit einem
Pilotprojekt in drei Bundesländern
ist sinnvoll, um die neuen Richtlinien
in der Praxis zu testen. Mit den
zusätzlichen Budgetmittel haben
auch alle anderen Bundesländer die
Möglichkeit, sich am Pilotprojekt zu
beteiligen. Dann haben wir erstmals
einheitliche Bedingungen für
Menschen mit Behinderung in ganz
Österreich“, erklärte Sozialminister
Johannes Rauch bei der Pressekonferenz.
Denn nur gemeinsam werde
es gelingen, eine bundeseinheitli-
16 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
che Persönliche Assistenz für alle
Lebensbereiche zu schaffen.
August Wöginger zufolge sei es der
ÖVP ein wichtiges Anliegen, in den
Bereichen Behinderung und Inklusion
weitere notwendige Schwerpunkte
zu setzen, so Wöginger
weiter: „Dabei bildet die Persönliche
Assistenz einen wichtigen Bestandteil.
Mit den dafür zur Verfügung
stehenden Mitteln von 100 Millionen
Euro gehen wir nun in Form von
Pilotprojekten in drei Bundesländern
an die Umsetzung. Die Teilnahme am
Pilotprojekt steht aber allen Bundesländern
offen. Ein niederschwelliger
Zugang soll dabei ein Mehr an Barrierefreiheit
und ein selbstbestimmtes
Leben sicherstellen, von dem auch
eine größere Anzahl an Menschen
profitiert. Denn die Persönliche
Assistenz ist der wichtigste Hebel
für eine erfolgreiche Inklusion und
damit für die Teilnahme am sozialen
Leben im Alltag.“
Erweiterer Kreis Anspruchsberechtigter
Die erarbeiteten Kriterien sollen
erstmals einheitliche Rahmenbedingungen
für alle Lebensbereiche
schaffen. Vereinheitlicht werden
dazu die Definition der Persönlichen
Assistenz, die Bedarfsfeststellungen,
Serviceleistungen, Leistungserbringung
sowie die Evaluierung und
Qualitätssicherung. Zudem wird eine
Erweiterung der Anspruchsberechtigten
um Menschen mit kognitiven
oder psychischen Behinderungen
angestrebt. Bislang ist das Angebot
in den Bundesländern meist auf
Menschen mit körperlichen Behinderungen,
die Pflegegeld beziehen,
beschränkt. Als wesentliche Verbesserung
ist zukünftig die arbeitsund
sozialversicherungsrechtliche
Absicherung der Assistent*innen
vorgesehen.
One-Stop-Shop-Prinzip
Die Förderrichtlinie sieht zudem eine
gemeinsame Anlaufstelle im Sinne
des One-Stop-Shop-Prinzips für die
Persönliche Assistenz vor. Diese
soll gewährleisten, dass Menschen
mit Behinderung nur einen Antrag
stellen und nur mit einer Stelle abrechnen
müssen, egal welche Art der
Persönlichen Assistenz (Freizeit oder
Arbeitsplatz) sie beziehen. Assistenzwerber*innen
können künftig auch
die gleichen Personen als Assistent*innen
in allen Lebensbereichen
beschäftigen. •
„Der Österreichische Behindertenrat
begrüßt das Pilotprojekt Persönliche
Assistenz. Dieses stellt einen wichtigen
Meilenstein auf dem Weg zur österreichweiten
Ausrollung bundeseinheitlicher,
bedarfsgerechter Persönlicher
Assistenz für alle Menschen mit Behinderungen
in sämtlichen Lebensbereichen
dar. “
Klaus Widl
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17
Menschen mit Behinderungen werden laut
INKLUSIONS-DEMO
Wir werden laut, weil man unsere Menschenrechte klaut und damit
unsere Zukunft verbaut!
Von Kerstin Huber-Eibl
Am 28. September 2022 wurde österreichweit mit
Protestkundgebungen und Mahnwachen gegen
die Unterlassung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
protestiert. Tausende Menschen
forderten Inklusions-Maßnahmen wie beispielsweise
die Umsetzung barrierefreier Gebäude, ein
inklusives Bildungssystem, existenzsichernde Arbeit
und Lohn statt Taschengeld sowie bundesweit einheitliche
und bedarfsgerechte Persönliche Assistenz, aber
auch barrierefreie Gebäude und Online-Anwendungen.
Auf dem Wiener Ballhausplatz fanden sich von 11 bis
13 Uhr Menschen mit und ohne Behinderungen ein und
machten ihrem Ärger über den Nationalen Aktionsplan
Behinderung 2022-2030 Luft. Zeitgleich fanden Bregenz,
Eisenstadt, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg
und St. Pölten Kundgebungen statt.
Die Demonstrations-Teilnehmer*innen forderten Inklusion
lautstark ein:
• ein inklusives Bildungssystem
• bedarfsgerechte, bundeseinheitliche Persönliche
Assistenz
• barrierefreie Gebäude, Kommunikation und Online-Anwendungen
• existenzsichernde Arbeit
• Teuerung kompensieren und Armut bekämpfen
Bei der Demonstration in Wien sprachen und
performten:
• Klaus Widl, Interimspräsident Österreichischer Behindertenrates,
Präsident CBMF
• Martin Ladstätter, Obmann BIZEPS – Zentrum für
Selbstbestimmtes Leben, Präsidium Österreichischer
Behindertenrat
• Roswitha Schachinger, Geschäftsführende Vorständin
WAG-Assistenzgenossenschaft, Vize-Präsidentin
Österreichischer Behindertenrat
• Iris Kopera, Forum Selbstvertretung Österreichischer
Behindertenrat
• Brigitte Heller, Verein Lichterkette
• Erich Schmid, Blinden- und Sehbehindertenverband
Österreich, Präsidium Österreichischer Behindertenrat
• Erwin Riess, Professor und Schriftsteller
• Helene Jarmer, Präsidentin Österreichischer Gehörlosenbund
• Cornelia Scheuer, Verein MAD
„Unsere Inklusions-Demo war erst der Anfang – wir
werden weiter laut bleiben! Und zwar so lange, bis wir
unsere Menschenrechte umgesetzt sehen“, erklärte Klaus
Widl, Interimspräsident des Österreichischen Behindertenrates,
in seiner Rede am Ballhausplatz.
Nach der Inklusions-Demo versuchte Widl, der Bundesregierung
ein Forderungspaket zu übergeben. •
18 www.behindertenrat.at
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19
Menschen mit Behinderungen werden laut
Ausgabe 4/2022
Zum Hintereingang verwiesen
Forderungen von Menschen mit Behinderungen
Vertreter*innen von Behindertenrat, ÖZIV und Lebenshilfe mit Forderungspaket vor dem Bundeskanzleramt
Foto: Lukas Ilgner
Am 13. September 2022 wurden Bundeskanzler Karl
Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler von
Klaus Widl schriftlich zur Inklusions-Demo am Ballhausplatz
eingeladen. Die Politiker wurden aufgefordert,
sich am 24. September ein eigenes Bild von Problemen
und Diskriminierungen zu machen, mit denen Menschen
mit Behinderungen leben.
Forderungspaket
„Da ich wusste, dass zum Zeitpunkt der Inklusions-Demo
am Ballhausplatz der Ministerrat im Bundeskanzleramt
tagte, forderte ich bei meiner Eröffnungs- und Abschlussrede
Karl Nehammer und Werner Kogler sowie die
gesamte Bundesregierung lautstark auf, aus dem Bundeskanzleramt
zu kommen und zu zeigen, dass ihnen die
Anliegen von Menschen mit Behinderungen sowie deren
Menschenrechte und gleichberechtigte Teilhabe in der
Gesellschaft wichtig seien. Ich appellierte: Nehmen Sie
unser Forderungspaket persönlich entgegen!“, so Klaus
Widl.
Ignoranz
Abgesehen von Fiona Fiedler reagierte kein Mitglied der
Bundesregierung auf die Einladungen. Somit machte
sich Klaus Widl mit einigen Präsidiumsmitgliedern des
Österreichischen Behindertenrates auf den Weg zum
Bundeskanzleramt, um das Forderungspaket zu überreichen.
Dieses enthielt Forderungen nach einem inklusiven
Bildungssystem, existenzsichernder Arbeit und Lohn
statt Taschengeld sowie bundesweit einheitlicher und
bedarfsgerechter Persönlicher Assistenz, aber auch die
Forderung nach barrierefreien Gebäuden und Online-Anwendungen.
Die Forderungen sind unter
https://ogy.de/Behindertenrat-Forderungen nachzulesen.
„Dass es weder während der Inklusionsdemo
noch nach der Abgabe unseres Forderungspakets
in der Posteinlaufstelle bis Anfang
Dezember auch nur irgendeine Reaktion
seitens unserer höchsten bundespolitischen
Verantwortungsträger gab, ist für Menschen
mit Behinderung ein mehr als trauriges und
von Ignoranz geprägtes Bild. “
Klaus Widl
Hintereingang
Der Versuch, das Forderungspaket im Bundeskanzleramt
persönlich abzugeben, scheiterte. „Ich wurde von den
Exekutivbeamten beim Eingang zum Bundeskanzleramt
ziemlich resolut aufgehalten und mit dem Paket zum
Hintereingang geschickt, um es dort in der Posteinlaufstelle
abzugeben. Weder Politiker*innen noch Beamte
haben sich bequemt, unser Forderungspaket entgegenzunehmen
bzw. auch nur ein Wort zu wechseln“, zeigt
sich Klaus Widl enttäuscht. •
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Menschen mit Behinderungen werden laut
Letztendlich erfolgreiche Übergabe
des Forderungspakets
Da beim Österreichischen Behindertenrat über
Monate keinerlei Reaktion einlangte, marschierten
Präsidiumsmitglieder, Mitarbeiter*innen
des Österreichischen Behindertenrates und zahlreiche
Wegbegleiter*innen und Mitstreiter*innen am 2. Dezember
2022, dem Vortag des Internationalen Tages
der Menschen mit Behinderungen, bei Schneeregen
vor die Parteizentrale der ÖVP und den Parlamentsclub
der GRÜNEN. Dort überreichte Klaus Widl, Präsident
des Österreichischen Behindertenrates, jeweils ein
Forderungspaket.
Entgegengenommen wurden die Forderungen nach
beispielsweise einem inklusiven Bildungssystem, bedarfsgerechter,
bundeseinheitlicher Persönlicher Assistenz,
barrierefreien Gebäuden, Kommunikation und
Online-Anwendungen sowie existenzsichernder Arbeit
von Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) und Nationalratsabgeordneter
Heike Grebien (GRÜNE).
Sowohl Claudia Plakolm als auch Heike Grebien tauschten
sich mit Klaus Widl über die dringendsten Anliegen
von Menschen mit Behinderungen aus. Es wurde vereinbart,
dass es weitere Gespräche geben werde. Beide
sicherten Widl zu, die Forderungen an die zuständigen
Minister*innen mit Nachdruck weiterzugeben und einen
Prozess des Dialogs auf Augenhöhe einzuleiten, um die
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention voranzutreiben.
•
Forderungen
Unter www.behindertenrat.at/demonstration/forderungen können Sie die Forderungen nachlesen.
Staatssekretärin Claudia Plakolm nimmt das Forderungspaket
entgegen.
Fotos: Michael Janousek
Klaus Widl im Gespräch mit GRÜNEN-Behindertensprecherin
Heike Grebien.
22 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
Roswitha Schachinger, Rudolf Kravanja, Klaus Höckner, Christina Schneyder, Martin Ladstätter, Klaus Widl, Heike Grebien und
Markus Neuherz mit Forderungspaket vor dem Parlamentsclub der GRÜNEN.
Foto: Andrea Strohriegl
Menge vor dem Parlamentsclub der GRÜNEN.
Foto: Michael Janousek
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Menschen mit Behinderungen werden laut
Inklusions-Demo in Tirol
Von Hannes Lichtner, ÖZIV Tirol
Foto: Michael Steger
Obwohl der Organisationsaufwand doch erheblich
war (der ÖZIV Tirol hat zusammen mit dem Verein
Integration Tirol als Veranstalter die Koordination
und Organisation übernommen), war die Inklusions-Demo
für uns in Tirol aus unserer Sicht ein sehr wichtiges
und auch erfolgreiches Zeichen!
Wichtig, weil durch die sehr respektable Zahl von mind.
300 Teilnehmer*innen die Forderungen von Menschen
mit Behinderungen wirklich deutlich und lautstark sichtbar
wurden, und dass über alle Organisationen hinweg
ein gemeinsames Auftreten gelungen ist und damit vor
allem eine Plattform für Selbstvertreter*innen gegeben
wurde, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Erfolgreich auch deshalb, weil – trotz des eigentlich
nicht als gerade ideal empfundenen Termins bezüglich
Wochentag und Uhrzeit – der Zeitpunkt selbst in Tirol
drei Tage nach den Landtagswahlen politisch gut genutzt
werden konnte. Im Gegensatz zu Wien haben vor dem
Tiroler Landhaus zumindest drei Vertreter*innen der
gerade wieder in den Landtag gewählten fünf Parteien
persönlich unser Forderungspapier anbei übernommen.
Unter anderen auch der Vorsitzende der SPÖ Tirol, die
als neuer Regierungspartner das Ressort Soziales bzw.
Inklusion in der neuen Landesregierung übernommen
haben. (Leider nicht die ÖVP Tirol, da sie sich zur selben
Zeit in Koalitionsverhandlungen befanden. Dieser wurde
natürlich unser Forderungspapier noch auf schriftlichen
Weg nachgereicht.)
Neben der großen medialen Aufmerksamkeit sehen wir
es daher auch als tollen Erfolg dieses Tages, dass sich
im neuen Tiroler Regierungsprogramm u.a. Punkte und
Formulierungen aus unseren Forderungspapier wiederfinden.
Natürlich heißt es bezüglich konkreter Umsetzungen
weiter gemeinsam dranzubleiben und auch die
Landeregierungen weiter darauf zu drängen, dass sie
ihren Einfluss auf Bundesebene einbringen, um auch
wesentliche Verbesserungen im NAP zu erreichen. •
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Ausgabe 4/2022
Inklusions-Mahnwache
in Oberösterreich
Von Elke Brandstätter, Fokus Mensch
In Linz waren rund 150 Menschen vor Ort – auch das Team von Fokus Mensch war personenstark vertreten.
Foto: Kristina Fuchs
Die Mahnwache am 28. September 2022 in Oberösterreich
wurde von „Fokus Mensch“ organisiert.
Mit an Bord war die Vereinigung der Interessensvertretungen
der Menschen mit Beeinträchtigungen in
OÖ (IVMB).
„Gemeinsam können wir viel erreichen!“ Nach diesem
Motto hat Fokus Mensch alle Organisationen in Oberösterreich
dazu aufgerufen, sich personen- und willensstark
an der bundesweit stattfindenden Mahnwache zu
beteiligen. „Die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention
ist nunmehr fast 15 Jahre her, trotzdem
hat sich in wesentlichen Bereichen für Menschen
mit Behinderungen wenig verbessert und die Umsetzung
der UN-BRK verläuft äußerst schleppend“, fasst Landesobmann
Wolfgang Neuhuber den Unmut der Betroffenen
zusammen.
Bereits im Vorfeld wurde Fokus Mensch aktiv: So haben
etwa Kund*innen aus dem Feichtlgut mit dem Mitarbeiter*innen-Team
Schilder für die Mahnwache gestaltet.
Rund 150 Menschen, viele davon selbst Betroffene, sind
schließlich am Linzer Landhausplatz auf die Straße gegangen,
um für mehr Rechte zu demonstrieren. •
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25
Mitgliedsorganisation
FOKUS MENSCH ist ein Jahr geworden
Gelungener neuer Markenauftritt für den Oberösterreichischen Zivil-
Invalidenverband: FOKUS MENSCH feiert seinen ersten Geburtstag.
Aussendung Fokus Mensch
Ende November 2022 beging der
Oberösterreichische Zivil-Invalidenverband
(OÖZIV) – so
der Name des Rechtsträgers – seinen
alljährlichen Gründungstag.
Seit mittlerweile 74 Jahren tritt
die Organisation für Menschen mit
Behinderungen und chronischen
Erkrankungen ein. Die Angebote und
Einrichtungen sind seit einem Jahr
unter der einheitlichen, gemeinsamen
Marke Fokus Mensch bekannt.
Folgende Aktionen und
Erlebnisse konnte FOKUS
MENSCH im ersten Jahr
durchführen:
• Organisation der Inklusions-Demo
in Oberösterreich
• inklusive Ballnacht in Kooperation
mit dem Verein InCluenz
• Aktionstag, der auf Gefahren
von E-Scootern als Stolpersteine
hinweist
• Verstärkung des eigenen Beratungsangebots
in Oberösterreich
• Teillehre für junge Menschen
mit Förder- und/oder Unterstützungsbedarf
• Forcierung integrativer Beschäftigung
• Sommercamp für Menschen mit
und ohne Behinderung
• Teilnahme an den Special Olympics
Sommerspielen
• Projektpartnerschaft „Im Rolli
durchs Welterbe“
• Teilnahme an einem abenteuerlichen
Hindernislauf mit
Schlammschlacht
• und noch vieles mehr
„Seit jeher steht bei uns der Mensch
im Mittelpunkt. In allen Bereichen
betrachten wir ihn ganzheitlich mit
all seinen Fähigkeiten und individuellen
Bedürfnissen. Das wollten
wir nicht nur im Rahmen unserer
Aktivitäten, sondern auch mit dem
modernen Markenauftritt als ‚Fokus
Mensch‘ deutlicher denn je zum Ausdruck
bringen“, so Landesobmann
Wolfgang Neuhuber.
Im Zuge des neuen Auftritts definierte
die mitgliederstärkste Organisation
für Menschen mit Behinderung
in Oberösterreich auch ihre
Kernaufgaben neu: Fokus Mensch
setzt sich als Interessensvertretung
dafür ein, dass Menschen mit
Behinderung ein möglichst selbstbestimmtes
Leben führen können.
Damit die hierfür notwendigen
Rahmenbedingungen geschaffen
werden, beteiligt sich die Organisation
an Gesetzesbegutachtungen
und Verhandlungen oder sensibilisiert
für Themen wie umfassende
Barrierefreiheit und Inklusion am
Arbeitsmarkt.
Sommernachtsball von FOKUS MENSCH
Foto: Thomas Koller
Unterstützung für ein
selbstbestimmtes Leben
Außerdem bietet Fokus Mensch
neben der Begleitung und Unterstützung
von Menschen mit Behinderung
mittels beruflicher Qualifizierung,
Arbeitsplatzangeboten und
Wohnmöglichkeiten auch vielfältige
Beratungsangebote für Betroffene,
Angehörige und Interessierte. Um
Menschen miteinander zu verbinden,
die Gemeinschaft zu stärken
und den Austausch zu fördern,
organisiert Fokus Mensch Aktivitäten
wie etwa barrierefreie Reisen,
Informationsveranstaltungen oder
regionale Stammtische. Seit 1963
ist der Verein hinter Fokus Mensch
Träger von Einrichtungen, in denen
im Auftrag des Landes Oberösterreich
Menschen mit unterschiedlichen
Behinderungen begleitet und
unterstützt werden.
Beratung wird immer
wichtiger
„Die persönliche Beratung war von
Beginn an eine wichtige Tätigkeit,
die bis vor Kurzem ausschließlich
von Ehrenamtlichen übernommen
wurde. Seit knapp drei Jahren gibt
es zusätzlich ein hauptberufliches
Beratungs- und Begleitungsangebot“,
sagt Geschäftsführer Michael
Leitner. Besonderes Augenmerk
liegt auf der Situation von Familien
mit Kindern mit Behinderung. Es
wurde hierfür eine eigene Anlaufstelle
eingerichtet. •
Mehr Infos
und Kontaktmöglichkeiten
www.fokusmensch.info
26 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
Hilfsgemeinschaft nun auch in Linz
Die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs hat
seit 12. Oktober 2022 einen Standort in Linz.
Der neue Standort der Hilfsgemeinschaft in der Anzengruberstraße
soll ein Ort der Begegnung und Vielfalt sein.
Foto: Hilfsgemeinschaft
Seit mehr als 80 Jahren setzt sich die Hilfsgemeinschaft
der Blinden und Sehschwachen Österreichs für
blinde und sehbehinderte Menschen in Österreich
ein. Die Sehbehinderten-Selbsthilfeorganisation vertritt
von ihrem Standort in Wien aus die Interessen von rund
318.000 stark sehbeeinträchtigten Menschen in ganz
Österreich. Am 12. Oktober 2022 öffnete ein barrierefreies
Kompetenzzentrum für Menschen mit Seheinschränkungen
in Linz seine Pforten.
Die Eröffnung fand in der Woche des Sehens statt. Die
internationale Aktionswoche für blinde und sehbehinderte
Menschen hatte am 13. Oktober, dem Internationalen
Tag des Sehens, ihren Höhepunkt. An diesem zweiten Tag
der Eröffnung lud die Hilfsgemeinschaft Interessierte zu
einem Tag der offenen Tür ein. Bei den Infopoints konnten
sich die Besucher*innen über Beratungsleistungen,
barrierefreie Freizeitangebote und Sensibilisierungsschulungen
informieren.
One-Stop-Shop-Konzept
Die Hilfsgemeinschaft bietet am neuen Standort Linz
Beratung für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung
an, unterstützt bei Hilfsmitteleinreichungen, berät in
sozialrechtlichen Fragen, wartet mit Freiwilligenarbeit und
einem barrierefreien Freizeitangebot auf und ermöglicht
Raum für Begegnung und Austausch. •
Standortleiterin Christine Bürgstein, Elmar Fürst,
Vizebürgermeisterin Karin Hörzing
Foto: Hilfsgemeinschaft
Weitere Infos
Hilfsgemeinschaft der Blinden und
Sehschwachen Österreichs
Standort Linz
Anzengruberstraße 6-8, 4020 Linz
Web: www.hilfsgemeinschaft.at
Elmar Fürst, Vorstandsvorsitzender
Hilfsgemeinschaft:
„Es ist uns das
wichtigste Anliegen, unsere
Mitglieder bestmöglich
zu unterstützen. Mit der
Eröffnung des Standorts
Linz möchten wir näher zu
den Menschen in den Bundesländern
kommen und es
ihnen erleichtern, mit uns
in Kontakt zu treten“
Foto: Franz Pfluegl
www.behindertenrat.at
27
Mitgliedsorganisation
Ausgabe 4/2022
40 Jahre ÖHTB
Das Österreichische Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und
Sehbehinderte feierte 2021 sein 40-jähriges Jubiläum. Von Ursula Heinemann
ÖHTB Arbeiten
Die ÖHTB Arbeiten GmbH bietet in acht Werkstätten und
einem Tageszentrum 320 Arbeitsplätze für Menschen mit
Behinderungen an, für die der allgemeine Arbeitsmarkt
(noch) kein passendes Beschäftigungsangebot zur Verfügung
stellt, die (noch) nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt
beschäftigt werden können oder wollen.
Info unter https://oehtb-arbeiten.at
Festschrift „40 Jahre ÖHTB“
Die Entwicklung von einer privaten Elterninitiative
zu einer nicht mehr wegzudenkenden Partnerorganisation
der Wiener Behindertenhilfe zeichnet
die Festschrift „40 Jahre ÖHTB“ nach.
Das Österreichische Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig
Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB) wurde 1981 von
Christa und Peter Heinemann und weiteren Eltern taubblinder
Kinder gegründet, da die nachschulische Versorgung
ihrer Kinder im damaligen Wien nicht gewährleistet
war. Es war geplant, eine Einrichtung im Wohnen und eine
Werkstätte zu eröffnen. Aber es kam alles anders.
1987 wurde das ÖHTB Trägerorganisation und Partner der
Arge Wohnplätze, der Initiative des Wiener Gemeinderats,
tausend Wohnplätze für Menschen mit Behinderung aufzubauen.
16 Organisationen erklärten sich bereit, Wohnungen
anzumieten sowie Betreuungsleistungen anzubieten.
Die Stadt Wien übernahm die Garantie der Finanzierung,
die Planung und Koordination. Im selben Jahr wurde die
erste ÖHTB Wohngemeinschaft für fünf taubblinde Bewohner*innen
im zweiten Wiener Gemeindebezirk eröffnet.
Die Eröffnung der ersten ÖHTB Werkstätte erfolgte 1988.
Um dem hohen Bedarf an Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten
für Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden,
wurden in den darauffolgenden 30 Jahren 17 Wohngemeinschaften,
das teilbetreute Wohnen sowie acht Werkstätten
und ein Tageszentrum eröffnet.
ÖHTB Wohnen
In den Einrichtungen und Angeboten der ÖHTB Wohnen
GmbH werden Menschen mit Behinderungen mit dem Ziel
betreut, einen normalen Alltag leben zu können, die Teilhabe
an der Gesellschaft zu ermöglichen, den Interessen
und Vorlieben folgend zu unterstützen und Lebensbezüge
mit Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung zu bieten. Im
vollbetreuten Wohnen stehen in elf Wohngemeinschaften
insgesamt 125 Wohnplätze zur Verfügung. In sechs
Garconnierenverbünden werden 60 Menschen mit Behinderungen
begleitet. Das teilbetreute Wohnen betreut mit
sechs Teams an 4 Stützpunkten 212 Kund*innen.
ÖHTB Beratungsstelle für taubblinde und
hörsehbehinderte Menschen
Die einzige Beratungsstelle für taubblinde Menschen in
Österreich bietet fachkundige Beratung, Informationen
und Vernetzungsmöglichkeiten an.
Info unter www.sinnesbehindert.at
Frühförderung
Die mobile Frühförderung ist zuständig für Kinder mit
einer Hör- oder einer Hörsehbeeinträchtigung.
ÖHTB Fahrtendienst
Der Fahrtendienst führt Regel- und Freizeitfahrten,
Schüler*innenfahrten, Krankentransporte, Kurfahrten etc.
durch.
Info unter https://oehtb-fahrtendienst.at •
Weitere Infos
40 Jahre ÖHTB Festschrift:
https://ogy.de/OEHTB-Festschrift
28
www.behindertenrat.at
Parasport
Ausgabe 4/2022
Special Olympics Sportlerin und Sportler
des Jahres:
Cecily Hoyos und Jürgen Rojko
Foto: Sporthilfe/GEPA pictures
Sportlerin und Sportler des Jahres
mit Behinderung:
Geschwister Aigner und ihre Guides
Foto: Sporthilfe/florianrogner photography
Sporthilfe-Gala
Auszeichnungen für Sportler*innen mit Behinderung
Österreichs erfolgreichste
Sportler*innen mit Behinderung
wurden am 5. Oktober
2022 im Rahmen der Lotterien
Sporthilfe-Gala in der Wiener
Stadthalle ausgezeichnet. Die Geschwister
Veronika und Johannes
Aigner wurden als Sportlerin und
Sportler des Jahres mit Behinderung
geehrt. Bei den Special Olympics
ging die Trophäe an Cecily
Hoyos und Jürgen Rojko.
Die Niederösterreicherin Veronika
Aigner sicherte sich gemeinsam mit
ihrer Schwester Elisabeth, ihrem
Guide, zum zweiten Mal nach 2020
den begehrten Titel Sportlerin des
Jahres mit Behinderung. Die stark
sehbehinderte Para-Alpinskifahrerin
„Die Trophäe zum zweiten
Mal in der Hand zu halten,
ist für mich ein
tolles Gefühl. Meine
Sehbehinderung schränkt
mich vielleicht in einer Art
und Weise ein, aber meine
Eltern haben mir immer
mitgegeben, ich kann alles
machen, was ich will. “
Veronika Aigner, Sportlerin des
Jahres mit Behinderung
hatte bei den Winterspielen zwei
Mal Gold gewonnen. Bei den Herren
jubelte Veronikas Bruder Johannes
Aigner, der ebenso stark sehbehindert
ist, erstmals über die nach Niki
Lauda benannte Trophäe NIKI. Der
17-jährige Para-Skifahrer hat im
Alter von 16 Jahren bei den Paralympischen
Spielen in Peking fünf
Medaillen gewonnen.
Den Titel „Special Olympics Sportlerin
des Jahres“ erhielt die Wiener
Reiterin Cecily Hoyos. Sie hat bei
den diesjährigen Nationalen Special
Olympics Sommerspielen zwei
Goldmedaillen in der Dressur und im
Working Trail erhalten. Als Special
Olympics Sportler des Jahres wurde
der Vorarlberger Tennisspieler
Jürgen Rojko ausgezeichnet, der bei
den Special Olympics Sommerspielen
im Burgenland ebenfalls zwei Mal
Gold erobert hat. •
www.behindertenrat.at
29
Bildung
Hochschulprogramm BLuE in Salzburg
Von Kerstin Huber-Eibl
WER kann sich anmelden?
Das BLuE Hochschulprogramm richtet sich an Menschen
mit einer psychischen oder kognitiven Behinderung.
Grundlegende Fähigkeiten im Bereich Lesen und Schreiben
werden vorausgesetzt. Der Umgang mit Computer
und Handy ist wichtig. Bewerber*innen sollen nicht über
die allgemeine Universitätsreife wie beispielsweise die
Matura verfügen. Wichtig ist auch die prinzipielle Bereitschaft,
vier Jahre für das Studienprojekt aufzuwenden.
Foto: PH Salzburg
Das inklusive Hochschulprogramm BLuE der Pädagogischen
Hochschule Stefan Zweig in Salzburg
richtet sich an Studierende mit Behinderungen.
BLuE steht für Bildung, Lebenskompetenz und Empowerment.
Ziel des Programms ist die Vorbereitung auf ein
unabhängiges und inklusives Leben sowie eine Berufsbildung
in Richtung pädagogischer Assistenz, Assistenz in
Tourismusberufen und Assistenz für Bürotätigkeiten.
Die Hochschule bietet Studienmodule an, die Lernfelder
im Bereich Persönlichkeitsentwicklung, Leben in der
Gesellschaft, akademische Entwicklung, soziale Teilhabe,
Arbeit und vieles mehr eröffnen.
WIE ist BLuE organisiert?
BLuE ist ein vierjähriges Bildungsangebot:
1. Jahr: Eingangsphase und Orientierung
2. Jahr: Grundbildung individueller Basiskompetenzen
3. Jahr: Individuelle Schwerpunktbildung
4. Jahr: Vertiefung im Schwerpunkt und Berufsübergang
Der Abschluss erfolgt durch ein BLuE-Zertifikat. Insgesamt
werden acht Studienplätze angeboten.
BLuE-Studierende besuchen reguläre Lehrveranstaltungen,
die individuell nach Bedarf und Schwerpunktinteresse
ausgewählt werden. Von Beginn an werden
Arbeitspraktika gemacht. BLuE-Studierende nehmen an
Aktivitäten im Rahmen der Hochschule und des gesellschaftlichen
Lebens teil. Tagespläne, Wochenpläne etc.
werden gemeinsam mit der Hochschule erstellt. Die Teilhabe
am hochschulischen Leben und Lernen wird durch
Tutor*innen begleitet. Die Pädagogischen Hochschule
Stefan Zweig arbeitet eng mit Partner*innen aus dem
Sozialbereich und der Wirtschaft zusammen.
Bildungsinitiative und hochschulisches
Empowerment
Studierende sollten für sich selbst das Ziel haben, ein
unabhängiges Leben zu führen und eine Berufsperspektive
zu verwirklichen. BLuE unterstützt individuell dabei.
Die Aufnahme zum Studium erfolgt nach schriftlicher
Bewerbung und einem mündlichen Gespräch.
Bei prinzipieller Erfüllung der Aufnahmekriterien kann
über blue.programm@phsalzburg.at Kontakt mit der
Steuergruppe aufgenommen werden. Im April jeden
Jahres findet ein Bewerbungsgespräch mit einer kleinen
Gruppe der Steuergruppe statt, zu dem eine Begleitperson
mitkommen darf. Es kommt zu einem gegenseitigen
Kennenlernen und Klären offener Fragen von beiden
Seiten (Bewerberin oder Bewerber und BLuE-Steuergruppe).
Entwicklungswünsche und Bedürfnisse in Bezug auf
die Ausbildung werden abgesteckt.
Zentral ist für die Steuergruppe, dass der Wunsch zu studieren,
zu lernen und sich zu bilden bei dem_der Kanditat*in
deutlich erkennbar ist. Weitere Schwerpunkte
sollen Empowerment und Erweiterung der Lebenskompetenz
sein. Nach der Entscheidung des Kernteams werden
Bewerber*innen über die Entscheidung persönlich
informiert. Pro Studienjahr können zwei Kandidat*innen
aufgenommen werden, die jeweils im Oktober mit dem
Studium beginnen. •
Weitere Infos
Die Anmeldung für das Studienjahr 2023/24 ist bis 24.
März 2023 möglich. Bei Fragen zum BLuE-Hochschulprogramm
wenden Sie sich per E-Mail an
blue.programm@phsalzburg.at
30 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
Studieren mit Blindheit oder
Sehbehinderung
Von Martin Tree, BSVWNB
Wer mit Blindheit oder Sehbehinderung ein Studium
beginnt, braucht gute Nerven und hat zahlreiche
Hürden zu überwinden. Darüber sprachen Teilnehmende
des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Wien,
Niederösterreich und Burgenland (BSV WNB) Themenabends
mit Frau Mag. Barbara Levc. Sie ist Leiterin des
„Zentrums Integriert Studieren“ an der Uni Graz.
Die Mühen der Bürokratie
So ein Studium bringt oft auch den Auszug aus dem
Elternhaus mit sich. Da kann ein Mobilitäts- und LPF-Training
sehr hilfreich sein. Studieren bedeutet selbstständig
werden, sowohl auf der Uni als auch im privaten Leben.
Damit einhergehend machen die meisten Studierenden
ihre ersten unmittelbaren Erfahrungen mit dem bürokratischen
System in Österreich. Wie kann ich mich krankenversichern?
Welche Förderungen kann ich wofür beantragen?
Wie sieht es in meinem Bundesland damit aus? Ein
Mobilitätstraining für den Weg zur Uni wird beispielsweise
vom Sozialministeriumservice gefördert, ein Mobilitätstraining
zum Einkaufen vom jeweiligen Bundesland
mit unterschiedlichen Richtlinien.
Auch die erhöhte Familienbeihilfe ist ein wichtiger Punkt.
Wer sie vorher schon erhalten hat, bekommt sie bis zum
vollendeten 25. Lebensjahr, aber man muss dem Finanzamt
einen Studienerfolg nachweisen, der bei Bezieher*innen
der erhöhten Familienbeihilfe auch unter den sonst
geforderten 16 ECTS liegen kann (European Credit Transfer
and Accumulation System). Was neu dazu kommt, ist
die so genannte Mindeststudienleistung: In den ersten
Semestern muss man eine bestimmte Anzahl an ECTS
bringen. Wenn man das nicht schafft, ist man für die
folgenden zwei Jahre für das jeweilige Studium gesperrt.
Studierende mit Behinderung sind von dieser Regelung
ausgenommen.
Auch bei der Studienbeihilfe gibt es behindertenspezifische
wichtige Punkte. Zur Berechnung eines bewilligten
Stipendiums wird die Höhe des Einkommens der Familie
herangezogen. Egal, wie hoch es letztendlich ausfällt, so
bekommt man mit einer bestimmten Behinderung einen
fixen Betrag dazu. Bei Blindheit sind es 150 Euro mehr.
Der Leistungsnachweis ist allerdings strenger als bei der
Familienbeihilfe. In den ersten beiden Semestern muss
Das Gerät scannt die Lernunterlagen und gibt die Inhalte vergrößert
auf einem Monitor aus.
Foto: BSVWNB/Martin Tree
man eine bestimmte Anzahl an ECTS nachweisen. Schafft
man dies nicht, erhält man vorübergehend keine Beihilfe
mehr und bekommt eine Nachfrist gesetzt. Sobald die
Leistung für die ersten beiden Semester erbracht wurde,
muss man keine Nachweise mehr bringen. Weiters kann
man aufgrund der Behinderung auch um ein Toleranzsemester
ansuchen, d.h. man erhält die Studienbeihilfe insgesamt
zwei Semester länger als die Mindeststudiendauer.
Mit einem Wort: Es gibt zahlreiche wichtige Regelungen,
die einen betreffen und viele relevante Fragen. Daher
zahlt es sich aus, sehr genau zu recherchieren oder kompetente
Beratungseinrichtungen zu konsultieren.
Regelungen, die man kennen sollte
Barbara Levc unterscheidet zwei Ebenen. Einerseits die
jeweiligen Einrichtungen an den Unis mit ihrem Unterstützungsangebot,
das sehr verschieden ist. Andererseits
die gesetzlichen Vorgaben.
Und was sagt nun das Gesetz? Nun, es erlaubt etwa einen
angepassten Prüfungsmodus für Menschen mit Behinderung.
Genaueres ist im Gesetz nicht definiert, was auch
gut ist, denn schließlich bringt jede Behinderung andere
Herausforderungen mit sich. Nur geht auch jede Uni mit
dem gesetzlich zugestandenen Freiraum anders um. Und
natürlich ist es immer eine Frage einzelner handelnder
Personen. Wie sich in unserem Publikum zeigte, gab es
sowohl positive als auch negative Beispiele von Lehrenden
zu berichten. •
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31
Sexualität
Interview mit Sexualbegleiterin Lialin
„Ich möchte den Menschen einen achtsamen, respektvollen,
sinnlich erotischen Umgang miteinander mitgeben“ Von Andrea Strohriegl
Lialin ist Sexualbegleiterin bei LIBIDA in der Steiermark.
2012 machte sie den Lehrgang zur Sexualbegleiterin
und seit 2020 hat sie die Marke LIBIDA
übernommen. Dieses Jahr bildet sie auch zum ersten Mal
Sexualbegleiterinnen aus.
ÖBR: Was ist Sexualbegleitung/ Sexualassistenz?
Lialin: Ich gestalte eine Begegnung mit meinen
Kund*innen oder den Paaren, die ich begleiten darf. Ich
versuche, zu schauen, wo die Kund*innen stehen, und
sie dort abzuholen.
Sexualbegleitung bietet auch einen Raum, Fragen rund
um das Thema Sex und Beziehungen zu stellen. Ich
merke oft, dass die Kund*innen sehr schlecht aufgeklärt
sind. Deshalb bestärke ich Einrichtungen auch darin,
regelmäßig Aufklärung zu betreiben.
Wie bist du zur Sexualbegleitung gekommen?
Ich habe 2011 eine Dokumentation über Nina De Vries
gesehen, die eine Pionierin der Sexualbegleitung ist.
Mein erster Gedanke war, „Wahnsinn, das könnte ich
nie!“ Ich habe dann ein bisschen recherchiert und bin
zufällig auf einen Lehrgang von Alpha Nova gestoßen.
Ich habe mich dann dazu entschieden, ihn zu machen,
neben Beruf und Elternschaft. Auch wenn das anstrengend
war, empfand ich es als sehr erfüllend.
Gibt es einen Unterschied zwischen Sexualbegleitung
und Sexualassistenz?
Grundsätzlich meint Sexualbegleitung und Sexualassistenz
das gleiche. Wir haben uns bei LIBIDA für den
Begriff der Sexualbegleitung entschieden, da der Begriff
der Assistenz im Bereich der Behindertenarbeit schon
sehr besetzt ist. Sexualbegleitung ist für uns eine Begegnung
auf Augenhöhe, die beide gleichwertig gestalten.
Wie läuft so ein Treffen ab?
Es kommt darauf an, wo die Kund*innen stehen, und was
sie brauchen. Es gibt vorher immer ein Kennenlerngespräch.
Das ist sehr wichtig, weil man darüber sprechen
kann, was die Vorstellungen sind und ob das auch für
uns beide passt.
Die Sexualbegleitung bietet dann einen geschützten
Raum, in dem Erfahrungen möglich werden. Oft weiß
man vorher nicht genau, was einen erwartet, oder die
Stimmungen ändern sich, auch wenn man sich vorher
schon etwas bestimmtes gewünscht hat. Ich sage den
Kund*innen deshalb immer, dass sie jederzeit nein sagen
können, und das üben wir auch, indem wir uns Signale
ausmachen für „nein“ oder „stop“.
Wie kommen deine Kund*innen zu dir?
Manchmal melden sich die Interessierten selbst bei mir,
ganz oft ist es aber so, dass das Personen aus dem Umfeld
tun, wenn sie merken, dass das für ihre Angehörigen
gut sein könnte. Wichtig ist, dass die Kund*innen selbst
den Wunsch äußern, ein Treffen mit mir haben zu wollen,
und da entwickeln wir individuell Möglichkeiten, wie sie
das kommunizieren können.
32 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
Wo grenzt sich die Sexualbegleitung von klassischer
Sexarbeit ab?
Sexualbegleitung ist kein gesetzlich geschützter Begriff.
Grundsätzlich fällt sie seit 2017 unter das Prostitutionsgesetz.
Das war vorher nicht so. Einige Sexualbegleiter*innen
haben dann aufgehört, weil sie es sich nicht
vorstellen konnten, als Sexarbeiter*innen zu arbeiten.
Das war schade, denn wir haben damals viel Wissen
erarbeitet. Ich habe 2019 mit allen gesetzlichen Auflagen
wieder angefangen und bin auch als Sexarbeiterin
gemeldet. An meinem Angebot und meiner Arbeitsweise
hat sich jedoch nichts geändert.
Findest du das Gesetz positiv oder negativ?
Am Anfang tat ich mich schwer damit, unter dieses
Gesetz zu fallen, inzwischen kann ich damit sehr gut
umgehen. Ich würde mir aber wünschen, dass die Untersuchungen
noch sorgfältiger und umfassender stattfinden,
dass es regelmäßige Hygieneschulungen gibt, und
dass auch Frauen, die selbstständig arbeiten besser vom
Gesetzt abgedeckt und geschützt werden.
Wo gibt es Verbesserungsbedarf in den gesetzlichen
Rahmenbedingungen in Österreich?
Die Situation ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich
geregelt. In den östlichen Bundesländern sind
Hausbesuche erlaubt, und so mache ich das auch. In
Vorarlberg, Tirol, Kärnten und Salzburg sind Hausbesuche
verboten.
Ich sehe auch einen Verbesserungsbedarf darin, wie wir
über das Thema Sexualität in den Medien und in der Politik
sprechen. Sexualität ist so oft negativ konnotiert und
wird tabuisiert, und das finde ich schade. Sexualität ist
etwas Schönes, etwas Sinnliches. Das versuche ich, den
Menschen mitzugeben: einen achtsamen, respektvollen
und auch sinnlich erotischen Umgang miteinander.
Was sind die besonders schönen Seiten an deinem
Beruf?
Sehr gerne mag ich, wenn ich merke, dass sich die Personen
weiterentwickeln. Wenn sie die Dinge einsetzen, die
sie mit mir geübt haben. Es ist dann einfach schön, wenn
mich jemand anruft und sagt: „Jetzt brauche ich dich
nicht mehr, ich habe eine Freundin!“ Oder auch bei den
Pärchen, die mir voller Freude darüber erzählen, wie sie
neue Dinge miteinander umsetzen. Es ist wirklich schön,
diese Erfolgserlebnisse mitzuerleben.
Auf welche Herausforderungen stößt man als Sexualbegleiter*in?
Man muss sehr flexibel und offen sein für aktuelle Stimmungen.
Man muss auch immer darauf gefasst sein, dass
ganz unerwartete Fragen kommen können, bei denen
man nicht immer sofort weiß, was gemeint ist.
Auch mit den Personen aus dem Umfeld kann es
manchmal schwierig sein, zum Beispiel, wenn sie wissen
wollen, was wir tun, oder welchen Fortschritt die
Person gemacht hat. Auch wenn es nicht böse gemeint
ist, ist das übergriffig, und das erkläre ich ihnen dann
auch. Manche kritisieren die Sexualbegleitung, weil sie
fürchten, dass sich die Personen verlieben können. Ich
vertrete die Meinung, dass Menschen mit Behinderungen
das Recht haben, sich zu verlieben, auch wenn die Liebe
unerwidert ist. Ich beende dann zwar die Begleitung,
aber ich denke, dass Personen auch das Recht darauf
haben, negative Erfahrungen zu machen, weil das zum
Leben dazugehört.
Manchmal gibt es auch Situationen, die meine Kompetenzen
überschreiten, beispielsweise wenn es um Gewalterfahrungen
geht. Dann verweise ich meine Kundinnen
an Sexualberatung oder -Therapie.
Wird Sexualbegleitung finanziert oder gefördert?
Es gibt keine explizite Förderung für Sexualbegleitung in
Österreich. Das finde ich persönlich aber in Ordnung, da
ich die Sexualbegleitung als Begegnung auf Augenhöhe
sehe, und nicht als etwas, was man aus Mitleid macht. •
Beratung und Angebote:
Fachstelle Hautnah: Sexualberatung und Therapie,
Aufklärungsworkshops und Einzelgespräche
www.alphanova.at/alltag-freizeit/
fachstelle-hautnah
Sexualberatung Senia: Einzelberatung, Sexualpädagogische
Workshops, Angebote für Angehörige
www.senia.at
Österreichische Gesellschaft für Familienplanung:
Angebote für Menschen mit Behinderungen und
deren Angehörige:
https://oegf.at/service-beratungsstellen/
angebote-fuer-menschen-mit-behinderung
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33
International
Projekt für ukrainische
Geflüchtete mit Behinderung
Das Europäischen Behindertenforum und die Christoffel-Blindenmission
International arbeiten an einem Projekt zur Unterstützung von Menschen
mit Behinderung, die innerhalb oder aus der Ukraine geflohen sind.
Von Andrea Strohriegl
Foto: Nadiia Doloh, Pexels
Das Europäische Behindertenforum (EDF) hat in
Zusammenarbeit mit der Christoffel-Blindenmission
Christian Blind Mission (CBM International)
im März 2022 ein Projekt zur Unterstützung für Ukrainer*innen
mit Behinderungen gestartet. Das Projekt
widmet sich sowohl Binnengeflüchteten mit Behinderung,
die an andere Orte in der Ukraine geflohen sind,
als auch jenen, die außerhalb der Ukraine in anderen
europäischen Ländern Schutz gesucht haben. Am 20.
und 21. September 2022 traf sich das EDF mit CBM International,
dem Finanzgeber für dieses Projekt. Thema
waren die seit Beginn des „EDF/CBM Ukraine-Projekt“ im
März 2022 erzielten Fortschritte.
Sechs Monate lang hat das EDF an drei spezifischen Zielen
gearbeitet, um Menschen mit Behinderung und ihre
OPDs (Organisationen von Menschen mit Behinderung),
die vom Ukrainekrieg betroffen sind, zu unterstützen
und eine inklusive, humanitäre Hilfe zu gewährleisten.
EDF-Mitglieder und -Partner in acht Nachbarländern der
Ukraine und der Ukraine selbst haben sich in Zusammenarbeit
mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen
um die Bedürfnisse von geflohenen Menschen
mit Behinderung gekümmert. Sie haben sich auch für
die Inklusion von Menschen mit Behinderung in eine
breitere humanitäre Hilfe eingesetzt und begonnen, sich
um die Genesung von Menschen mit Behinderungen zu
kümmern und die Kapazitäten der Behindertenbewegung
langfristig aufzubauen.
Dank des Ukraine-Projekts wurden bis zum 31. August
2022 mehr als 11.800 Menschen und ihre Familien mit
direkten Diensten oder Überweisungen in sechs Ländern
erreicht. Davon sind aufgeschlüsselte Daten für etwa
3.453 Personen bekannt (davon sind 65 % Menschen mit
Behinderungen, 47 % identifizieren sich als weiblich,
und bei 16 % handelt es sich um Kinder unter 18 Jahren).
Diese Daten wurden von EDF-Mitgliedern und -Partnern
mit unterschiedlichen Methoden erhoben.
Die Erfolge des Projekts
Das EDF und seine Mitglieder und Partner arbeiten
zusammen, um direkte Hilfe (einschließlich Lebensmittel,
Medikamente, Ausrüstung, barrierefreie Transportmittel),
Interessenvertretung und Einflussnahme
34 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
sowie strategische Planung für den weiteren Aufbau der
Behindertenbewegung bereitzustellen.
Konkrete Beispiele für diese Arbeit
• Zusammenarbeit des EDF mit seinem Mitglied, der
National Assembly of Persons with Disabilities of
Ukraine (NAPD), um zahlreichen OPDs und Binnenvertriebenen
mit Behinderungen in der Ukraine
direkte Unterstützung zu bieten und psychologische,
rechtliche und technische Dienstleistungen anzubieten.
Die NAPD ist auch sehr engagiert bei der Bereitstellung
von Evakuierungsdiensten und dem Zugang
zu Informationen. In den letzten Monaten haben sie
zwei Studien zu Bargeldunterstützung durchgeführt
und dem UN-BRK-Ausschuss (Ausschuss der UN-Konvention
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen)
Empfehlungen zur Situation von Menschen
mit Behinderungen in der Ukraine gegeben. Auch in
Zukunft werden sie sich für Fragen der humanitären
Hilfe und barrierefreier Unterbringung einsetzen.
Darüber hinaus engagieren und vertreten sie ukrainische
OPDs in der „UN Age and Disability Technical
Working Group (ADTWG)“, zusammen mit unserem
Partner, der „Liga der Starken“.
• Die Zusammenarbeit mit der „Liga der Starken“
und ihren Mitgliedern zur Fortsetzung der Leistungserbringung.
Seit Beginn des Krieges haben sie viele
Menschen mit Behinderungen erreicht und ihnen
alle Arten von Hilfe geboten, von humanitärer Hilfe,
psychologischer Hilfe, Rechtshilfe bis hin zu Informations-
und Beratungshilfe.
• Die Zusammenarbeit dem EDF-Mitglied „SUSTETO“
in Lettland für die Bereitstellung von Hilfsmitteln
(z. B. maßgeschneiderte Rollstühle), barrierefreie
Transportdienste, medizinische Ausrüstung, Hotline
für gerade in Lettland angekommene Flüchtlinge und
finanzielle Unterstützung.
• In Ungarn, Polen, der Slowakei und Rumänien leisten
EDF-Mitglieder grundlegende Unterstützung und
helfen bei Überweisungen (einschließlich Transport,
Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Integration).
• In Litauen wird daran gearbeitet, die Inklusion von
Flüchtlingen mit Behinderungen aufzubauen und zu
fördern und eine behindertengerechte Katastrophenvorsorge
(DRR) zu gewährleisten.
• In Moldawien arbeitet das EDF mit vier Organisationen
von Menschen mit Behinderungen und der
Internationalen Organisation für Migration (IOM) an
einem Projekt zusammen, das die Teilhabe und Führung
von Menschen mit Behinderungen fördern und
Hindernisse identifizieren soll, mit denen ukrainische
Flüchtlinge mit Behinderungen konfrontiert sind.
Außerdem soll die Aufschlüsselung von Daten beeinflusst
und erleichtert werden, zur Information über
die Entwicklung und Überwachung der Inklusion.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieses Projekts ist die
„Erklärung von Riga“), die von EDF-Mitgliedern und
Partnern während der Konferenz von Riga ratifiziert
wurde und nun zur Unterzeichnung offen ist. Es enthält
drei Hauptbotschaften – Barrierefreiheit, Deinstitutionalisierung
und sinnvolle Teilhabe – und repräsentiert
die Stimme von Menschen mit Behinderungen.
In Bezug auf die Interessenvertretung war das EDF in
ständigem Kontakt mit der Europäischen Union und mit
den UN-Koordinierungsmechanismen, sowohl innerhalb
der Ukraine als auch in den Nachbarländern, einschließlich
des UN-Schutzcluster-Systems.
Eine weitere wichtige Arbeit war die Zusammenarbeit mit
dem UN-BRK-Ausschuss. Das EDF, NAPD und die „Liga
der Starken“ nahmen an der vom UN-BRK-Ausschuss
organisierten privaten Konsultation teil und lieferten
Beiträge. Als Ergebnis dieses Treffens finden sich nun
ihre Botschaften in den Empfehlungen des UN-BRK-Ausschusses
wieder, insbesondere in Bezug auf die Deinstitutionalisierung.
Die Zukunft des Ukraine-Projekts
Wie geht es weiter mit dem Projekt? Während der ersten
Zeit des Projekts konzentrierte sich der Großteil der
Arbeit auf unmittelbare Bedürfnisse und die Beeinflussung
der breiteren humanitären Hilfe. Diese Aktivitäten
haben die Kapazität der Behindertenbewegung gestärkt,
und die Notwendigkeit sichtbar gemacht, eine schnellere
Entwicklung des Budgets und der Projektplanung zu
bewerkstelligen, aber auch die Verbesserung der grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit zwischen den OPDs.
Mit Blick auf die zweite Phase dieses Projekts wird EDF
mit seinen Mitgliedern und Partnern die Arbeit rund um
den inklusiven Wiederaufbau der Behindertenbewegung
fortsetzen. Grundlegende Säulen werden hier Schulungen,
Interessenvertretung, Kapazitäten- und Netzwerkaufbau
sein. •
Original des EDF:
www.edf-feph.org/updates-from-the-edf-cbmukraine-project
www.behindertenrat.at
35
Leben mit Behinderungen
Mein Leben mit Hemiparese
Von Melissa Felsinger
Ich heiße Melissa Felsinger und
mache gerade ein Praktikum
beim Österreichischen Behindertenrat.
Es kann durchaus sein,
dass ich auf der Straße hin und
wieder angesehen werde, wenn ich
an Leuten vorübergehe. Das liegt
daran, dass meine Gangart und
meine Art, meine Hand zu halten,
anders ist als die der meisten anderen
Menschen – warum das so ist
und was genau es für mich bedeutet,
möchte ich in diesem Bericht
erklären.
Hemiparese, links- oder rechtsbetont,
ist eine körperliche Behinderung.
Sie kann durch viele
Dinge entstehen, etwa durch einen
Schlaganfall oder durch eine (frühkindliche)
Hirnblutung. Hemiparese
bedeutet „Halbseitenschwäche“,
also eine Schwäche der linken oder
rechten Körperhälfte.
Melissa Felsinger unterstützt den Behindertenrat seit August 2022 als Praktikantin
in den Bereichen Kommunikation und Veranstaltungsmanagement. Foto: Kerstin Huber-Eibl
Entstehung
Kurz nach meiner Geburt hatte ich
eine frühkindliche Hirnblutung.
Aufgrund von Blutdrucksschwankungen
(ich war ein Frühchen in der
26. Schwangerschaftswoche) platzte
in meinem Kopf ein Blutgefäß und
führte zur Hemiparese. Meine rechte
Körperhälfte ist viel schwächer als
die linke – ich kann meine rechte
Hand aufgrund einer Spastik nicht
sehr gut bewegen und habe dadurch
auch nicht viel Kraft. Mein rechtes
Bein ist auch davon betroffen,
allerdings merke ich meine Behinderung
im Alltag bei meinem Arm und
meiner Hand öfter.
In der rechten Seite meines Körpers
sind meine Muskeln sehr angespannt,
das nennt man Spastik. Als
ich ein Kind war, war diese Spastik
noch viel stärker bemerkbar als
36 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
heute – beispielsweise konnte ich
meinen Arm nicht ausstrecken oder
entspannen – ich hielt ihn meiste
abgewinkelt in der Luft. Durch die
Physiotherapie, die ich seit meinem
ersten Lebensjahr erhalte, hat sich
das gebessert.
Therapien
Seit meiner Geburt habe ich sehr
viele Therapien bekommen, unter
anderem Physiotherapie, Ergotherapie
und Hippotherapie, aber auch
Schienen/Orthesen zur Verbesserung
meines Gangbildes. Bei der Physiotherapie
sollen sich meine Muskeln
stärken. Sie unterstützt das „richtige“
Gehen (gleichmäßig, die Ferse
berührt den Boden, mit dem Fuß
abrollen), und meine Spastik soll
sich dadurch verbessern.
Die Ergotherapie dient dazu, feinmotorische
Fähigkeiten zu trainieren.
Ich hatte beispielsweise Probleme,
Knöpfe zu schließen. Auch das
Essen mit Messer und Gabel beziehungsweise
Techniken, diese in der
rechten Hand zu halten, erlernte ich
dort, ebenso Methoden, mich räumlich
besser zu orientieren.
Die Hippotherapie (Pferdetherapie)
hatte auch aus medizinischer Sicht
einen Nutzen, nämlich jenen, die
Beweglichkeit und den Gleichgewichtssinn
zu fördern und mir zu
einer besseren Körperwahrnehmung
zu verhelfen. Allerdings ist mir von
der Hippotherapie am deutlichsten
in Erinnerung geblieben, wie sehr
ich mich jeden Dienstag auf „mein“
Pferd gefreut habe. Ich fand es aber
auch ekelig, abgeschleckt zu werden,
wenn Ody (so hieß „mein“ Pferd)
eine Karotte oder einen Apfel wollte.
Ich erinnere mich auch gut daran,
wie schön das Striegeln für mich war.
Im Alter von zehn Jahren beendete
ich die Ergotherapie, und schulbedingt
musste ich mit 13 Jahren mit
der Hippotherapie aufhören. Die
Physiotherapie wird mich allerdings
vermutlich den Rest meines Lebens
begleiten. Es gibt einfach immer
etwas, das ich lernen muss oder das
ich nicht kann. Und auch, wenn ich
weiß, dass ich nicht alles schaffen
werde, ist es doch immer schön zu
sehen, dass sich Tätigkeiten mit viel
Übung verbessern lassen.
Unterstützung und
Hilfsmittel
Meine Behinderung bedeutet natürlich
auch, dass ich in meinem Alltag
hin und wieder Hilfe brauche. Meine
Familie war mir während meiner
Kindheit und ist auch jetzt noch eine
wirklich große Stütze. Ich kann gar
nicht sagen, wie oft sie mit mir bei
Arztbesuchen oder im Krankenhaus
waren, mich motiviert haben, meine
physiotherapeutischen Übungen
genau und sorgfältig zu machen,
mit mir Wege gesucht habe, meinen
Alltag besser zu bestreiten und auch
wertvolle emotionale Unterstützung
geliefert haben.
Seit meinem ersten Lebensjahr trage
ich orthopädische Schienen/Orthesen,
die meinen rechten Fuß und die
Muskulatur unterstützen. Ich habe
die alten Schienen immer noch, und
es ist hin und wieder sehr schön,
sie anzusehen und anhand dieser
Gehhilfen sozusagen auch meine
Entwicklung zu sehen. Von meiner
ältesten, der Schiene mit den Teddybären,
die ich als einjähriges Kind
bekam, bis zu meiner heutigen, einer
violetten, die etwas anders gebaut
ist als alle davor, hat sich ziemlich
viel verändert. Meine jetzige Orthese
ist beweglicher und leichter, vor
allem kann ich sie alleine anziehen.
Eine Zeitlang hatte ich auch eine
neongelbe Schiene für meine Hand.
Da diese jedoch meine Beweglichkeit
eher eingeschränkt hat anstatt zu
helfen, trage ich sie nicht mehr.
Nun, wo ich alleine lebe, habe ich
auch zuhause Hilfsmittel. Dazu gehören
beispielsweise ein Küchenbrett,
bei dem ich Flaschen einklemmen
und so leichter öffnen kann, bestimmte
Kartoffelschäler oder ein
elektrischer Dosenöffner.
Auch, wenn ich mittlerweile alleine
lebe, weiß ich, dass ohne die
Unterstützung meiner Familie und
Freund*innen vieles, das ich heute
kann, nicht möglich wäre. Ich bin
ihnen für all die (physische und
emotionale) Hilfe sehr dankbar.
Vorurteile
Oft muss ich mir aber auch Vorurteile
anhören, und manchmal glaube
ich, dass mich manche Menschen
auf der Straße ansehen, wenn ich
vorbeigehe und sie auf meine Füße
starren. Das muss nicht stimmen,
aber es kann. Manche Leute denken
auch, dass ich viel weniger kann,
als es tatsächlich der Fall ist. Diese
bieten oft Unterstützung an, die ich
gar nicht brauche – lieb gemeint,
natürlich, aber nicht notwendig.
Hin und wieder (aber glücklicherweise
selten) muss ich mir auch verletzende
Dinge und Sprüche anhören
oder es wird angenommen, dass
meine Freund*innen und die Familie
sich meiner schämen oder mit mir
überfordert sind. Das ist verletzend,
auch wenn ich weiß, dass dem nicht
so ist.
Abschlussworte
Das Leben mit Hemiparese ist natürlich
nicht immer einfach. Es gab
und gibt in meinem Alltag Situationen,
mit denen ich überfordert bin
oder solche, die mir unangenehm
sind. Trotzdem kann ich sagen, dass
ich stolz darauf bin, was ich bisher
geschafft habe und wie gut ich im
Alltag zurechtkomme. Durch viel Unterstützung
und Kraft bin ich heute
dort, wo ich bin. •
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Leben mit Behinderungen
Ausgabe 4/2022
Unsichtbare / nicht sichtbare
Behinderungen
Die Woche vom 17. bis zum 23. Oktober 2022 ist die Woche der
Unsichtbaren Behinderungen, auf Englisch „Invisible disabilities“.
Das umfasst alle Behinderungen, die man nicht sehen kann. Von Melissa Felsinger
Beispiele und Hilfen
Nicht-sichtbare Behinderungen sind genau so vielfältig
wie die sichtbaren. Es gibt auch bei ihnen die unterschiedlichsten
Arten. Bekannte nicht-sichtbare Behinderungen
sind beispielsweise die Austismus-Spektrums-Störung,
ME/CFS (Chronisches Fatigue Sydrom), Multiple Sklerose,
Endometriose, Epilepsie oder Fibromyalgie.
Nicht sichtbare Behinderungen und auch chronische Erkrankungen
sind sehr vielfältig, da es auch sehr viele von ihnen
gibt. Menschen, die mit einer nicht sichtbaren Behinderung
leben, erfahren im Alltag oft Vorurteile, unterschiedliche Barrieren
und Ableismus. Aber nur, weil man einer Person eine
Behinderung nicht ansieht, heißt das nicht, dass diese Person
die Behinderung nicht tatsächlich hat. Foto: Nataliya Vaitkevich/Pexels
Unter dem Begriff „unsichtbare Behinderungen“
beziehungsweise „nicht-sichtbare Behinderungen“
versteht man jene Behinderungen, die man von
außen nicht oder nur teilweise sehen kann. Nicht-sichtbare
Behinderungen sind sehr vielfältig. Auch Menschen, die
ein- und dieselbe Behinderung haben, können diese sehr
unterschiedlich erleben.
Bezeichnung
Manche Menschen präferieren beispielsweise den Term
„nicht sichtbare Behinderungen“ anstatt „unsichtbar“.
Die Bezeichnung „unsichtbar“ kann nämlich implizieren,
dass die Behinderung nicht existiert. Der im Englischen
existierende Begriff „hidden disability“ („versteckte
Behinderung“) könnte auch so interpretiert werden, dass
die Person ihre Behinderung verstecken oder verbergen
möchte. Das kann zu zusätzlichen Vorurteilen beziehungsweise
zu einer unfairen Behandlung führen.
Da man die Behinderung nicht sehen kann, müssen sich
Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen oft kontinuierlich
erklären. Oft wird von ihnen verlangt, dass sie
Außenstehenden „beweisen“, dass sie eine Behinderung
haben.
Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen benutzen
teilweise Mobilitätshilfen, aber nicht alle. Der Bedarf, diese
Mobilitätshilfen gegebenenfalls zu verwenden, ist auch
sehr unterschiedlich – nicht immer werden sie gebraucht.
Manche Menschen, die eine nicht sichtbare oder unsichtbare
Behinderung haben, haben eine sogenannte „dynamische
Behinderung.“ Das bedeutet, dass sie manchmal
bestimmte Hilfsmittel beziehungsweise Mobilitätshilfen
brauchen und manchmal nicht. Die Ausprägung der Behinderung
kann somit (auch von Tag zu Tag) unterschiedlich
sein.
Barrieren und Vorurteile
Wenn eine Behinderung nicht sichtbar oder nur teilweise
sichtbar ist, oder auch, wenn es bei einer sichtbaren
Behinderung unsichtbare Teile dieser gibt, trifft das bei
dem Umfeld oft auf Unverständnis. Es kann beispielsweise
angenommen werden, dass eine Person, der man
ihre Behinderung nicht ansieht, nur vortäuscht oder sich
einbildet, diese zu haben. Das ist eine Form des Ableismus,
also der Diskriminierung gegenüber Menschen mit
Behinderung. Es zählt zu den sozialen Barrieren.
Weiters kann es oft auch schwierig sein, an Hilfeleistungen
oder andere notwendige Dinge zu gelangen. Dies liegt
daran, dass betroffene ihren Mitmenschen fortwährend
erklären müssen, weshalb sie bestimmte Dinge brauchen.
Vor allem bei dynamischen Behinderungen ist es
oft schwierig. Denn bei diesen wird meist angenommen,
dass eine Person „gesund“ ist, wenn diese an einem Tag
wenige bis keine Schmerzen/Beschwerden hat.
Nicht-sichtbare Behinderungen können sich verändern,
genau wie sichtbare Behinderungen auch. •
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Konferenz
Ausgabe 4/2022
Sicherstellung beruflicher Teilhabe
Von Kerstin Huber-Eibl
Die Veranstaltung wurde von Heidemarie Egger (1. von rechts) und Klaus Brunner (3. von rechts) moderiert.
Foto: Kerstin Huber-Eibl
Am 24. Oktober 2022 wurde
bei einer Konferenz im
Seminarzentrum Catamaran,
Wien, die Sicherstellung der beruflichen
Teilhabe von Menschen mit
hohem und komplexem Unterstützungsbedarf
aus unterschiedlichen
Perspektiven beleuchtet. Folgende
Organisationen besprachen gemeinsam
dieses Thema: Lebenshilfe
Österreich, Österreichischer
Behindertenrat, Caritas Österreich,
Diakonie Österreich, Dachverband
berufliche Integration Austria,
dabei-austria und Sozialwirtschaft
Österreich in Kooperation mit dem
ÖGB „Chancen Nutzen“- Büro.
Die Sicherstellung der beruflichen
Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen ist ein zentrales
Anliegen, das sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention
ableitet.
In der Auseinandersetzung mit der
Thematik zeigt sich, dass es gerade
bei hohem und komplexem Unterstützungsbedarf
offene Fragen gibt.
Diese reichen von rechtlichen Fragen
über die Frage, was verstehen
wir unter einem inklusiven Arbeitsmarkt
und was bedeutet Arbeit im
Kontext von Menschen mit hohem
Foto: Kerstin Huber-Eibl
und komplexem Unterstützungsbedarf
bis hin zur veränderten Rolle
sozialer Dienstleister*innen und
vielem mehr.
Inklusiver Arbeitsmarkt und
Unterstützungsstrukturen
Ziel der Konferenz war es, einen
Raum zur Diskussion und zur Klärung
der Rahmenbedingungen zur
beruflichen Teilhabe von Menschen
mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf
zu bieten. Es
wurde ein gemeinsames, besseres
Verständnis für einen inklusiven
Arbeitsmarkt und die nötigen Unterstützungsstrukturen
entwickelt.
Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Dimmel
berichtete über neue Wege der
Einkommens- und Bedarfssicherung.
Anschließend wurden gelungene
Beispiele zu Beschäftigung und
Entlohnung aus Österreich, Deutschland
und Luxemburg betrachtet. So
wurden beispielsweise die Projekte
„LOT“ und „Jobwärts“ vorgestellt,
die berufliche Qualifizierung im Fokus
haben. Andrea Seeger referierte
über die Schaffung passgenauer
Arbeitsplätze mit dem Budget für
Arbeit. Michèle Racké stellte das
Gehaltsmodell in Luxemburg vor.
Abschließend berichtete Andreas
Jesse über Pilotmodelle aus Österreich.
In Arbeitsgruppen wurde über das
Recht auf Arbeit, über die Frage,
was Leistung ist, über notwendige
Qualifizierung, über die Frage, wie
der Unterstützungsbedarf festgestellt
werden kann und über die
Frage, was vom bisherigen System
unbedingt erhalten bleiben soll,
gesprochen.
Nach den Impulsvorträgen fanden
Gruppendiskussionen statt. Deren
Arbeitsergebnisse wurden im abschließenden
Plenum diskutiert und
ergänzt. •
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Medien
Nicht wissen, wie sich die Dinge
entwickeln werden
Von Kerstin Huber-Eibl
Das von Thomas Hax-Schoppenhorst und Jürgen Georg herausgegebene
Buch „Ungewissheit und Unsicherheit durchleben“ zeigt den Umgang
mit unvorhersehbaren Lebenssituation und Lebensrisiken.
Ungewissheit
Thomas Hax-Schoppenhorst,
Jürgen Georg (Hrsg.:) Ungewissheit
und Unsicherheit durchleben.
Hogrefe 2022, Preis € 41,10
Die Autor*innen des Praxisreaders
• definieren und differenzieren die Begriffe Ungewissheit, Unsicherheit
sowie des Risikos,
• beleuchten Facetten aus pflegerischer, medizinischer, soziologischer,
psychologischer und theologischer Sicht,
• entlarven die Illusion der Gewissheit,
• beschreiben, wie Menschen Ungewissheit durchleben, die an Krebs, Multipler
Sklerose, psychischen Erkrankungen, Schlaganfällen und Covid-19
akut und chronisch erkrankt sind,
• veranschaulichen, wie Ungewissheit Angehörige, Intensivpatient*innen,
Pflegende, Ärzt*innen sowie geflüchtete und traumatisierte Menschen
trifft und wie sie damit umgehen,
• zeigen auf, wie man Ungewissheit im Leben aushalten, tolerieren und
akzeptieren, sie umarmen und sich von ihr distanzieren kann, wie man
ihr achtsam und humorvoll begegnet und wie man trotzdem zu klugen
Entscheidungen in ungewissen Lebenssituationen kommen kann. •
Achtsam berühren.
Von Lialin und Johannes Seidl Von Andrea Strohriegl
Das Buch von Sexualbegleiterin Lialin und Fotograf Johannes Seidl hat das
Ziel, Sexualbegleitung verständlicher zu machen und einen Blick hinter die
Kulissen zu ermöglichen.
Was ist Sexualbegleitung? Was ist die Idee dahinter? Wie kann man sich eine
Stunde vorstellen? In Form von Bilderserien, Texten und Leichter-Lesen-Texten
werden diese und noch viele andere Fragen zum Thema LIBIDA-Sexualbegleitung
beantwortet.
Die ausdruckstarken Fotos gewähren einen Einblick in die Begegnungen. Im Zentrum jeder Begegnung steht die
Selbstbestimmung der Kund*innen. In den Texten erfährt man über die Hintergründe der Sexualbegleitung und die
Bedeutung von Berührungen, Intimität und dem achtsamen Wahrnehmen seines Gegenübers. Alle Seiten im Buch
haben auch Texte in Leicht Lesen, die in hellbraunem Hintergrund hinterlegt und so einfach zu erkennen sind. So soll
das Buch für so viele Menschen wie möglich zugänglich gemacht werden.
Ein Buch, das das Thema Behinderung und Sexualität auf
achtsame und eindrucksvolle Weise entmystifiziert und
greifbar macht. •
Lialin und Johannes Seidl
Achtsam berühren. Libida 2.0 2022, Preis € 39,00
40 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2022
Podcast
„Im Aufzug“ von Raúl Krauthausen
Wir alle kennen sie:
Aufzugfahrten die
langweilig sind, weil man
allein ist, oder die still
sind, weil man mit Menschen
unterwegs ist, mit
denen man nicht unbedingt
sprechen möchte.
Doch was, wenn wir uns
aussuchen könnten,
mit wem wir im Aufzug
unterwegs sind, und wie
lange die Fahrten dauern?
Genau das macht Raúl
Krauthausen in seinem
neuen Podcast „Im Aufzug“.
Inspiriert von Aufzugfahrten
in Science-Fiction Filmen,
die immer genau so
lange dauern, wie die Dialoge der Charaktere, lädt Krauthausen
seine Gäste dazu ein, ihn auf eine fiktive Fahrt zu
begleiten, die genau so lange dauert, bis man zu Ende
gesprochen hat. Auf humorvolle und kreative Art und
Von Andrea Strohriegl
Weise wird so die Bedeutung
von Aufzügen für die
Barrierefreiheit von Menschen
mit Behinderungen
thematisiert. Die Gäste
stammen aus den unterschiedlichsten
Bereichen
von Wissenschaft, Politik
und Medien, wie zum
Beispiel Mai Thi, Eckart
von Hirschhausen oder
Georgine Kellermann. Die
Gespräche sind höchst
interessant, inspirierend,
geben neue Denkanstöße
– und zaubern hie und
da ein Lächeln auf die
Lippen. Ein Podcast, den
man nicht mehr pausieren
möchte, sobald man
ihn einschaltet.
Der Podcast ist auf raul.de und über alle gängigen Podcast-
und Streaming-Portale verfügbar. Transkripte der
Folgen sind auf raul.de abrufbar. •
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Medien
Ausgabe 4/2022
Behinderung und Ableismus
Von Melissa Felsinger
Das Buch „Behinderung und Ableismus“ von Andrea Schöne beschäftigt
sich mit dem Begriff „Ableismus“ und erforscht, wie
er entstanden ist, wer ihn geprägt hat und wie fest er in unserer
heutigen Gesellschaft verankert ist. Die Autorin definiert den Begriff
„Ableismus“ und gibt Beispiele an, wie sich Menschen ohne Behinderungen
gegenüber Menschen mit Behinderungen verhalten sollen.
Andrea Schöne erklärt anhand von persönlichen Beispielen und
Anekdoten den Begriff des Ableismus. Sie versucht, ein Bewusstsein
dafür zu schaffen, wie er die heutige Gesellschaft beeinflusst,
welche Gestalten er annehmen kann und wie Menschen ohne Behinderung
Ableismus vermeiden und Menschen mit Behinderungen
internalisierten Ableismus überwinden können. Auch die geschichtlichen
Hintergründe werden erläutert.
Sie befasst sich mit den Vorurteilen, die Menschen mit Behinderung
im Alltag begegnen und klärt über verschiedene Formen von
Ableismus auf. Außerdem gibt Andrea Schöne Tipps, wie man den
Erstkontakt mit Menschen mit Behinderung gestalten kann. •
Andrea Schöne
Behinderung und Ableismus. unrast transparent linker alltag
2022. Preis € 8,90
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ÖAMTC Themenseite Behinderung und Mobilität
Tipps und Infos zu vielen Themen rund um die Mobilität mit Behinderungen und begleitende Begünstigungen
stellt der ÖAMTC auf der Themenseite Behinderung & Mobilität zur Verfügung. Für individuelle
Beratung ist die ÖAMTC Beratung für Mitglieder mit Behinderung gerne für Sie erreichbar. Kontakt
und Infos unter Tel. +43 1 711 99 21283 und www.oeamtc.at/thema/behinderung-mobilitaet/
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Empfänger
Österreichische Post AG
GZ 02Z032856
Österreichischer Behindertenrat, 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11
Retouren an Behindertenrat, 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11
Kategorie Ausgabe 4/2022
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