21.09.2022 Aufrufe

SELTENE ERKRANKUNGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de

EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 1

SELTENE

ERKRANKUNGEN

Die Waisen der Medizin

Ein Leben mit

Zwangspausen

Gerlinde Brück ist betroffen von

einer paradoxen Myotonie und spricht

über ihr Leben mit dieser seltenen

neurologischen Erkrankung.

NICHT VERPASSEN:

Polycythaemia vera

Blutkrebs mit 24: Wie die

Diagnose PV Martinas

Leben von heute auf morgen

komplett veränderte

Sichelzellkrankheit

Eine Herausforderung

für das deutsche

Gesundheitssystem

Seite 10 Seite 14 Online

GIST

Kai Pilgermann über sein

Leben mit dieser seltenen

Krebserkrankung


2

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

VERANTWORTLICH FÜR DEN

INHALT IN DIESER AUSGABE

Miriam

Hähnel

"Vier

Millionen

Menschen in

Deutschland

haben eine

Seltene

Erkrankung.

Schenken Sie

ihnen Gehör!"

IN DIESER AUSGABE

13

Dem Tod näher als dem Leben

Dimitra hat EGPA und

erzählt von ihrem Leben mit

der Erkrankung.

16

Was ist mit unserem Kind?

Die Diagnose PFIC stellte

das Leben von Familie

Minich auf den Kopf.

Director Business Development Health:

Miriam Hähnel Geschäftsführung:

Richard Båge (CEO), Philipp Colaço

(Managing Director), Alexandra

Lassas (Head of Editorial & Production),

Henriette Schröder (Sales Director)

Designer: Juraj Príkopa

Mediaplanet-Kontakt: de.redaktion@

mediaplanet.com Coverbild: Privat

Alle Artikel, die mit “in Zusammenarbeit

mit“ gekennzeichnet sind, sind keine

neutrale Redaktion der Mediaplanet

Verlag Deutschland GmbH

facebook.com/

MediaplanetStoriesNorge

@Mediaplanet_germany

Please recycle

Die Belastungen sind

allgegenwärtig

Menschen mit Seltenen Erkrankungen trifft die aktuelle

weltpolitische und wirtschaftliche Lage besonders hart.

Eva Luise

Köhler

Schirmherrin

der Allianz

Chronischer

Seltener Erkrankungen

(ACHSE) e. V.

Fragen wir Menschen mit chronischen

Seltenen Erkrankungen,

was ihr sehnlichster Wunsch ist,

lautet die Antwort umgehend:

Mehr Forschung für Therapien, die

meinem Kind, meinem Partner oder

mir ein schmerzfreies und längeres

Leben, gar Heilungschancen

ermöglichen. Oder die zumindest

Erleichterung im täglichen Leben

bringen. Denn schauen wir genau

hin, hören zu, sprechen miteinander,

wird deutlich, welche enormen

Herausforderungen Betroffene im

Alltag meistern müssen. Sei es,

weil sie ihre Erkrankung immer

neu erklären und bei Behörden für

eine adäquate Versorgung kämpfen

müssen, weil Inklusion an Bildungseinrichtungen

nicht so klappt, wie

es wünschenswert und vor allem

notwendig wäre, oder weil sie zu

dem großen Teil derjenigen gehören,

die ihre Angehörigen zu Hause

pflegen und umsorgen.

Die Auswirkungen der aktuellen

weltpolitischen und wirtschaftlichen

Lage treffen diejenigen

besonders hart, die sowieso schon

zu den vulnerablen Gruppen in

unserer Gesellschaft gehören und

aufgrund einer chronischen Erkrankung

oft über geringere Einkommen

verfügen beziehungsweise höhere

Ausgaben stemmen müssen. Auch

die Corona-Pandemie hat deutliche

Spuren hinterlassen, die Belastungen

sind weiterhin allgegenwärtig.

Erst kürzlich berichtete ein Vater

aus dem Netzwerk der Allianz

Chronischer Seltener Krankheiten

(ACHSE) e. V., wie sehr die Pandemie

noch immer den Alltag der

Familie bestimmt: Zum Schutz der

kleinen Tochter, die an einer Neurodegeneration

mit Eisenablagerung

im Gehirn leidet, isolieren sie sich

weiterhin, denn die Folgen einer

Infektion sind wie bei vielen Seltenen

Erkrankungen nicht abschätzbar.

Das zehrt an den Nerven und

raubt Kraft. Betreuungspersonen,

die für Entlastung sorgen könnten,

fallen immer wieder aus.

Diese besonderen Belastungen in

der Versorgungssituation von Menschen

mit Seltenen Erkrankungen

während der Covid-19-Pandemie

untersucht gerade ein Team vom

Universitätsklinikum Hamburg,

unterstützt von der ACHSE in einer

wissenschaftlichen Befragung. Die

Eva Luise und Horst Köhler Stiftung

für Menschen mit Seltenen Erkrankungen

hat das Forschungsprojekt

ausgeschrieben und finanziert es,

um Versorgungslücken zu identifizieren

und wissenschaftlich fundiert

konkrete Hinweise für eine Verbesserung

zu erarbeiten. Unser Ziel sind

Strukturen, die umfassend sind und

langfristig greifen.

Und was greift im Alltag? Ein offenes

Ohr für die Sorgen und Nöte, das

Betroffene und Angehörige auch bei

der Beratung der ACHSE finden. Sie

steht ratsuchenden Menschen zur

Seite und bietet konkrete Hilfestellung.

Dabei kann sie auf ihr Netz aus

über 130 Selbsthilfeorganisationen

und deren krankheitsspezifisches

Wissen bauen. Die Selbsthilfe ist

eine wesentliche Säule in unserer

Gesellschaft. Sie verdient Anerkennung,

Aufmerksamkeit und bedarf

unserer Unterstützung.


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 3

Seltene Erkrankungen – Die Herausforderungen für Betroffene mehren sich

Nina

Steinborn

Rehabilitationswissenschaftlerin,

ACHSE-Beraterin

für

Betroffene

und Angehörige

Text

Hanna

Sinnecker

Menschen mit Seltenen Erkrankungen

hatten durch die

Pandemie zusätzliche Herausforderungen

zu bewältigen. Hat

sich die Lage normalisiert?

Nein, für Betroffene ist die

pandemische Lage oftmals noch

immer herausfordernd. Einige

unter ihnen konnten z. B. keinen

ausreichenden Impfschutz aufbauen,

deshalb meiden sie auch

weiterhin Kontakte. Gleichzeitig

fühlen sie sich mit ihren bestehenden

Belastungen öffentlich nicht

wahrgenommen. Erkrankte leiden

aktuell zudem ganz besonders

unter den steigenden Preisen

für Lebensmittel und Energie,

da sie wegen eingeschränkter

Arbeitsfähigkeit ohnehin oft am

Existenzminimum leben. Und

auch unter geflüchteten Ukrainern

sind Betroffene, die z. B. spezielle

gesundheitsspezifische Bedarfe an

Unterkünfte aufweisen oder sich

in der hiesigen gesundheitsspezifischen

Versorgungslandschaft

nicht orientieren können.

Was sind die drängendsten

Probleme, mit denen sich die

betroffenen Menschen gerade

an die Beratung der ACHSE

wenden?

Sie finden häufig keine oder

unzureichende Informationen zu

ihrer Seltenen Erkrankung.

In diesem Fall sind unsere

über 130 Mitgliedsorganisationen

kompetente Ansprechpartner. Sie

verfügen über krankheitsspezifische

Expertise und können dabei

unterstützen, an Ärzte zu verweisen,

die sich speziell mit ihrer

Erkrankung auskennen. Außerdem

erhalten wir durchgehend

viele Anfragen von Menschen

mit unbekannter Diagnose, denn

Betroffene durchlaufen oft einen

jahrelangen Ärztemarathon. Die

ratsuchenden Personen unterstützen

wir mithilfe unseres großen

Netzwerks dabei, an entsprechende

Stellen zu gelangen.

Was muss geschehen, damit

Betroffene besser unterstützt

sind?

Es bedarf zugänglicher Patientenpfade

für nicht spezialisierte

Ärzte, aus denen hervorgeht,

welche Schritte im spezifischen

Fall zu verfolgen sind und an wen

sie verweisen müssen. Für

Menschen mit Seltenen Erkrankungen

ist das deutsche Gesundheits-

und Sozialsystem zudem

wie ein Dschungel, weil sich deren

Leistungsbezug aus mehreren

Sozialgesetzbüchern speist. Eine

Lösung dafür wäre die Implementierung

eines entsprechenden

Case-Managements oder auch

sogenannter Patientenlotsen.

ANZEIGE

Seit 30 Jahren führend bei seltenen

Erkrankungen – seit 15 Jahren in Deutschland

Seit 30 Jahren engagieren wir bei Alexion uns jeden Tag für Menschen mit

schwerwiegenden seltenen Erkrankungen und ihre Familien, indem wir

lebensverändernde Therapien erforschen, entwickeln und verbreiten.

Weitere Informationen unter www.alexion.de

DE/CH/AT/UNB-U/0050


4

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

Paramyotonie: Vom Leben in der

Dauerpause zum Leben mit Pausen

Die seltenen nicht-dystrophen Myotonien (NDM) treten in verschiedenen Formen

auf: Die ehemalige Lehrerin Gerlinde Brück, 59, leidet seit ihrer Jugend an einer

sogenannten paradoxen Myotonie (Paramyotonie) und berichtet im Interview, wie

die Krankheit sie über Jahre in die Dauerpause zwang, wie sie selbst auf die Diagnose

kam und wie sie dank der Behandlung heute ein Leben mit Pausen lebt.

Text Doreen Brumme

Gerlinde, wann traten bei

Ihnen erste Beschwerden

auf und wie sahen diese

aus?

Aus der Rückschau hatte

ich bereits als Teenager

erste Beschwerden, doch

damals hielt ich die „Schwächeanfälle“

für normal, für

wachstumsbedingt. Als

junge Erwachsene häuften

diese sich und ich wurde

aufmerksamer. Dabei konnte

ich Regelmäßigkeiten

beobachten, zum Beispiel,

dass die Schwächeanfälle

immer auftraten, wenn ich

lange Strecken ging, viele

Stufen stieg oder es kalt war.

Sie hielten zwischen einer

und drei Stunden an und

zwangen mich zu Pausen.

Beispielsweise war ich, als

ich einmal mit meinem

damaligen Freund eine

Kirmes besuchen wollte

und wir dazu einen Hügel

erklimmen mussten, nicht

dazu imstande. Mein Freund

zog und schob mich nach

oben. Dort angekommen,

musste ich mich lang

hinlegen – und erntete dafür

missbilligende Blicke: Die

Kirmesgäste vermuteten, ich

sei mittags schon betrunken.

Die Schwächeanfälle, teils

mit Lähmungen, wurden

in der Schwangerschaft mit

meinem Sohn mehr und

stärker. Mir ging es immer

schlechter.

Wann wurde die Diagnose

gestellt und was waren bis

dahin große Herausforderungen?

Ich habe viele Ärzte aufgesucht

und mein Leid

geschildert. Von Ratlosigkeit

über Fehldiagnosen,

Ungläubigkeit bis hin zur

nicht gerechtfertigten

Überweisung in die Psychologie

– ich habe alles erlebt.

Sicher lag das auch daran,

dass meine Erkrankung

selten und in ihrer Ausprägung

ungewöhnlich ist

– und so nicht unbedingt in

den Lehrbüchern auftaucht.

Genetische Untersuchungen

sprachen immer wieder

gegen alles Mögliche und

für nichts Konkretes. Immer

wieder ohne Diagnose nach

Hause zu gehen, das war

frustrierend. Das Gefühl,

nicht ernst genommen zu

werden, verletzte. Zumal ich

irgendwann nicht mehr in

der Lage war, meinen Beruf

als Lehrerin auszuüben.

Ich habe oft nur liegen

bleiben können oder musste

mich hinlegen. Weil ich bei

Ich wünsche

mir, dass Ärzte

uns Betroffenen

glauben und uns

und unserem

Leiden mit

echtem Interesse

begegnen.

meinem Sohn recht früh

Auffälligkeiten, darunter die

für NDM typische Steifigkeit

der Muskeln, wahrnahm,

begann ich, selbst zu recherchieren,

was die Ursache

unserer Beschwerden sein

könnte. Ein Zusammenhang

unserer Symptome lag für

mich auf der Hand. 2015 bin

ich draufgekommen: NDM.

Über den Verein Mensch &

Myotonie e. V. kam ich dann

schließlich zu einem Facharzt,

der sich mit meinem

Krankheitsbild auskannte.

2018 erhielt ich meine

Diagnose: Paramyotonie.

Mein Sohn wurde gleichfalls

damit diagnostiziert.

Wie werden Sie behandelt?

Ich nehme seit 2019 ein

Medikament, das eigentlich

ein Herzmittel ist und

bislang das einzige bei NDM

zugelassene ist. Es regelt

die für die Erkrankung

ursächlichen Ionenkanalprobleme

– braucht aber

eine enge kardiologische

Kontrolle. Für mich war und

ist das Mittel ein Gamechanger:

Mich hatten die

täglich wiederkehrenden

Schwächeanfälle über Jahre

täglich immer wieder ans

Bett gefesselt, mitunter

konnte ich nicht mal das

Handy zur Hand nehmen.

Ich lag da und wartete,

dass ich wieder zu Kräften

komme. Und so, wie ich

pausierte, pausierte alles um

mich herum: Arbeit, Social

Life, Haushalt. Ich schaffte

trotz Rollator kaum die

täglichen Gassirunden mit

den Hunden, zwang mich

aber dazu, denn Bewegung

ist ein Muss bei nichtdystrophen

Myoto nien.

Dank des Medikaments

kann ich heute für mich,

Hunde und Katze recht

gut sorgen – immer schön

langsam, immer in meinem

Rhythmus, immer mit

Pausen und leider immer

mit Rückenschmerzen.


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 5

Was gibt Ihnen Lebensfreude?

Ich lese viel, lerne Hindi und

habe seit Kurzem ein Patenkind,

um das ich mich aus

der Ferne kümmere. Dessen

Briefe sind herzerfrischend.

Große Freude machen

mir meine Vierbeiner, die

Mischlingshunde Foxi und

Jack, die Katze Purzel, die

mir wahre Therapietiere

sind. Ich gehe mit den

dreien Gassi, komme so raus

und unter Menschen.

FOTOS: PRIVAT

Wenn Sie auf Ihren Weg mit

der Paramyotonie zurückblicken:

Was wünschen

Sie anderen Betroffenen

bezüglich Diagnose und

Therapie?

Ich wünsche ihnen, dass

ihre Ärzte ihnen glauben,

ihnen und ihrem Leiden mit

echtem Interesse begegnen,

die persönliche

Leidensgeschichte akzeptieren,

auch dann, wenn die

Symptome vom Lehrbuch

abweichen. Den Ärzten

wünsche ich mehr Mut zur

Lücke, keiner kann alles

wissen. Ein allzeit offenes

Ohr hilft uns Betroffenen,

eine ehrliche, klare Aussage

ebenso. Uns Betroffenen

wünsche ich mehr Forschungsgelder,

um neue

Therapien und Medikamente

zu entwickeln, die auf die

individuelle Krankheitsgeschichte

zugeschnitten

werden können.

ANZEIGE

Weitere

informationen

unter:

menschund

myotonie.de


6

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

Erwachsenwerden mit Seltener

Erkrankung

Seltene Erkrankungen sind in der Kinder- und Jugendmedizin gar nicht so rar!

Ungefähr 700.000 der unter 18-Jährigen in Deutschland sind betroffen.

Prof. Dr.

Helge

Hebestreit

Vorsitzender

der Kommission

Seltene

Erkrankungen,

Deutsche Gesellschaft

für

Kinder- und

Jugendmedizin

(DGKJ)

Der Grund: Ca.

70% der insgesamt

ca. 8.000

Erkrankungsbilder

manifestieren sich klinisch

bereits im Kindes- oder

Jugendalter. Die meisten

Seltenen Erkrankungen

verlaufen chronisch, die

Symptome nehmen im

Lauf der Jahre zu und viele

betreffen gleich mehrere

Organsysteme.

Eine möglichst frühzeitige

Diagnose ist für eine frühe

Behandlung und damit oft

für den weiteren Verlauf

entscheidend. In den letzten

Jahren hat hier die molekulargenetische

Diagnostik wie

z. B. die Untersuchung der

gesamten Erbinformation

(Ganzexom- oder Genomsequenzierung)

enorme

Fortschritte gebracht.

Auch in der medizinischen

Versorgung haben

sich neue Wege etabliert:

In den bundesweit mehr

als 30 Zentren für Seltene

Erkrankungen wird für

diese besonderen Patientinnen

und Patienten

neben den pädiatrischen

Spezialist*innen ein ganzes

Team aus weiteren Berufsgruppen

wie z. B. aus der

Psychologie, Kinderkrankenpflege,

Diätberatung

oder Sozialarbeit aktiv, um

die Kinder bestmöglich

zu unterstützen und zu

begleiten. Für die Familien

der Patient*innen entstehen

jedoch häufig weite Wege zu

den Fachzentren, da diese

(etwa für Mukoviszidose,

seltene Hormonstörungen,

seltene neuromuskuläre

Erkrankungen oder seltene

Stoffwechselstörungen)

überregional und zum Teil

bundesweit aufgestellt sind.

Wie bei anderen chronischen

Erkrankungen auch

müssen betroffene Kinder

schon sehr früh lernen,

mit der Krankheit umzugehen.

Je nach Erkrankung

erhalten sie daher bereits

im Vorschul- oder Grundschulalter

Schulungen, um

mit ihren gesundheitlichen

Bedürfnissen und Grenzen,

mit der Medikation

und mit Therapieplänen

zurechtzukommen. Mit

zunehmendem Alter werden

sie dann schrittweise auf das

Verlassen der pädiatrischen

Versorgung vorbereitet – die

Überleitung in die Erwachsenenmedizin

ist aber nicht

auf den 18. Geburtstag fixiert,

sondern ein oft langjähriger

Prozess, der weit früher

beginnt und bis in das junge

Erwachsenenalter hineinreichen

kann. „Transition“

bezeichnet diesen Prozess,

der strukturiert und begleitet

werden muss, z. B. von

spezialisierten Lots*innen.

Sie können verhindern, dass

die Betreuung der Jugendlichen

auf dem Weg in die

neuen Versorgungsformen

unterbrochen wird oder ganz

abbricht und damit gesundheitliche

Schäden entstehen.

Knapp 15 % der Kinder im

Alter bis 17 Jahre sind in

Deutschland von einer

chronischen oder Seltenen

Erkrankung mit speziellem

Versorgungsbedarf betroffen

und benötigen somit einen

solchen strukturierten

Transitionsprozess. Bei der

Umsetzung der Transition

entsteht ein hoher personeller

Aufwand, insbesondere

in den Versorgungsstrukturen

der Pädiatrie. Zudem

bringt der Transfer von

jungen Menschen mit einer

Seltenen Erkrankung eine

weitere Herausforderung

mit sich, denn in der

Erwachsenenmedizin ist ihr

spezielles Krankheitsbild oft

kaum bekannt. Wichtig ist

daher auch, eine*n

kompetente*n

Ansprechpartner*in in der

Erwachsenenmedizin zu

finden. Die Gesundheitskompetenz

der

Patient*innen selbst ist hier

unverzichtbar, um die

eigenen Interessen und

Bedürfnisse wahrnehmen

und vertreten zu können.

Dies zu ermöglichen und zu

fördern, zählt auch zu den

Aufgaben und Herausforderungen

der heutigen

Medizin. Als innovativer

Versorgungsansatz werden

für Menschen mit Seltenen

Erkrankungen auch

altersgruppenübergreifende

Strukturen geschaffen, die

den Transitionsprozess

erleichtern.

Weitere

Informationen

unter:

dgkj.de


Kyowa Kirin ist ein weltweit tätiges

biopharmazeutisches Unternehmen,

das dort unterstützen möchte, wo

es bislang keine ausreichenden

Behandlungsmöglichkeiten gibt.

Hierzu zählt unter anderem der

Bereich der seltenen Erkrankungen.

Das Unternehmen wurde in Japan

gegründet und entwickelt seit dieser

Zeit innovative Therapien in den

Bereichen Nephrologie, Neurologie,

Onkologie und Immunologie. Die

Forschungs- und Entwicklungsarbeit

sowie die Wirkstoffproduktion stützen

sich dabei auf Verfahren der Spitzen-

Biotechnologie aus eigenem Hause.

Das Unternehmen gilt als Pionier in

der Behandlung des nur selten auftretenden

Phosphatdiabetes – einer

zumeist vererbten, lebenslangen

Störung des Phosphatstoffwechsels,

welche die Gesundheit von Knochen,

Muskeln, Sehnen und Gelenken der

Betroffenen beeinträchtigen kann.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz

therapeutischer Antikörper zur

Behandlung seltener onkologischer

Erkrankungen.

Kyowa Kirin verfolgt ein klares Ziel:

sämtlichen Menschen, mit denen

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 7

XLH: Wenn dem Körper Phosphat fehlt

XLH ist eine seltene Störung des Knochenstoffwechsels, die X-chromosomal vererbt wird und zu

einem Phosphatmangel führt. Wir sprachen mit Sabrina Hauck*, die selbst betroffen ist und zwei

erkrankte Kinder hat.

Frau Hauck, wann und wie

hat sich die Erkrankung bei

Ihnen geäußert?

Seit ich sechs Wochen alt war

wurde ich in der Orthopädie

einer Uniklinik behandelt.

Rein orthopädisch. Zuerst

war es die Hüfte, dann, als

ich - sehr spät - mit dem

Laufen begann, entwickelten

sich sofort die für eine

XLH-Erkrankung typischen

X-Beine. Die Verkrümmung

der Knochen wird durch den

für XLH charakteristischen

Phosphatmangel verursacht.

In der Klinik wurde diese

mit vielen Korrekturoperationen

begradigt, doch

zunächst ohne dauerhaften

Erfolg. Ohne Medikation, die

eine Diagnose voraussetzt,

werden die Knochen schnell

wieder krumm, man bleibt

klein und hat weiterhin

starke Schmerzen. Auch

können z.B. Schwerhörigkeit,

Schädeldeformationen oder

Zahnprobleme auftreten. Die

Krankheitslast ist enorm.

Wie wurden Sie dann behandelt?

Ich bekam große Mengen

an Phosphat und Vitamin D,

die ich verteilt über den Tag

einnehmen musste. Meine

Knochen waren ab diesem

Zeitpunkt wesentlich stabiler,

ich hatte weniger Schmerzen

und war insgesamt viel fitter.

Seit einigen Monaten bekomme

ich ein Medikament, das

bei Erwachsenen nur alle vier

Wochen verabreicht werden

muss.

Auch Ihre beiden Kinder

sind betroffen: Wie wirkt

sich die Erkrankung auf

Ihren Familienalltag aus?

Unsere Kinder wurden

früh diagnostiziert und

behandelt. Dennoch haben

sie Symptome: Körperlich

wirkt sich die Erkrankung

bei unseren Kindern sehr

unterschiedlich aus. Ein

Kind hatte schon im Kleinkindalter

die XLH-typischen

Zahnprobleme, in Form

von Abszessen, Fisteln und

Zahnverlusten. Das andere

Kind ist zahngesund, hat

aber eine Muskelschwäche

und ist körperlich nicht so

belastbar. Für die Kinder und

uns als Familie waren und

sind die zahllosen Termine

bei Ärzten und Therapeuten,

und die stets ermüdenden

Verhandlungen mit der

Krankenkasse, sehr quälend.

Das Anderssein durch die

Erkrankung belastet die Kinder

zudem. Die Umstellung

auf das neue Medikament,

das bei Heranwachsenden

alle zwei Wochen verabreicht

werden muss, führte gerade

bei unseren Teenagern zu

einer verbesserten Lebensqualität.

Trotzdem kann die

Therapie nicht alles verhindern.

Das Leben mit XLH ist

weiter beschwerlich und von

Schmerzen geprägt.

Welche Rolle spielt für Sie

die Vernetzung mit anderen

Betroffenen?

Für meine Kinder war es

wichtig, andere betroffene

ANZEIGE

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der Kyowa Kirin GmbH entstanden.

Kyowa Kirin engagiert sich für Menschen

mit seltenen Erkrankungen

KKI/DE/KKI/0363

es sich im Austausch befindet, ein

Lächeln zu schenken – nicht nur durch

die Entwicklung neuer Wirkstoffe, sondern

auch durch gelebte Partnerschaften,

konsequenten Umweltschutz

und ein positives Arbeitsumfeld für

sämtliche Mitarbeiter. Das Unternehmen

sucht weltweit den Austausch

mit Betroffenen und Beteiligten, um

gemeinsam und kontinuierlich bessere

Antworten auf Patientenbedürfnisse

zu finden. Das Unternehmen wird

sich auch zukünftig für eine bessere

Zukunft einsetzen, getrieben von dem

Ansporn „Make people smile“.

*Name von

der Redaktion

geändert

Kinder kennenzulernen.

Für uns als Eltern spielt

der Austausch eine ebenso

wichtige Rolle: Man kann

Vergleiche ziehen, Informationen

austauschen, sich

Tipps geben. Und natürlich

stärkt der Zusammenhalt

sehr: dadurch, dass man

plötzlich zu Vielen ist, hat

diese seltene Erkrankung

eine viel größere Aufmerksamkeit

bekommen, wir

sprechen nun mit einer

starken Stimme.

Die Patientenorganisation

Phosphatdiabetes e.V. ist eine

Gemeinschaft von Betroffenen

und Angehörigen, die

Informationen bereitstellt, Hilfestellung

anbietet und durch

persönlichen Erfahrungsaustausch

im Umgang mit der

Erkrankung unterstützt. Die

Belange aller Altersstufen –

von Kindern, Jugendlichen

und Erwachsenen – finden

Beachtung.

Weitere Informationen unter:

www.phosphatdiabetes.de

Weitere

Informationen

unter:

www.kyowa

kirin.com


8

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

Therapielinien für

GIST – Die Krankheit

kontrollieren

Prof. Dr. med.

Sebastian Bauer,

Leiter des Sarkomzentrums

am

Westdeutschen

Tumorzentrum der

Universitätsklinik

Essen

Gastrointestinale Stromatumoren (kurz GIST) sind

sehr seltene Weichteiltumoren (Sarkome), die im

Magen-Darm-Trakt entstehen. In Deutschland

erkranken pro Jahr ein bis zwei von 100.000

Menschen, die meisten sind bei Diagnosestellung 60

Jahre alt oder älter. Prof. Dr. med. Sebastian Bauer,

Leiter des Sarkomzentrums am Westdeutschen

Tumorzentrum der Universitätsklinik Essen, der

auch im Vorstand der Deutschen Sarkom-Stiftung

ist, erklärt, was die Herausforderungen bei der

Behandlung von GIST in späten Stadien sind.

Text Miriam Barbara Rauh

FOTO: FRANK PREUSS

Was sind die besonderen Herausforderungen

bei GIST im

Verlauf der Erkrankung?

Die Therapien wirken bei vielen

Patient*innen nur eine begrenzte

Zeit, da sich Resistenzen entwickeln.

Hier muss man dann die

Therapie wechseln. Spätere Therapielinien

sind oft weniger gut

verträglich und wirken kürzer als

die Erstlinientherapie. Insgesamt

haben wir derzeit vier zugelassene

Therapien zur Verfügung.

Eine weitere Herausforderung

ist die flächendeckende spezialisierte

Versorgung betroffener

Patient*innen. Es gibt nicht viele

Ärzt*innen in Deutschland, die

GIST im Schwerpunkt behandeln.

In den erfahrenen Zentren

können, meist in Absprache mit

den Behandler*innen vor Ort, die

einzelnen Therapiesequenzen

immer wieder länger ausgereizt

werden – mit Konsequenzen für

Lebensqualität und -dauer der

Betroffenen. Das Angebot von klinischen

Studien zu GIST ist hier

meist der wichtigste Indikator für

besondere Expertise.

Wie sieht die Prognose derzeit

aus, und hat sich diese in den

vergangenen Jahren geändert?

Als ich 1999 mein Examen

machte, gab es noch keine

Therapien für diese Erkrankung,

Patient*innen mit GIST sind in

dieser Zeit meist innerhalb von

ein bis zwei Jahren verstorben.

Das hat sich in den letzten 20

Jahren dramatisch geändert.

Heute haben wir Medikamente,

mit denen ein Teil der Betroffenen,

etwa 10 Prozent, sogar eine

nahezu normale Lebenserwartung

hat. Jede weitere Therapielinie

dient dazu, die Zeit ohne

Beschwerden durch den Tumor

und natürlich die Lebenserwartung

zu verlängern.

Wie äußert sich GIST bei den

Betroffenen insbesondere in

späten Stadien?

„Späte Stadien“ bedeutet in

der Regel hier eine gestreute

Erkrankung in die Leber oder das

Bauchfell. Beschwerden durch den

Tumor entstehen hier meist eher

durch Verdrängung von gesundem

Gewebe – das ist anders als bei den

häufigen Karzinomen im Bauchraum.

Wenn der Tumor in den

Schleimhautbereich hineinwächst,

können Patient*innen eine Blutung

bekommen, die sie entweder

im Stuhlgang bemerken oder die

sich über eine Blutarmut zeigt.

Eine Zunahme des Bauchumfangs,

Gewichtsverlust, Leberfunktionsstörungen

oder Darmverschluss

Weitere Informationen

zur Arbeit der

Deutschen

Sarkom-

Stiftung

finden Sie

unter:

sarkome.de


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 9

treten meist erst am Ende

der Krankheit auf – was eine

überwiegend ambulante

Betreuung erlaubt.

Welche Behandlungsoptionen

gibt es? Wie ist

deren Stellenwert?

Chemotherapie spielt bei

GIST keine Rolle, es werden

ausschließlich zielgerichtete

Therapien angewendet.

GIST gehört zu den

Krebserkrankungen, deren

Krankheitsmechanismus

erstaunlich gut bekannt ist.

Das Treiberprotein lässt sich

sehr effektiv medikamentös

hemmen. Das Imatinib wirkt

am längsten und ist am

besten verträglich und daher

der Standard am Anfang.

Sobald Patient*innen

auf Imatinib nicht mehr

ansprechen, muss man auf

eine andere Therapielinie

umsteigen. Die Zweit- und

Drittlinien-therapien sind im

Mittel deutlich kürzer wirksam,

bevor sich Resistenzen

bilden. An dieser Stelle wird

derzeit viel geforscht, man

versucht, die Ausbildung von

Resistenzen hinauszuzögern

oder sogar zu verhindern.

Wie oben erwähnt, beobachten

wir bei 10 Prozent der

Patienten keine Resistenzen

mit Imatinib, und Betroffene

haben möglicherweise eine

normale Lebenserwartung.

Allerdings lässt sich das

nicht vorhersagen.

Bei der Therapie spielen

für Patient*innen in den

verschiedenen Phasen

der Erkrankung nebst

der Wirksamkeit auch

die Verträglichkeit und

Lebensqualität wichtige

Rollen. Wie sieht es bei

den Behandlungsoptionen

gerade in den späteren

Stadien aus?

Imatinib ist eine der am

besten verträglichen

Tumortherapien überhaupt.

Viele Patient*innen

können trotz Therapie ein

normales Leben führen, zur

Arbeit gehen, sogar Leistungssport

ist für manche

Betroffene möglich. Die

breitere Wirksamkeit der

zweiten und dritten Therapielinie

geht leider auch mit

stärkeren Nebenwirkungen

einher. Betroffene haben

dann beispielsweise mit

Entzündungen der Mundschleimhaut

zu kämpfen

oder mit Entzündungen von

Händen und Füßen. Beides

beeinflusst den Alltag der

Patient*innen deutlich. Hier

gilt es, die Dosis möglichst

individuell zu optimieren.

Im letzten Jahr wurde

erstmals ein Medikament

speziell für die GIST (als

Viertlinientherapie) entwickelt,

Ripretinib. Es hat einen

deutlichen Überlebensvorteil

und verbessert sogar die

Lebensqualität gegenüber

keiner Therapie. Das ist ein

wichtiger Schritt, um die

Zahl der Patient*innen, die

mit GIST ein normales Leben

führen können, weiter zu

steigern.

Haben Sie eine Empfehlung

für Betroffene?

Ich empfehle Patient*innen,

sich mit anderen Betroffenen

zu vernetzen. Die

Deutsche Sarkom-Stiftung

bietet ideale Möglichkeiten

dafür. Jede*r GIST-

Patient*in sollte zudem zu

Beginn der Erkrankung

einmal in einer Schwerpunktsprechstunde

vorstellig

werden und bei aktiver

Therapie auch regelmäßig

vorstellig werden.

ANZEIGE

Deciphera –

inspired by patients, driven by science

Deciphera ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das sich auf die Entdeckung, Entwicklung und das

Inverkehrbringen wichtiger neuer Medikamente konzentriert, um das Leben von Menschen mit Krebs zu

verbessern. Der Firmenname „Deciphera“ leitet sich aus dem englischen Wort „decipher“, auf Deutsch

„ergründen, entschlüsseln“, ab.

Deciphera hat sich zum Ziel gesetzt, Tyrosinkinasen zu untersuchen und Schlüsselstellen für den Ansatz

innovativer Medikamente zu identifizieren. Das Unternehmen nutzt die firmeneigene Switch-Control-

Kinaseinhibitor-Plattform und die umfassende Expertise seiner Mitarbeiter:innen in der Biologie der

Kinasen zur Entwicklung eines breiten Portfolios innovativer Therapieansätze insbesondere im Bereich

von fortgeschritten Gastrointestinalen Stromatumoren (GIST).

GIST sind seltene maligne Tumoren aus der Gruppe der Weichteilsarkome. Gen-Mutationen in den

Tyrosinkinasen KIT oder PDGFRA treiben das Tumorwachstum. GIST können in jedem Alter auftreten. Das

mittlere Alter für den Ausbruch liegt bei etwa 60 Jahren. Etwa die Hälfte der Patienten:innen haben bereits

bei Diagnosestellung Metastasen. Entstehende Sekundärmutationen führen auch unter Therapie beim

fortgeschrittenen GIST zu einem Progress – daher der Bedarf nach neuen Medikamenten mit innovativen

Wirkansätzen.

®


10

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

Es dreht sich alles

um Rot-Weiß!

Martina erhielt die Diagnose Polycythaemia vera (PV), ein seltener Blutkrebs

der Gruppe der Myeloproliferativen Neoplasien (MPN), im Jahr 2007. Typisch

für die Erkrankung ist eine Überproduktion roter Blutkörperchen, die viele

Symptome verursachen kann und so die Diagnose erschwert. Untypisch ist,

dass die PV mit Martina eine Frau traf, die erst 24 Jahre alt war.

Text Doreen Brumme

Martina, wann merkten

Sie, dass gesundheitlich

etwas nicht stimmt, und

welche Beschwerden hatten

Sie?

Nach meiner Ausbildung

zur Krankenschwester im

Jahr 2003 hatte ich immer

wieder Kreislaufbeschwerden:

Herzrasen, Schwindel.

Als „Frau vom Fach“ ließ ich

meine Blutwerte regelmäßig

testen – die waren immer

wieder auffällig: Mein Körper

produzierte ständig zu

viele rote Blutkörperchen.

Eine Knochenmarkpunktion

brachte 2007 mit der Diagnose

Polycythaemia vera die

Gewissheit: Ich hatte eine

Form von chronischem Blutkrebs.

Dass die Krankheit

in so jungen Jahren auftrat,

überraschte meine Hausärztin,

an die der Facharzt

die Diagnose weitergereicht

hatte. Sie kannte sie nur bei

Älteren, kniete sich dann

aber ins Thema rein und ich

fühle mich bei ihr – neben

der zusätzlichen Betreuung

durch eine Uniklinik – bis

heute gut aufgehoben. Auch

ich war überrascht, auf meiner

To-do-Liste fürs Leben

stand doch noch so viel!

War es für Sie ein Vorteil,

dass Sie selbst im Krankenhaus

arbeiteten?

Einerseits schon: Mein

medizinischer Hintergrund

ließ mich von Anfang an

verstehen, was mit mir

los ist, was die Therapien

bedeuten. Ich stellte die

richtigen Fragen, analysierte

meine Blutwerte selbst.

Auch die Kommunikation

mit dem Krankenhaus als

Arbeitgeber fiel leichter. Ich

traf auf Verständnis, musste

nicht viel erklären. Andererseits

sah ich im Krankenhaus,

in dem ich damals

arbeitete, die teils sehr

bösen Gesichter von Krebs

ungeschminkt. Der Krebs

trübte die Aussicht auf mein

Leben dramatisch, ich verzichtete

beispielsweise sehr

bewusst auf Kinder, weil

ich um sämtliche mögliche

Komplikationen wusste,

versorgte ich doch immer

wieder schwer kranke und

auch sterbende Patient*innen.

Was kam nach der Diagnose?

Meine seltene Form von

Blutkrebs behielten wir nach

dem Prinzip „watch and

wait“ im Auge: Ich musste

alle drei Monate zur Blutkontrolle.

Es ging immer um

die Frage: Wie viele rote, wie

viele weiße Blutkörperchen

habe ich und wie hoch ist

der Hämatokrit? Parallel

setzte ich die Antibabypille

ab, um die Thrombosegefahr

zu senken, die bei PV wegen

des Überschusses roter

Blutkörperchen eh schon

sehr hoch ist. Die daraufhin

einsetzende Monatsblutung

war regelmäßig sehr stark,

was sich als ein glücklicher

Umstand herausstellte: Sie

diente mir als „natürlicher

Aderlass“. Eine Zeit lang ging

es mir ok, die Symptome

gingen zurück, ich arrangierte

mich mit meiner chronischen

Krebserkrankung: Ich

war immer sportlich, achtete

jetzt besonders auf einen

gesunden Lebensstil.

2013 waren die Symptome

zurück, neue kamen

hinzu und blieben bis heute:

Nachtschweiß, Muskel- und

Knochenschmerzen, Eisenmangel,

Konzentrationsstörungen,

Kurzatmigkeit bis

Atemnot, Fatigue, Sehstörungen.

Ich reduzierte

meine Arbeitszeit, wechselte

nach einer Fachweiterbildung

schließlich an den

Schreibtisch und mehrmals

den Arbeitgeber. Heute

arbeite ich in Teilzeit im

Staatsdienst. Darüber bin

ich echt froh, denn meine

Vorgesetzten sind Mediziner,

ich kann in Gleitzeit

und auch im Homeoffice

arbeiten. Letzteres weiß ich

immer öfter zu schätzen,

denn selbst ein kurzer Gang

fällt mir inzwischen oft

schwer. Ich komme immer

häufiger an den Punkt:

„Scheiße, das geht doch

nicht mehr!“ Ich habe mittlerweile

eine medikamentöse

Therapie angefangen und

bin viel engmaschiger in

medizinischer Betreuung.

Wie kommen Sie aus

solch düsteren Momenten

heraus?

Ich mache Achtsamkeitsübungen,

Meditation, Yoga.

Ich setze auf die kleinen

Dinge des Lebens: einen

gemütlichen Abend mit meinem

Lebensgefährten, einen

kurzen Spaziergang, eine

Auszeit auf dem Balkon. Ich

male. Und natürlich genieße

ich die Vorteile, die die


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 11

Martina

PV-Patientin

Digitalität mit sich bringt. Statt selbst

zu lesen, höre ich gerne Podcasts.

Statt viele Menschen persönlich

zu treffen, treffe ich sie im Internet.

Das ist für mich als chronisch

Krebskranke in Coronazeiten schon

vorteilhaft gewesen, moduliert doch

das Medikament, das ich nehme,

mein Immunsystem. Und wenn es

mal ganz düster wird, dann hilft mir

meine Psychotherapeutin da raus.

Auch der Austausch mit anderen

Betroffenen im Selbsthilfeforum des

MPN-Netzwerks tut mir sehr gut.

Was hilft seitens der Medizin, aber

auch seitens des Umfeldes, damit

Sie und andere Betroffene den

Alltag meistern?

Meinen Blutkrebs sieht man mir

nicht an. Das bringt mich bei

Nichtmedizinern regelmäßig in die

Rechtfertigung, insbesondere bei

Behördengängen. Es frustriert schon,

dass ich mich als chronisch Krebskranke

auf dem Arbeitsmarkt unter

Wert verkaufen musste, das aber

hinnehme, um überhaupt arbeiten

zu können. Die bürokratischen

Schritte bis zur Teilerwerbsrente

kamen mir wie hohe Hürden vor,

aber ich bin letztendlich sehr froh,

dass ich diese finanzielle Unterstützung

bekomme. Von der Medizin

wünsche ich mir, dass sie mich ernst

nimmt, meine Krankheit erforscht

und stets weiter an neuen Therapien

und Medikamenten arbeitet. Ich bin

natürlich sehr dankbar, dass ich ein

Medikament bekomme, das die

Krankheit in Schach hält. Aber es

sind bei den derzeit verfügbaren

Therapien natürlich auch Nebenwirkungen

möglich, die nicht unerheblich

sein können. Von meinem

privaten Umfeld und vor allem von

meinem Freund bin ich auf viel

Rücksicht und Verständnis für die

Ups and Downs meines Wohlgefühls

angewiesen – und zugleich möchte

ich nicht nur die Krebskranke sein:

Ich bin immer noch Partnerin,

Freundin, Sportbegeisterte, Künstlerin

und mehr.

MPN-

NETZWERK

– EIN NETZ,

DAS TRÄGT

Das mpn-netzwerk e. V. ist

eine Selbsthilfeinitiative für

Menschen mit Myeloproliferativen

Neoplasien (MPN) und

ihre Angehörigen. Wir stellen

fundierte, allgemein verständliche

Informationen zu MPN-

Erkrankungen zur Verfügung

und bieten Patient*innen

und deren Angehörigen die

Möglichkeit, sich miteinander

auszutauschen und zu

vernetzen. Zudem arbeiten

wir eng mit einschlägigen

Expert*innen für die MPN-

Erkrankungen zusammen,

um die Forschung weiter

voranzutreiben. Weitere Informationen

finden Sie unter:

www.mpn-netzwerk.de

ANZEIGE


12

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

Komorbiditäten bei ANCAassoziierter

Vaskulitis

Text Klaus Heinz-Wagner

Klaus Heinz-

Wagner

Vorsitzender

Vaskulitis e.V.

Die beschriebenen Erkenntnisse

hinsichtlich der Therapie

einer ANCA-Vaskulitis,

zu denen auch die Eosinophile

Granulomatose mit

Polyangiitis (EGPA) gehört,

und der damit verbundenen

Komplikationen verdeutlichen

den Zusammenhang

zwischen einer ANCA-

Vaskulitis und dem erhöhten

Risiko des Auftretens

von Begleiterkrankungen

(sog. Komorbiditäten). Die

absolute Notwendigkeit

einer immunsuppressiven

Therapie bei Patienten und

Patientinnen mit einer

ANCA-Vaskulitis machen

die daraus resultierenden

Konsequenzen unumgänglich.

Daher sind die Prophylaxe

sowie die Früherkennung

möglicher Komplikationen

im Rahmen der immunsuppressiven

Therapie

essentiell, um Betroffene vor

weiteren Belastungen, die

das Ergebnis verschlechtern,

zu bewahren. In dieser Arbeit

liegt der Fokus auf den

Glukokortikoiden, die in der

Therapie zur Anwendung

kommen und einen Einfluss

auf den Glukosestoffwechsel

haben.

Eine schwedische bevölkerungsbezogene

Kohortenstudie ergab,

dass im Vergleich zur

Allgemeinbevölkerung

(alters- & geschlechterangepasste

Referenzgruppe)

ANCA-Vaskulitis Patienten

und Patientinnen höhere

Raten ärztlicher Konsultationen

aufgrund auftretender

Begleiterkrankungen

aufweisen. Ursächlich

hierfür seien unter anderem

immunsuppressive Medikamente,

welche zur Therapie

der ANCA-Vaskulitis

eingesetzt werden und das

Auftreten von Komorbiditäten

prädisponieren.

Lange Zeit wurde die

Mortalität aufgrund kardiovaskulärer

Ereignisse bei

ANCA Vaskulitis Patienten

und Patientinnen unterschätzt.

Darunter fallen vor

allem Erkrankungen wie

die arterielle Hypertonie,

ischämische Herzerkrankungen

sowie Myokardinfarkt.

Es wird daher eine

regelmäßige Einschätzung

kardiovaskulärer Risikofaktoren

und Anpassung der

Medikation zur Behandlung

einer Hypertonie, einer

Hypercholesterinämie sowie

eines Diabetes mellitus

empfohlen. Psychologische

Erkrankungen, Osteoporose

sowie ein Diabetes mellitus

können ebenfalls als Begleiterkrankung

im Rahmen

einer ANCA-Vaskulitis

auftreten.

Das Vorkommen einer

arteriellen Hypertonie und

eines Diabetes mellitus

könnten sich als direkte

Folge der Nierenschädigung

durch die ANCA-Vaskulitis

bzw. als Konsequenz der

langfristigen Glukokortikoid-Therapie

erklären.

Die ANCA-Vaskulitis stellt

zudem einen wichtigen

prädisponierenden Faktor

für das Vorkommen thromboembolischer

Ereignisse

(tiefe Venenthrombose,

Pulmonalarterienembolie)

dar – insbesondere im

Rahmen von Episoden der

Behandlung einer aktiven

Vaskulitis.

Ein erhöhter Kreatinin-

Basiswert sowie die Beteiligung

der Haut und des

Gastrointestinaltrakts im

Rahmen einer ANCA-Vaskulitis

sollen laut kürzlich

durchgeführten Analysen

von der Europäischen

Gesellschaft für Vaskulitis

zum Risiko thromboembolischer

Ereignisse beitragen.

In aktiven Krankheitsphasen

von ANCA-Vaskulitis Patienten

und Patientinnen sind

entscheidende Gerinnungsparameter

beeinträchtigt.

Es zeigt sich eine Erhöhung

der Thrombozytenzahl,

des D-Dimer-Wertes (Der

D-Dimer-Wert ist also ein

Laborwert, der Veränderungen

in der Blutgerinnung

aufzeigt) sowie des Fibrinogens.

In Phasen der

Remission zeigen sich

unter anderem höhere

Konzentrationen des Faktor

VIII sowie des endogenen

Thrombinpotentials. Infolge

der Hyperkoagulabilität sind

ANCA-Vaskulitis Patienten

und Patientinnen daher

einem höheren Risiko

thromboembolischer Ereignisse

ausgesetzt.

Was ist der Unterschied

in der Behandlung

bei Multimorbidität &

Komorbidität?

Komorbidität: Das

Auftreten zusätzlicher

Erkrankungen im Rahmen

einer definierten

Grunderkrankung.

Multimorbidität: Das

gleichzeitige Auftreten

mehrerer Krankheiten bei

einem Betroffenen.

Weitere Unterstützung

finden Betroffene und deren

Angehörige bei dem bundesweit

tätigen Verein

„Vaskulitis e. V.“:

Hauptstraße 6

54526 Landscheid/Eifel

Tel.: 06575-9014995

Fax.: 06575-903794

Weitere Informationen unter

info@vaskulitisverein-rlp.

de www.vaskulitisvereinrlp.de


Dimitra

EGPA-

Patientin

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG entstanden.

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 13

Ich war dem Tod näher als dem Leben

Text

Franziska

Manske

Dimitra, du hast die seltene

Erkrankung EGPA. Wie hat sich

die Erkrankung bei dir bemerkbar

gemacht?

Als ich neun Jahre alt war, habe ich

plötzlich schweres Asthma bekommen

und niemand konnte sich

erklären, woher das kam. Anfangs

wurde eine Allergie vermutet, aber

auch mit verschiedenen Therapien

wurde es nicht besser.

Wie ging es dann weiter?

Nach dem Asthma bekam ich

2011 meine erste Perikarditis, eine

Entzündung des Herzbeutels. Das

wurde mit Kortison behandelt.

Dadurch wurde es besser, dann

kam jedoch 2012 eine Darmentzündung

hinzu und Anfang 2013

eine Lungenentzündung und

erneut eine Perikarditis – da war

ich dann gesundheitlich komplett

am Ende. Insgesamt waren bei

mir Lunge, Herz, Darm und die

Nerven von der EGPA betroffen.

Du warst jahrelang kerngesund.

Plötzlich kommt ein gesundheitlicher

Tiefschlag nach dem

anderen. Wie bist du damit

umgegangen?

Mir ging es krankheitsbedingt so

schlecht, dass ich nicht mehr viel

davon weiß. Ich habe diese Zeit

wie im Delirium erlebt, selbstständig

konnte ich fast gar nichts

mehr machen. Es gab Momente,

in denen ich Angst hatte, zu

sterben. Doch ich habe sie dann

immer wieder verdrängt, denn

zu sterben war keine Option – ich

wollte leben. Teilweise war ich

dem Tod näher als dem Leben.

Als ich 2013 ins künstliche Koma

versetzt wurde, hatten mich die

Ärzte abgeschrieben. Zehn Tage

verbrachte ich in diesem Zustand.

Die richtige Diagnose ist die halbe Miete

Wie hast du dich zurück ins

Leben gekämpft?

Als ich aus dem Koma erwacht

bin, war ich blind, weil meine

Sehnerven geschädigt waren.

Obwohl ich nichts sah, war ich

total positiv gestimmt. Ich habe

gespürt, wie überglücklich meine

Familie in diesem Moment war,

dass dies einfach auf mich übergangen

ist. Kurz darauf kam dann

auch die Diagnose und aus dem

jahrelangen Leid wurde endlich

wieder Leben.

Nun bekomme ich seit einiger

Zeit ein Biologikum, das mein

Freund mir einmal im Monat

spritzt. Das hat mir mein Leben

zurückgegeben. Ich bin komplett

beschwerdefrei und kann ein

völlig normales Leben führen

– dafür bin ich jeden Tag

dankbar.

Etwa 400 verschiedene Erkrankungen gehören zum rheumatischen Formenkreis. Darunter auch die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis

(EGPA) und das hypereosinophile Syndrom (HES). EGPA und HES werden häufig erst Monate nach Symptombeginn diagnostiziert. Zeit, in der die

Grunderkrankung voranschreitet und die Lebensqualität der Betroffenen immer mehr leidet, bis hin zum tödlichen Verlauf.

Prof. Hellmich, Ihre Klinik ist spezialisiert

auf systemische-rheumatische

Erkrankungen, wie EGPA und HES.

Was macht die Diagnose so schwierig?

Das liegt sowohl an der Seltenheit wie auch

der Heterogenität der Krankheitsbilder. Die

ersten Anzeichen reichen von allgemeiner

Müdigkeit, Fieber, Muskelschmerzen bis

hin zu Hautveränderungen oder Herzbeschwerden.

Bei EGPA tritt in frühen Phasen

häufig ein Asthma auf, manchmal begleitet

von Nasenpolypen. Treten weitere Beschwerden

auf, kann es einige Zeit dauern,

bis ein Zusammenhang auffällt. Meist

pendeln Betroffene zwischen Hausarzt und

verschiedenen Fachärzten, bis der Krankheitsprozess

erkannt wird und sie beim

Spezialisten landen. In dieser Zeit nimmt die

Lebensqualität der Betroffenen kontinuierlich

ab und die unterschwellig lodernden

Entzündungsprozesse können schon zu oft

irreparablen Organschäden geführt haben.

Wie kommen die Betroffenen zur richtigen

Diagnose?

Entscheidend ist, erst mal an die Möglichkeit

einer seltenen Erkrankung zu denken,

z.B. wenn eine chronische Entzündung

mehrerer Organe vorliegt, die nicht auf

Antibiotika anspricht. Ein wichtiger Punkt

ist dann sicherlich die interdisziplinäre

Zusammenarbeit. Die Kollegen müssen

sich über die Befunde austauschen und

ihre Puzzleteile zusammenlegen. Bzgl. der

Diagnose selbst kann im ersten Schritt ein

Blutbild zur Analyse von Biomarkern wie

Eosinophilen, Entzündungswerten etc. Hinweise

geben. Diese Ergebnisse sollten um

bildgebende Verfahren ergänzt werden. Je

nach betroffenem Organ kann auch eine

Gewebeprobe weiteren Aufschluss geben.

Dazu ist immer die Überweisung in eine

Spezialklinik ratsam.

Gibt es Behandlungsmöglichkeiten für

diese seltenen Erkrankungen?

Seltene Erkrankungen sind generell ein

schwieriges Feld, da es wenige Studiendaten

und nicht viele zugelassene Behandlungsoptionen

gibt. Die herkömmliche

Strategie besteht darin, die körpereigene

Abwehr mit Kortikosteroiden und/oder Immunsuppressiva

runterzufahren. Da wir sie

im Alltag zur Abwehr von Bakterien, Viren

oder Parasiten aber brauchen, wandelt

man hier auf einem sehr schmalen Grat.

Moderne Wirkstoffe wie Biologika bieten

die Möglichkeit, spezifischer in die pathologischen

Prozesse einzugreifen. Dabei

handelt es sich um Antikörper, die einzelne

Entzündungsprozesse blockieren können.

Für die Betroffenen von Erkrankungen wie

EGPA und HES stellen diese modernen

Technologien eine wichtige Perspektive

dar. Doch alles beginnt eben mit der richtigen

Diagnose.

Prof. Dr. Bernhard

Hellmich

Klinik für Innere

Medizin, Rheumatologie

und

Immunologie, EU-

Referenzzentrum

für Autoimmunvaskulitiden

(ERN-RITA),

Medius Kliniken,

Kirchheim-Teck,

Deutschland

NP-DE-MPL-ADVR-220015


14

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

„Mehr darüber sprechen“

Die Sichelzellkrankheit ist weltweit eine der am häufigsten vorkommenden Erberkrankungen.

Besonders Menschen in Afrika, dem Nahen Osten, dem Mittelmeer- und dem indischen Raum oder

mit Wurzeln in diesen Regionen können betroffen sein. In Deutschland hingegen ist die Krankheit

zwar noch recht selten, aber die Zahl der Betroffenen steigt. Ging man Ende der Neunziger Jahre von

350 Patient*innen aus, schätzt man die Zahl heute auf 3.500. Wir sprachen mit Carmen Aramayo-

Singelmann über die Notwendigkeit einer angemessenen Versorgung Betroffener und über die

zusätzlichen Hürden, mit denen sich viele Patient*innen hierzulande konfrontiert sehen.

Carmen

Aramayo-

Singelmann

Assistenzärztin

an der

Kinderklinik

(Hämatologie-Onkologie)

der

Universität

Essen und

Leiterin der

Sprechstunde

für

Patienten mit

der Sichelzellkrankheit

Text Miriam

Barbara Rauh

Frau Aramayo-Singelmann,

Sie behandeln unter

anderem Patient*innen, die

an der Sichelzellkrankheit

leiden. Was passiert bei

der Erkrankung im Körper

Betroffener und wie wirkt

sie sich konkret aus?

Die Krankheit ist vielfältig.

Betroffene haben sowohl

chronische als auch akute

Gefäßverschlüsse und leiden

dadurch an wiederkehrenden

Schmerzkrisen. Es

können Schlaganfälle und

akutes Organversagen vorkommen.

Die Erkrankung

kann Schäden am gesamten

Körper hervorrufen.

Welche Therapiemöglichkeiten

gibt es, um die Erkrankung

zu therapieren,

wo können sich Betroffene

behandeln lassen?

Eine Heilung ist derzeit nur

mithilfe einer Stammzellentransplantation

möglich.

Die aktuellen zugelassenen

Therapien für Betroffene mit

einer Sichelzellkrankheit

werden eingesetzt, um der

Symptomatik der Erkrankung

vorzubeugen, wie zum

Beispiel den schmerzhaften

vaso-okklusiven Krisen. Als

Therapeutikum ist z. B. ein

Zytostatikum seit 2007 in

Europa zugelassen, das bei

Kindern ab zwei Jahren eingesetzt

werden kann. Es gibt

seit Kurzem zwei weitere

Medikamente für Patienten,

die ab 12 bzw. 16 Jahren in

Deutschland zugelassen

sind.

Können Betroffene unter

Therapie ein normales

Leben führen?

Nein, leider nicht. Es sind

regelmäßige ärztliche

Kontrollen notwendig, und

Krankenhausaufenthalte

sind durch die akuten Komplikationen

sehr häufig. Um

diese akuten Komplikationen

zu vermeiden, müssen

Betroffene auf manche

Aktivitäten verzichten.

Da die Therapien

von erfahrenen

Fachmediziner*innen eingesetzt

werden: Erreichen

diese Therapiemöglichkeiten

die in Deutschland

lebenden Patient*innen?

Gibt es Unterschiede

zwischen Kindern und

Erwachsenen, zwischen

Stadt und Land?

Alle Patient*innen in

Deutschland können von

den verfügbaren Therapien

profitieren. Hier ist es

wichtig, daran zu arbeiten,

sowohl alle betreuenden

Kolleg*innen als auch die

Patient*innen über diese

Therapien zu informieren.

Für Betroffene, die auf dem

Land leben und von niedergelassenen

Ärzten betreut

werden, würde es das sehr

vereinfachen, von den neuen

Therapien zu profitieren.

Wir empfehlen, etwa einmal

im Jahr für verschiedene

Untersuchungen in ein

multidisziplinäres Zentrum

zu kommen, z. B. nach

Essen, Köln, Ulm, Berlin,

Hamburg oder Heidelberg.

Darüber hinaus versuchen

wir, möglichst viel mit niedergelassenen

Kolleg*innen

zusammenzuarbeiten. Eine

Rolle spielt auch das Alter –

mit 16 Jahren hat man mehr

Therapiemöglichkeiten als

jüngere Betroffene.

Patient*innen mit einer

Sichelzellkrankheit haben

häufig afrikanische,

arabische, indische oder

mediterrane Wurzeln. Mit


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 15

welchen Herausforderungen

sehen sich Betroffene zusätzlich

zur Krankheitslast in Deutschland

konfrontiert?

Wenn man in ein neues Land

kommt, sich ganz neu einlebt und

die Sprache noch nicht spricht,

vielleicht auch traumatische

Erlebnisse auf einer Flucht hatte,

hat man an sich genug damit zu

tun. Für Außenstehende ist kaum

vorstellbar, wie schwer es für die

Familien ist, wenn noch eine

chronische Erkrankung hinzukommt.

Oft wissen Familien auch

zunächst gar nicht, was ihnen oder

ihren Kindern fehlt. Hürden des

Gesundheitssystems, mit strikten

Vorgaben, machen die Situation

nicht leichter. Wer neu in einem

fremden Land ist, kennt die Besonderheiten

des jeweiligen Gesundheitssystems

noch nicht und wird

dann vielleicht wieder nach Hause

geschickt, weil eine Überweisung

fehlt oder man verspätet eingetroffen

ist. Wir geben uns in der

Ambulanz der Uniklinik Essen alle

Mühe, das Bewusstsein im ganzen

Team für diese besondere Situation

zu schärfen. Und auch Wege

aufzuzeigen, wie man sich notfalls

ohne Sprache verständigen kann.

Manchmal helfen gezeichnete

Symbole wie Sonne und Mond

weiter, um das Einnehmen von

Tabletten zu erklären.

Patient*innen berichten, dass

viele Ärzte in Deutschland die

Krankheit nicht kennen oder sie

unterschätzen und dass sie sich

von deutschen Ärzten häufig

nicht verstanden fühlen. Aus

Ihrer ärztlichen Sicht: Was muss

sich ändern, damit Betroffene

sowohl fachmedizinisch als

auch diversitätssensibel versorgt

werden können?

Die Krankheit muss ins Licht,

damit Betroffenen geholfen werden

kann. Die Sichelzellkrankheit

zählt zwar noch immer zu den

seltenen Erkrankungen – aber sie

ist längst nicht mehr so selten,

dass sie einem nicht begegnet.

Es gibt immer mehr betroffene

Patient*innen, Informationen

müssen schnell und ortsunabhängig

verfügbar sein.

Wir sind dabei, ein Netzwerk aufzubauen,

eine Online-Plattform,

auf der sich niedergelassene

Kolleg*innen informieren und

uns Fragen stellen können.

Es ist wichtig, insgesamt mehr

über die Erkrankung zu sprechen,

sich an die Medien zu wenden,

auch in den Sozialen Medien

präsent zu sein. Die Erkrankung

darf nicht länger ein Tabu sein. Es

hilft den Familien, besonders den

Kindern, wenn sie wissen, dass

sie nicht allein sind.

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der Global Blood Therapeutics Germany GmbH entstanden.

Die Sichelzellkrankheit fordert unser Gesundheitssystem heraus

Die Sichelzellkrankheit

ist eine seltene Erkrankung,die

ihren Ursprung im

subsaharischen Afrika hat.

Sie entsteht aufgrund einer

genetischen Mutation des

Hämoglobins, die Überlebensvorteile

gegenüber

dem Malariaerreger bietet.

Heute betrifft sie Menschen

in vielen Teilen der Welt.

Nach Afrika kommt die

Krankheit besonders häufig

im arabischen Raum, im Mittelmeerraum

oder in Teilen

Südostasiens vor. Auch hat

sie schon sehr früh durch

den Sklavenhandel auf den

amerikanischen Kontinent

Einzug gefunden. In den

Vereinigten Staaten leben

mehr als 100.000 Menschen

mit der Sichelzellkrankheit –

meist African Americans.

Mittlerweile leben auch

in Deutschland ca. 3.200

Menschen mit der Sichelzellkrankheit.

Sie ist hier

„neu“ und sie trifft an vielen

unterschiedlichen Stellen

auf unsere komplex differenzierte

Versorgung. So

zeigt sie wie im Brennglas,

wo unser Gesundheitssystem

auch jenseits der überfälligen

Entwicklung neuer

therapeutischer Optionen

wachsen muss.

Die Krankheit ist in der

Medizin in Deutschland

noch nicht angekommen.

Betroffene fühlen sich von

den Behandelnden nicht verstanden,

nicht ernst genommen

oder sie erleben sogar

Diskriminierung. Oft wird

lange nach kompetenten

Behandler:innen gesucht.

Ärzt:innen hingegen beklagen

kulturelle Hürden in der

Behandlung und auch sie

benötigen Unterstützung.

An der Sichelzellkrankheit

wird man ablesen können,

ob Deutschland in der

Lage ist, sein oft exzellentes

Gesundheitssystem

diversitätssensibel und für

die Anforderungen des 21.

Jahrhunderts zu gestalten.

Hintergrund

Die Sichelzellkrankheit ist

eine schwere, erbliche Krankheit

der roten Blutkörperchen.

Sichtbarster Ausdruck sind

krisenhaft auftretende extreme

Schmerzen bei einem Teil

der Patient:innen. Weniger

sichtbar sind die durch die

chronische Anämie ausgelösten

Endorganschäden,

die zu einer bis zu 30 Jahre

verkürzten Lebenserwartung

führen können. Trotz der

Krankheitsschwere und des

lange verstandenen Krankheitsmechanismus

waren

bisher nur begrenzt Therapien

verfügbar.

2011 wurde Global Blood

Therapeutics (GBT) in

Kalifornien mit der Mission

gegründet, moderne Therapien

für die Sichelzellkrankheit

zu entwickeln. Auch darüber

hinaus und in Deutschland

engagiert GBT sich dafür,

dass die Krankheit und die

von ihr Betroffenen die

Aufmerksamkeit bekommen,

die sie verdienen.

Weitere Informationen unter:

www.gbt.com/de/


16

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

So leben wie ein ganz normales Kind

Was ist mit unserem Kind? Diese Frage stellte sich Familie Minich, als ihre neugeborene Tochter

ohne erkennbaren Grund Schmerzen hatte, nicht essen wollte und unruhig war. Die Diagnose, PFIC,

Progressive Familiäre Intrahepatische Cholestase, eine seltene genetisch bedingte Lebererkrankung,

stellt den Alltag der Familie auf den Kopf. Über den Weg, mit der Erkrankung zu leben, erzählt Erika

Minich im Interview.

Text Miriam

Barbara Rauh

Frau Minich, wann ist Ihnen

aufgefallen, dass Ihr Kind

Beschwerden hat?

Nach der Geburt hatte unsere

Tochter eine Gelbsucht

– was normal sein kann,

aber diese dauerte deutlich

länger an. Dann bekam ich

Probleme beim Stillen, sie

hatte Hunger, wollte aber

nicht trinken und schien

Schmerzen zu haben. Sie

war insgesamt unruhig

und kratzte sich, schon mit

etwa zwei Monaten. Auch

hat sie wenig zugenommen

und wuchs kaum. Mit vier

Monaten bekam sie sehr

heftiges Nasenbluten,

wir sind dann mit ihr ins

Krankenhaus gefahren. Dort

wurde unserer Tochter Blut

abgenommen, die Werte

waren schlecht. Da wussten

wir, dass etwas Grundlegendes

nicht stimmt.

Wie ging es Ihnen als Eltern,

nachdem die Diagnose

gestellt wurde?

Wir hatten ja zunächst

gedacht, unser Kind sei

gesund, und dann wird

sie als Notfall in die Klinik

geschickt – das war ein

Ausnahmezustand, es war

schlimm für unsere Familie.

Als Krankenschwester wusste

ich, was eine Leberzirrhose

bedeutet. Das eigene

Kind, das wachsen muss

und fröhlich sein sollte,

betroffen zu sehen, war

sehr heftig. Ich hatte viele

Fragen. Auch wie wir als

Familie den Spagat schaffen,

wussten wir zunächst nicht.

Wo haben Sie medizinische

und persönliche Unterstützung

bekommen?

Die Überweisung zur MHH

(Medizinische Hochschule

Hannover) war ein Glücksfall.

Dort wurden wir

aufgefangen, beruhigt und

fachlich sehr kompetent

über die Erkrankung aufgeklärt.

Wir haben großes

Vertrauen zur MHH. Das

hat uns geholfen, unseren

Weg zu finden und zu gehen.

Auch unsere Familien und

gute Freunde haben uns

sehr unterstützt und die

Kirchengemeinde, in der wir

aktiv sind.

Wie wirkt sich die Erkrankung

auf Ihren Familienalltag

aus?

Das Schlimmste ist der Juckreiz.

Damit unsere Tochter

überhaupt schlafen konnte,

musste ich bei ihr liegen und

ihre Arme und Beine streicheln.

Sie konnte nicht mehr

zum Kindergarten, weil sie

so müde war, und später

nicht zur Schule. Ich habe

in dieser Zeit auch kaum

Schlaf bekommen. Auch war

sie komplett zerkratzt und

blutete, ihre Beine sind ganz

vernarbt. Hinzu kam der

Vitaminmangel durch den

gestörten Gallenfluss. Dazu

kamen die Gerinnungsstörungen,

sie hatte starkes

Nasenbluten, das nicht

stillbar war. Schließlich

konnte sie immer weniger

essen, über zweieinhalb Jahre

musste ich sie künstlich

über eine Sonde ernähren.

Bis zur Transplantation.

Wie geht es Ihrem Kind nun

unter Therapie?

Als wir gemerkt haben, so

geht es nicht weiter, die

Leber gibt auf, hat das MHH

reagiert und eine Lebertransplantation

durchgeführt. Das

war ihre einzige Überlebenschance.

Wir sind unglaublich

dankbar, dass es funktioniert

hat. Unsere Tochter

bekommt Medikamente und

es gibt auch immer mal

wieder Termine im Krankenhaus,

aber im Moment kann

sie so leben wie ein ganz

normales Kind.

Der Verein Leberkrankes

Kind e. V. ist ein Netzwerk

für Familien leberkranker

und lebertransplantierter

Kinder. Hier finden betroffene

Familien Informationen

über Krankheitsbilder und

Unterstützungsmöglichkeiten

und können sich mit anderen

betroffenen Familien austauschen.

Weitere

Informationen

unter:

www.leber

krankeskind.de


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 17

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Albireo Pharma entstanden.

Ursachen und

Behandlungsmöglichkeiten bei PFIC

DE-BV-22-00031 8/29/2023

Herr Prof. Ganschow, was

sind die Ursachen und das

charakteristische Merkmal

der Progressiven Familiären

Intrahepatischen

Cholestase (PFIC)?

Die Ursache der PFIC ist

ein Gendefekt, meist zeigt

sich die Erkrankung bereits

bei betroffenen Säuglingen

oder Kleinkindern. Die

PFIC ist eine progressive,

sehr seltene Lebererkrankung,

der Störungen im

Galletransport der Leber

zugrunde liegen. Diese verursachen

einen Gallestau,

der häufig zu erheblichen

Funktionsstörungen der

Leber und in vielen Fällen

zur Notwendigkeit einer

Lebertransplantation führt.

Ohne effektive Behandlung

in einem erfahrenen Zentrum

ist die Überlebensrate

deutlich reduziert.

Welche Symptome gehen

mit einer PFIC-Erkrankung

einher?

Quälender und unstillbarer

Juckreiz ist ein sehr weit

verbreitetes Symptom.

Betroffene Kinder kratzen

sich oft an den Beinen,

Armen oder am Kopf

blutig und leiden dadurch

massiv. Der Juckreiz führt

zusätzlich zu schweren

Schlafstörungen.

Gelbsucht ist ein weiteres

Zeichen dafür, dass

der Galletransport gestört

ist. Zusätzlich fallen

betroffene Kinder durch

schwere Wachstums- und

Entwicklungsstörungen auf.

Grund dafür ist die gestörte

Funktion der Leber und eine

unzureichende Aufnahme

von Fetten und fettlöslichen

Vitaminen über den Darm.

Auch auf die Eltern hat

die Erkrankung des Kindes

schlimme Auswirkungen.

Bei ihnen liegt durch die

hohe Betreuungsbedürftigkeit

des Kindes nachts

eine massive Schlafstörung

vor. Sie berichten über

verminderte psychische und

körperliche Gesundheit,

eine verringerte Leistungsfähigkeit

sowie Beeinträchtigungen

im Beruf, den

sozialen Beziehungen und

ihrer finanziellen Situation.

Bitte erörtern Sie die in der

Vergangenheit zur Verfügung

stehenden Therapieoptionen.

Viele Behandlungen zielten

in erster Linie darauf ab, den

Juckreiz zu lindern – meist

ohne Erfolg. Neben dem Einsatz

von Medikamenten, die

nicht für die PFIC zugelassen

sind, können auch Operationen

durchgeführt werden.

Bei einer chirurgischen

Galleableitung wird zum

Beispiel die Gallenflüssigkeit

durch die Bauchwand in

einen Beutel abgeleitet, den

das Kind dauerhaft außen

am Körper tragen muss. Bei

fortschreitender Lebererkrankung

oder auch wenn

der Juckreiz unerträglich

wird, verbleibt als letzte

Behandlungsoption nur eine

Univ.-Prof.

Dr. med.

Rainer

Ganschow

Direktor der

Klinik und

Poliklinik für

Allgemeine

Pädiatrie am

Universitätsklinikum

Bonn

Weitere

Informationen

unter:

www.albireo

pharma.com

Transplantation der Leber.

Dieser sehr schwerwiegende

Eingriff belastet die betroffenen

Familien meist stark. Sie

müssen lebenslang Medikamente

einnehmen, die das

Immunsystem unterdrücken,

damit der Körper die

fremde Leber nicht abstößt.

Welche Durchbrüche gab

es hier aus Ihrer Sicht in

den letzten Jahren hinsichtlich

der Therapie der

PFIC?

Seit 2021 gibt es ein von der

Europäischen Arzneimittelbehörde

(EMA) zugelassenes

Medikament zur Behandlung

der PFIC. Dieses kann

in vielen Fällen den Gallestau

lösen und dadurch

innerhalb weniger Wochen

bis Monate eine deutliche

Verringerung der Beschwerden

bewirken.

Da in Deutschland die

Kosten für neue Medikamente

sofort nach der

Zulassung von den gesetzlichen

Krankenkassen

erstattet werden, bekommen

Patienten mit seltenen

Krankheiten in der Bundesrepublik

neu zugelassene

Medikamente in der Regel

lange vor ihren Leidensgenossen

in anderen europäischen

Ländern.

Insbesondere bei dem neuen

Präparat zur Behandlung

der PFIC ist das zum Vorteil

der Patienten, denn es ist

ein gut verträgliches und in

vielen Fällen effektives

Präparat.


18

Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

Beeinträchtigung des

Sehvermögens:

Auch an LHON denken

LHON, die Lebersche hereditäre Optikus-Neuropathie,

ist eine erbliche Erkrankung des Sehnervs. Durch eine

Mutation werden Nervenzellen geschädigt, was zu schwerer

Sehbehinderung führen kann. Wir sprachen mit Prof.

Dr. Wolf Lagrèze, Leitender Arzt an der Augenklinik des

Universitätsklinikums Freiburg sowie Universitätsprofessor

der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, über die

Erkrankung und neue Behandlungsansätze.

Prof. Dr. Lagrèze, wie

häufig tritt LHON auf?

Als seltene Erkrankung

hat sie eine Häufung von

weniger als 1 zu 2.000. Man

schätzt, dass es jährlich

etwa 50 Neuerkrankungen

in Deutschland gibt und

insgesamt etwa 3.000

Betroffene.

Wer erkrankt?

Etwa 80 Prozent der

Betroffenen sind Männer.

Das typische Erkrankungsalter

liegt bei 25 Jahren,


Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de 19

wir sehen aber insgesamt

Neupatient*innen im Alter

von zwei bis 80 Jahren.

Man schätzt, dass ca. 15

Prozent Kinder und Jugendliche

sind, der Rest sind

Erwachsene.

Was macht die Diagnostik

der Erkrankung so

schwer?

An sich ist die Diagnose

nicht schwer zu stellen

– aber man muss an die

Erkrankung denken. Die

Krux bei seltenen Erkrankungen

ist, dass sie oft nicht

bedacht werden, weil das

Häufige naheliegender ist.

Oft dauert es Monate, selten

Jahre, bis Betroffene die

richtige Diagnose erhalten.

Oft wird die LHON mit

einer Sehnerventzündung

verwechselt.

Welche Behandlungsmöglichkeiten

gibt es?

Aktuell steht ein zugelassenes

Medikament zur

Verfügung mit dem Inhaltsstoff

Idebenon. Diese orale

Therapie zielt nicht spezifisch

auf eine bestimmte

Mutation ab, sondern soll

den Elektronentransport

der Atmungskette in den

Mitochondrien verbessern.

Leider garantiert die

Behandlung nicht jedem

Betroffenen eine Sehverbesserung

– es gibt eine

Spontanerholungschance,

die aber durch die Gabe

des Medikaments erhöht

wird. Für eine Gentherapie

wird derzeit die Zulassung

geprüft.

Wie wird eine Gentherapie

bei der Behandlung von

LHON am Auge durchgeführt?

Ein Virusvektor schleust per

Injektion in den Glaskörper

des Auges eine intakte Kopie

des defekten Gens in die

Nervenzellen der Netzhaut

ein. Diese Kopie dient als

Vorlage für die Produktion

des Enzyms ND4 (NADH-

Dehydrogenase-4). Auf diese

Weise erzeugen die Mitochondrien

wieder Energie

und sichern die Versorgung

der Nervenzellen, damit diese

Seheindrücke zum Gehirn

weiterleiten können. Allerdings

kommt die Therapie

nur für die Mutation 11778

infrage, die jedoch ca. ¾ der

Fälle von LHON ausmacht.

Prof. Dr. Wolf

Lagrèze

Leitender

Arzt an der

Augenklinik

des Universitätsklinikums

Freiburg sowie

Universitätsprofessor

der Albert-

Ludwigs-

Universität

Freiburg im

Breisgau

Welche Vorteile sprechen

für die Gentherapie am

Auge?

Die Behandlung ist technisch

einfacher als andere

Gentherapien im hinteren

Augenabschnitt, da der Vektor

nicht unter die Netzhaut

injiziert wird, sondern in den

Glaskörper, ähnlich einer

Behandlung der Makuladegeneration.

Im Vergleich zu

Idebenon hat die Gentherapie

bei der Mutation 11778 eine

höhere Seherholungsrate. Es

ist eine einmalige Behandlung,

die abgesehen von einer

kurzzeitigen Entzündungsreaktion

im Augeninneren gut

vertragen wird. Wurde in ein

Auge injiziert, verbesserten

sich in Studien meist beide

Augen. Das Genprodukt war

im Tierexperiment auch

im nicht injizierten Auge

nachweisbar.

Allerdings sollte die

Erkrankung möglichst bald

nach Ausbruch behandelt

werden, im Idealfall etwa

innerhalb eines halben

Jahres, da die Chancen, dass

die Nervenzellen sich

erholen, mit der Zeit

abnehmen.

ANZEIGE

GENOMISCHE MEDIZIN

BEI SELTENEN NETZHAUTERKRANKUNGEN

GenSight Biologics, ein Biopharma-Unternehmen aus Frankreich,

hat sich auf die Forschungsarbeit an schweren neurodegenerativen

Augenerkrankungen und Erkrankungen

des zentralen Nervensystems spezialisiert. Die innovativen

Therapieansätze fokussieren sich dabei besonders auf Patientinnen

und Patienten mit Leberscher hereditärer Optikusneuropathie

(LHON) und Retinitis pigmentosa.

Wiederherstellung des Sehvermögens und eine

weitgehende Verbesserung der Lebensqualität zu

ermöglichen. Damit wird ein großer medizinischer

Bedarf in dieser sehr seltenen Erkrankung angegangen.

Von der European Medicine Agency wird

derzeit der Antrag auf Marktzulassung überprüft.

Diese wird für 2023 erwartet.

Am weitesten fortgeschritten ist eine Gentherapie, die aus

der Forschung am Institut de la Vision in Paris hervorgeht

und in einem klinischen Studienprogramm bei mehr als 200

Patientinnen und Patienten mit Leberscher Hereditärer Optikusneuropathie

(LHON) entwickelt wird. Der gentherapie-basierte

Ansatz ist so konzipiert, dass beide Augen mittels

einer einzigen intravitrealen Injektion behandelt werden.

Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine nachhaltige

GenSight Biologics untersucht mit seinem zweiten

Therapiekandidaten eine Behandlung zur Wiederherstellung

des Sehvermögens bei Patienten, die an Retinitis

pigmentosa im Spätstadium leiden. Der optogenetische

Ansatz ist unabhängig von den spezifischen genetischen

Mutationen und hat potenzielle Anwendungen bei anderen

Erkrankungen der Netzhaut, wie der trockenen altersbedingten

Makuladegeneration.

A LEADING GENE THERAPY BIOTECHNOLOGY COMPANY

GENSIGHT-BIOLOGICS.COM


»Ein Kind bedeutet nicht

wenig und nicht viel,

es bedeutet alles.«

Fritz P. Rinnhofer

IHRE ENTSCHEIDUNG

KANN VIEL BEWEGEN.

JEDER EURO HILFT!

Die Deutsche Kinderhospiz- und Familienstiftung (DKFS)

hilft u. a. Familien in Deutschland, deren Kind oder Kinder

lebensverkürzend erkrankt sind. Dabei fördern wir sowohl

aktive ambulante Kinderhospizdienste als auch stationäre

Kinderhospize in der Bundesrepublik.

dkfshilft

Deutsche Kinderhospiz- und Familienstiftung (DKFS)

Tel. 03631 46089260 · info@dkfs-hilft.de

dkfshilft

oder über Spendenkonto:

IBAN: DE57 1012 0100 1700 0173 09

BIC: WELADED1WBB

Weberbank Actiengesellschaft Berlin

www.DKFS-hilft.de

HIER

DIREKT

SPENDEN

Foto: Guido Werner

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!