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DEUTSCHLAND
JAN. / FEBR. 2022
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ABSEITS DES ALLTÄGLICHEN
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Wonder
Woman
Freestyle-Ski-Profi,
Model, Diplomatin:
wie Eileen Gu
die Sportwelt
auf den Kopf stellt
IN CHINA
EILEEN GU
Jesse Marsch sagt: „Neugier,
Chaos und Verletzlichkeit
sind Stärken.“
JETZT ABONNIEREN: GETREDBULLETIN.COM
BILLIE EILISH / VINZENZ GEIGER / STEFFEN FREUND / ANDREAS WELLINGER / CARRIE-ANNE MOSS
E D I T O R I A L
WILLKOMMEN
AUF DER
PISTE
CHRISTIAN ANWANDER (COVER), MARKUS MORIANZ, CATWALKPICTURES
AUF DEM
SNOWBOARD …
… steht Leon Vockensperger
zurzeit fast in
jeder freien Minute.
Zum Glück legt er aber
ab und zu einen Ruhetag
ein. Da hat er dann
Zeit für Gespräche wie
dieses: auf Seite 50.
Wie waren Sie eigentlich so mit achtzehn, liebe Leserinnen
und Leser? Freestyle-Skifahrerin Eileen Gu, 18,
hat in diesem Alter bereits die X Games gewonnen,
modelt für Victoria’s Secret, studiert
an der Elite-Universität Stanford –
und vereint ganz nebenbei auch noch
die Fans der Supermächte China und
USA. Die ganze beeindruckende Geschichte:
ab Seite 38. Und noch eine
tolle Frau: Carrie-Anne Moss, 54. Auf
Seite 32 erzählt die Schauspielerin,
die als Trinity in der „Matrix“-Kinotrilogie
berühmt wurde, warum sie
Meditation der digitalen Welt vorzieht.
Ruhig bleiben muss auch Dennis Zenz, 31. Der
Co-Pilot will die Rallye Dakar gewinnen – zusammen
mit dem erst 19 Jahren alten US-Fahrer Seth Quintero.
Ab Seite 60 erklärt er uns, warum dabei
gilt: Links lenkt, rechts denkt.
Gute Unterhaltung
mit der neuen Ausgabe
von The Red Bulletin!
Die Redaktion
FLORA MIRANDAS
MODE-VISIONEN
Designerin Flora Miranda (hier
eines ihrer Models) hat eine klare
Vorstellung von der Zukunft
der Mode. Science-Fiction ist
nichts dagegen: Seite 52.
GUTE
UNTERHALTUNG
Unsere Autorin Janina
Lebisz czak sprach mit
der Deutschrapperin
badmómzjay. Das Interview:
auf Seite 34.
25
Ringe von Cartier trug
Billie Eilish bei der Met
Gala 2021. Noch mehr
Zahlen zum Pop-Superstar:
auf Seite 12.
THE RED BULLETIN 3
INHALT
The Red Bulletin
im Januar / Februar 2022
COVERSTORY
38 DIE BOTSCHAFTERIN
Freestyle-Skifahrerin Eileen
Gu ist in den USA geboren
und startet für China. Ihr Ziel:
beide Welten zu vereinen.
PORTFOLIO
18 SIMPLY THE BEST
Der Wettbewerb Red Bull
Illume kürt die besten Action-
Fotos der Welt. Die Sieger.
FILM
32 DIE KULTFIGUR
Carrie-Anne Moss ist wieder
Trinity – wir freuen uns auf
Teil 4 der „Matrix“.
DEUTSCHRAP
34 GROSSE WORTE
Wie die Rapperin badmómzjay
mit erst 19 Jahren die
Deutschrap- Szene erobert.
FUSSBALL
36 EIN GUTER FREUND
Fußball-Legende Steffen
Freund über harte Zweikämpfe
und die Kunst der Kritik.
WINTERSPORT
46 UNSERE TOPSTARS
Vier Wintersport-Größen
verraten, was sie sich für diese
Saison vorgenommen haben.
6 GALLERY
12 ZAHLEN, BITTE!
14 FUNDSTÜCK
15 DAS PHILOSOPHEN-INTERVIEW
16 MEIN ERSTES MAL
FASHION
52 ZUKUNFT DER MODE
Eine 31-jährige Österreicherin
als Mode-Visionärin:
Flora Miranda verwandelt
Fiktion in Realität.
RALLYE DAKAR
60 DER BEIFAHRER
Co-Pilot Dennis Zenz will
die härteste Rallye der Welt
gewinnen – mit dem erst
19-jährigen Seth Quintero.
GUIDE
Tipps für ein Leben
abseits des Alltäglichen
69 REISEN. Mit Rekordbergsteiger
Nims Purja auf den Mont Blanc
74 GAMING. Südkoreanische
K-Fashion für die Sims und die
Rückkehr eines Spiele-Klassikers
76 LESESTOFF. Fünf Geschichten mit
knallharten Helden – unsere Buchempfehlungen
für die kalten Tage
78 TIPPS & TRENDS. Richtig gutes
Zeug – mit besten Empfehlungen
der Redaktion
82 FROHES FEST. Was unter den
Christbaum passt – 14 Vorschläge
92 BOULEVARD DER HELDEN.
Ist der Literatur-Nobelpreisträger
Michail Scholochow ein Betrüger?
96 IMPRESSUM
98 CARTOON
38
STARKE FRAU Die Leichtigkeit des Seins –
Ski-Star Eileen Gu hebt als Luftakrobatin ab.
52
STARKE MODE Flora Miranda zeigt eine Modewelt,
in der Science-Fiction Realität wird.
60
STARKER MOTOR Rallye-Dakar-Beifahrer
Dennis Zenz und sein Kampf in der Wüste
MATT POWER, NORMAN KONRAD, MARCIN KIN/RED BULL CONTENT POOL, JAN KASL/RED BULL ILLUME
4 THE RED BULLETIN
18
STARKE BILDER
Die Sieger des Fotowettbewerbs
Red Bull Illume
– hier ein Geniestreich
des Tschechen Jan Kasl
THE RED BULLETIN 5
6
ANTONIN GRENIER
CAPBRETON,
FRANKREICH
Sie retten
um die
Wette
Diese vier Damen sind Freiwillige der
französischen Küstenwache, und der
Grund ihrer Eile ist gottlob kein Notfall.
Sie trainieren für einen Rettungsschwimmer-Wettkampf,
der seit 2019
im Südwesten Frankreichs ausgetragen
wird. Bei dem Mehrkampf (u. a. Sprint,
Schwimmen und Paddleboard) geht
es um alle Fähigkeiten, die nötig sind,
um im Ernstfall Leben zu retten.
Instagram: @antoningrenier
MIAMI, FLORIDA, USA
Breaking
News
Dürfen wir vorstellen? Das ist Logan Edra.
Die Amerikanerin mit philippinischen
Wurzeln ist erst achtzehn, hat aber
unter ihrem Künstlernamen „Logistx“
bereits eine beeindruckende Karriere
als B-Girl hinter sich. Das kommt daher,
dass sie schon mit sieben mit dem Tanzen
und mit zehn mit Breaking an gefangen
hat. Jetzt konzentriert sie sich ganz auf
die Olympischen Spiele in Paris 2024.
Da wird Breaking erstmals olympisch
sein – und Logan eine ganz heiße
Kandidatin auf eine Medaille.
Instagram: @logistx_ugf
8
YSA PEREZ, BRIAN LOWE
HOUSTON, TEXAS, USA
Volle Kraft
voraus
Wenn Weltklasse-Sprinter Elijah Hall
eine Schwäche hat, dann ist es der
Start. Darum übt er diese Phase auch
entsprechend ausdauernd – wie hier auf
dem Trainingsgelände der Universität
Houston, Texas. „Diese Bewegungen
müssen in Fleisch und Blut übergehen“,
sagt der US-Athlet, „im Rennen muss
das alles vollkommen automatisch
funktionieren. Das Einzige, was mich
aufhalten kann, bin ich selbst.“
Instagram: @_elihall
RICK GUEST
LONDON, ENGLAND
Flyin’ high
Morgan Lake, 24, gehört zu den besten
Hochspringerinnen Großbritanniens,
ihre Bestleistung liegt bei 1,97 Metern.
Fotograf Rick Guest – seine Spezialität
sind Bilder, die dynamische Bewegungen
im exakt richtigen Moment einfangen –
schwärmt von Lakes Körper als „perfektem
Werkzeug zur Überwindung der
Schwerkraft“. Bei diesem Sprung
hat sie sich die Latte allerdings
nicht besonders hoch gelegt –
so locker, wie sie da drüberspringt.
Der Fotograf: rg-e.com
11
Z A H L E N , B I T T E !
BILLIE EILISH
Frau der Ringe
Pop-Superstar Billie Eilish feiert im Dezember ihren 20. Geburtstag.
In welcher Tonart sie James Bond auf Touren bringt, wie viele Cartier-Ringe
sie bei der Met-Gala trug und was ihr erstes Auto kostete.
13
Jahre jung war die Sängerin, als
sie ihre erste Single „Ocean Eyes“
im November 2015 bei SoundCloud
hochlud – exakt ein Jahr vor
dem o∞ziellen Release des Songs.
53.000.000
Dollar verdiente Billie Eilish
2020 – Rang 43 als Jüngste
im Forbes-Ranking
der Top-100-Celebritys.
0
Menschen folgt Billie Eilish
auf Instagram – ihr Profil hingegen
hatten bei Redaktionsschluss
96,2 Millionen Fans abonniert.
1.200.000
Mal verkaufte sich 2019 ihr Debütalbum
„When We All Fall Asleep,
Where Do We Go?“.
74
Beats pro Minute tragen ihren
James-Bond-Titelsong „No Time
to Die“ in e-Moll voran.
24
Länder führten ihr aktuelles
Album „Happier Than Ever“
auf Rang 1 der Charts.
25.000.000
Dollar kassierte Billie Eilish
von Apple TV+ für die Doku
„The World’s a Little Blurry“.
4
Grammys in den vier Hauptkategorien
Single, Song,
Album und New Artist hat sie
2020 gewonnen. Vor ihr
schaffte das noch keine Frau.
25
Ringe aus dem Hause Cartier
trug Billie Eilish am Red
Carpet der Met-Gala 2021.
49.736.031
Hörer pro Monat machten sie 2020 zur
meistgestreamten Künstlerin auf Spotify.
29.000
Dollar kostete ihr erstes Auto, ein
matt schwarzer Dodge Challenger –
ein Geschenk ihrer Plattenfirma
zum 17. Geburtstag.
2
ihrer vier Vornamen
ergeben den Künstlernamen
von Billie Eilish Pirate Baird
O’Connell.
GETTY IMAGES (2), ALAMY CLAUDIA MEITERT HANNES KROPIK
12 THE RED BULLETIN
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F U N D S T Ü C K
Fabio Wibmer, 26,
Bike-Artist,
YouTube-King
FABIO WIBMER
Das 200-Millionen-Rad
Das Bike, mit dem der Österreicher 2019 „Wibmer’s Law“ drehte.
Jetzt durchbrach das Video auf YouTube eine magische Marke.
Räder: abmontiert. Sattel: verschwunden. Pedale: perdu. Dieses Rad hat schon bessere Zeiten gesehen.
Tatsächlich spielt es im Leben von Fabio Wibmer eine wichtige Rolle – hat er doch damit im September
2019 den YouTube-Hit „Wibmer’s Law“ gedreht. Das 8 Minuten und 23 Sekunden lange Video mit
Schauplätzen in Wien und Salzburg, Linz und Innsbruck hat auf YouTube vor kurzem die 200-Millionen-
Zuschauer-Marke geknackt. Fabio weiß das zu würdigen: Demnächst wird er das Ding als Trophäe
daheim an die Wand hängen. Mit Bike-Hersteller Canyon entwickelt er gerade ein neues Trial-Gerät.
PHIL PHAM, PHILIP PLATZER/RED BULL CONTENT POOL
14 THE RED BULLETIN
D A S F I K T I V E P H I L O S O P H E N - I N T E R V I E W
NIETZSCHE SAGT:
„Die Vernunft gehört
in den Restmüll!“
DR. CHRISTOPH QUARCH BENE ROHLMANN
Gesundheit ist für viele Menschen das höchste Gut. Aber ist
sie wirklich das Wichtigste im Leben? Friedrich Nietzsche
war immer krank – und hat sich gerade deshalb viele Gedanken
über die Gesundheit gemacht. Was dabei herausgekommen
ist, erklärt er in unserem fiktiven Interview
mit dem Philosophen Christoph Quarch.
the red bulletin: Herr Nietzsche,
wie geht es Ihnen?
friedrich nietzsche: Danke, die
Kopfschmerzen haben etwas nachgelassen.
Obwohl ich mir nach wie
vor den Kopf über Ihre Zeitgenossen
zerbreche. Sehen Sie, es ist jetzt
bald 150 Jahre her, dass ich über
die Menschen der Moderne schrieb:
„Man hat sein Lüstchen für den Tag
und sein Lüstchen für die Nacht. Aber
man ehrt die Gesundheit.“ Daran hat
sich nichts geändert.
Mit diesen Worten aus „Also sprach
Zarathustra“ haben Sie diejenigen
verspottet, die Sie „die letzten
Menschen“ nannten. Was finden
Sie so problematisch daran, dass
Menschen die Gesundheit ehren?
Wir alle wollen gesund sein. Ich auch.
Meine Güte, Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr
ich unter meinen Kopfschmerzen leide. Ich bin quer
durch Europa gereist, um Orte zu finden, an denen ich
es irgendwie aushalten konnte. Aber das heißt nicht,
dass ich alles meiner Gesundheit untergeordnet hätte.
Ich wollte gesund sein, um meine Arbeit machen zu
können: um etwas zu schaffen. Denn das, mein Freund,
ist es, worum es im Leben geht: schöpferisch sein und
etwas Eigenes hinterlassen.
Aber Sie sagen doch selbst, dass man dafür gesund
sein muss.
Sage ich nicht. Ich war nie gesund und habe trotzdem
Großes geschaffen. Wahrscheinlich wäre mir das nie
gelungen, wenn ich nicht meine Krankheit in eine
Energiequelle verwandelt hätte. Es ging mir immerzu
besch… bescheiden – ja, gerade deshalb habe ich wie
wahnsinnig gearbeitet; gerade deshalb habe ich mein
Bestes geben können. Ich wusste, was ich wollte – und
das war viel mehr, als mich um meine Gesundheit zu
kümmern, mir etwas Schönes zu gönnen oder im Spa
rumzuhängen. Unter uns, mein Freund: Dass ihr so
„Das ist es, worum
es im Leben geht:
schöpferisch sein
und etwas Eigenes
hinterlassen.“
viel um eure Gesundheit kreist und so viel Aufhebens
um eure Wehwehchen macht, verrät mir, dass ihr
klein geworden seid: Zwerge, die keine Idee mehr
davon haben, wofür sie leben wollen. Ihr lasst euch
treiben und macht, was alle machen.
Na ja, aber es können doch nicht alle
so große Autoren werden wie Sie …
Na und? Jeder kann in seinem Umfeld
etwas Großes schaffen. Jeder kann
seine verdammten Träume verwirklichen.
Jeder kann tanzen, wenn
er nur wollte. Aber ihr wollt nichts
– außer ein bisschen Spaß haben
und gesund sein! Und dann redet
ihr euch auch noch ein, dass ihr
vernünftig seid, wenn ihr alles diesen
Zielen unterordnet. Ich aber sage euch:
Genau diese „Vernunft“ könnt ihr getrost
in eure Restmülltonnen schmeißen.
Diese „Rationalität“ verhindert
nämlich, dass ihr wachst und große
Menschen werdet. Menschen, die
sich dem Leben stellen, die sich
dem Schmerz stellen – die ob ihrer
Schwäche lachen und der Stimme
ihres Herzens folgen.
Hm, und was müsste man Ihrer Ansicht nach tun,
um – wie Sie es ausdrücken – ein großer Mensch
zu werden?
Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden
Stern gebären zu können. Besser kann ich es
nicht sagen. Schluss mit der ewigen Nüchternheit und
dem Schonwaschgang! Mut zum Rausch statt ängstlich
herumdümpeln, wäre meine Devise. Was man dafür
braucht? Ein leidenschaftliches Herz, sonst nichts.
Und das wohnt sogar in deiner Brust, mein Freund.
FRIEDRICH NIETZSCHE (1844 – 1900) gilt als einer der schärfsten
Kritiker der technisch-rationalen Moderne. Mit seinem Werk
„Also sprach Zarathustra“ inspirierte er Generationen von
Künstlern und Denkern, neue Wege zu gehen. Dabei war Nietzsche
häufig krank, er litt an immer wiederkehrenden Migräneschüben.
Dennoch – oder gerade deshalb – schrieb er viel über
die leibliche und geistige Gesundheit des Menschen.
CHRISTOPH QUARCH, 57, ist Philosoph, Gründer der Neuen
Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher
philosophischer Bücher, zuletzt: „Kann ich? Darf ich? Soll ich?
Philosophische Antworten auf alltägliche Fragen“, legenda Q,
2021.
THE RED BULLETIN 15
M E I N E R S T E S M A L
ANJA BLACHA
„Mein Reise-Guide sagte:
Anja, du bist verrückt!“
Von 2015 bis 2017 stieg Anja Blacha – als bislang jüngste Deutsche – auf den höchsten Gipfel
jedes Kontinents. Dabei hatte sie erst vier Jahre zuvor mit dem Bergsteigen an gefangen.
Uns erzählt die Abenteurerin von dem Peru-Trip, der ihre Wanderlust weckte.
Anja Blacha liebt die ganz großen Herausforderungen:
Mit 27 war sie als jüngste deutsche Kletterin auf dem
Mount Everest, bis heute ist sie die einzige Deutsche,
die den K2 bezwungen hat. Voriges Jahr schaffte sie
es als erste Frau auf Langlaufskiern
von der Küste der Antarktis
bis zum Südpol. 1400 Kilometer
in 58 Tagen. Ihren 100-Kilo-
Schlitten zog sie dabei selbst.
Dabei ist ihr die Lust am
Extremen nicht in die Wiege gelegt
worden. Ihre erste Bergtour
absolvierte sie 2013, nur vier
Jahre bevor sie den höchsten Berg
der Welt bestieg. Hier spricht die
31-Jährige unter anderem von
diesem Erweckungsmoment.
„Meine ersten Bergschuhe waren
eigentlich gar keine wirklichen
Bergschuhe, das waren Multifunktionsstiefel
der Marke Timberland,
von denen ich beim
Kaufen dachte: Damit kann ich
durch die Altstadt schlendern,
aber auch wandern gehen. Perfekt
auch für die anstehende
Peru-Reise mit meiner Schwester.
Ich bin in Bielefeld aufgewachsen.
Berge gibt es da nicht.
Meine gesamte Jugend war von
Strandurlauben und Städtetrips
geprägt. In Peru hab ich dann
zum ersten Mal einen Vulkan gesehen – mit 23. Auf
einem Berg war ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie,
aber ich wollte unbedingt rauf. Das Problem: Allein
konnte man da nicht hoch, und das Ticket für unsere
Weiterreise am nächsten Tag war schon gebucht. ‚Ihr
seid verrückt, wenn ihr da jetzt in einer Nacht und
in einem halben Tag raufwollt‘, sagten uns die Guides.
Geklappt hat es am Ende doch: vom Meeresspiegel
rauf auf 5800 Höhenmeter. Oben war ich so fertig, dass
ich den Ausblick gar nicht richtig genießen konnte.
Aber ich war so angefixt vom Spaß, den wir beim
Aufstieg hatten, und vom Glück, das Ziel erreicht zu
haben. Noch im gleichen Urlaub nahmen wir uns auch
noch den Machu Picchu vor. Dieses erste Mal Trekking
0:00–48:53
Anja Blacha
Mein erstes Mal – der Podcast
„Ich habe das Klettern
spät entdeckt, und das
war vielleicht gut so.“
Rekord-Frau Anja Blacha hat ihre erste
Bergtour erst mit 23 gemacht.
war so beeindruckend, dass ich mir damals schwor,
die Timberlands nicht verstauben zu lassen.
Vier Jahre später hatte ich dann die Seven Summits,
den jeweils höchsten Berg jedes Kontinents, geschafft
– als jüngste Deutsche überhaupt.
Ob ich es bereue, nicht schon
früher mit dem Bergsteigen begonnen
zu haben?
Nein. Denn mein Beispiel
zeigt: Unsere Vergangenheit
muss nicht bestimmen, was wir
in unserer Zukunft erreichen
können.
Ich habe das Klettern spät entdeckt,
und das war vielleicht
sogar gut so. Ich lebe heute in
der Schweiz, da gibt es Kletterer,
die sind technisch unendlich
versierter als ich, die kommen die
Eiger-Nordwand in Rekordzeit
hoch – und doch wagen sie sich
nicht an die großen Berge heran.
Weil sie ständig vor Augen haben,
welche Skills ihnen vielleicht
noch fehlen, anstatt das große
Ziel anzugehen. Und so kann es
sein, dass ich vielleicht auch
stecken geblieben wäre in diesem
‚Ich muss noch lernen‘-Zyklus,
hätte ich früher oder in einem
bestimmten Umfeld begonnen.
Ich habe mit dem Bergsteigen
aus Spaß angefangen, aus Neugier, etwas Neues für
mich entdecken zu wollen. Es war einfach Teil meiner
Reiselust. Und genau diese Ungezwungenheit war
mein großer Vorteil.“
„MEIN ERSTES MAL“ IST DIE RED BULLETIN-PODCAST-SERIE,
in der Heldinnen über ihre Anfänge sprechen. Die Folge mit
Anja Blacha, in der sie auch verrät, warum
Excel- Tabellen für ihre Expeditionen
wichtiger sind als Muskelberge, gibt’s im
Podcast-Kanal von The Red
Bulletin. Zu finden auf
allen gängigen Platt formen
wie Spotify und auf
redbulletin.com/podcast
ANJA BLACHA
16 THE RED BULLETIN
Das Besondere an einem
Abenteuer ist nicht nur das Ziel,
sondern auch der Weg dahin.
Wir glauben fest an die Kraft von Träumen –
und dass es sich lohnt, ihnen zu folgen. Dreamers. On.
Mit Dominik Gührs, Corinna Schwiegershausen und Petra Klingler machen sich drei
Topathleten auf den Weg, einen lang bestehenden Traum wahr werden zu lassen.
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P O R T F O L I O
Simply
the
Best
Red Bull Illume ist der
weltweit größte Wettbewerb
für Abenteuer- und Actionsportfotografie.
Vorhang auf
für die diesjährigen Sieger!
Text ANDREAS WOLLINGER
Rod Hill, 48
Plötzlich war das Licht perfekt
Sieger in der Kategorie
„Energy by Red Bull Photography“
Rod Hill hatte schon eingepackt. Doch dann
entschied sich Kanute River Mutton spontan für
eine letzte Fahrt über die Huka Falls des Waikato
River, Neuseeland. Also: Kamera wieder raus.
„Plötzlich war das Licht so, wie ich es noch nie
gesehen hatte“, sagt Hill. Glück des Tüchtigen.
Instagram: @rod_coffee
18 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 19
P O R T F O L I O
Will
Saunders, 27
Schöner fallen
Sieger in der Kategorie „Masterpiece by SanDisk Professional“
Einerseits: die majestätische Ruhe der Wüstenlandschaft des Indian Creek
im US-Bundesstaat Utah. Anderseits: die Dynamik eines Kletterers im freien Fall.
Ergibt: grandiose Spannung. Richtig, normalerweise fallen Kletterer anders. Aber
Fotograf Will Saunders bat Jake Talley um eine „kraftvolle Bewegung“ beim Sturz.
Check! Und den Gesamtsieg sicherte er sich mit diesem Genieblitz auch.
willsaundersphoto.com, Instagram: @willsaundersphoto
20 THE RED BULLETIN
„Jedes Mal, wenn ich rausgehe,
überwinde ich mich, etwas zu tun,
was ich noch nie versucht habe.“
Will Saunders
THE RED BULLETIN 21
P O R T F O L I O
22 THE RED BULLETIN
„Ich will, dass
die Betrachter tief
in Welten eintauchen,
in denen sie noch nie
zuvor waren.“
Carolin Unrath
Carolin
Unrath, 25
Wo geht’s hier zur Welle?
Siegerin in der Kategorie
„Lifestyle by COOPH“
In München lässt es sich mit der U-Bahn
zum Surfen fahren. Hier sehen wir Andi
Müllner auf dem Weg zur berühmten
Eisbachwelle, die sich im Englischen
Garten aufbaut. Die Vorfreude ist in
diesem Fall besonders groß: An dem
Tag öffnete die Eisbachwelle das
erste Mal nach dem Lockdown 2020.
carolinunrath.com
Instagram: @carounrath
THE RED BULLETIN 23
P O R T F O L I O
Thomas
Monsorno, 36
Es ist nicht,
wie es scheint
Sieger in der
Kategorie
„Innovation
by EyeEm“
Das ist der Schweizer
Eiskletterer Dani Arnold.
Er ist hier am Baikalsee
in Sibirien unterwegs,
dem tiefsten See der Erde.
Allerdings nicht von unten
nach oben, sondern in der
Horizontalen. Eine Illusion
vom Feinsten, erdacht
vom Südtiroler Fotografen
Thomas Monsorno.
thomasmonsorno.com
Instagram:
@ thomas.monsorno
24 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 25
P O R T F O L I O
„Mir macht es Spaß,
Menschen in Momenten der
Verletzlichkeit festzuhalten
– in oder vor einer Wand.“
Victoria Kohner-Flanagan
Bruno Long, 42
Phönix aus dem Staub
Sieger in der Kategorie „RAW by Leica“
Auf einer supersteilen Passage auf einem Trail in Fernie, British
Columbia, Kanada: Mountainbiker Dylan Siggers taucht aus dem
Staub auf wie Phönix aus der Asche. „Ich liebe es, mit Staub
und Licht zu spielen“, sagt Fotograf Long, „weil es so ein zufallsgesteuerter
Prozess ist.“ brunolong.com, Instagram: @eye_b_long
26 THE RED BULLETIN
Victoria Kohner-
Flanagan, 23
Und jetzt: Hände hoch!
Siegerin in der Kategorie „Emerging by Black Diamond“
Diese beängstigend glatte, 39 Meter hohe Wand im kalifornischen
Pine Creek Canyon heißt „Queen of Heartbreaks“ – Königin des Herzschmerzes.
Zu Recht: Fotografin Victoria Kohner-Flanagan blieb
schleierhaft, wo genau hier die nächsten Griffe sein sollten. Hier
gönnt Kletterer Jack Nugent seinen Händen eine kleine Pause.
victoriakohnerflanagan.com, Instagram: @vickyvicti
THE RED BULLETIN 27
P O R T F O L I O
„In einer Welt, die mit
Bildern überflutet wird,
musst du den Dingen
einen persönlichen Touch
geben. Dann werden sie
interessant.“
Markus Berger
Markus
Berger, 40
Im Bauch des Gletschers
Sieger in der Kategorie
„Playground by WhiteWall“
Tief im Berg, unter dem Hintertuxer
Gletscher im Tiroler Zillertal, befindet
sich ein märchenhafter Ort: der Natur
Eis Palast. Dort kann man schwimmen,
Kajak oder Schlauchboot fahren oder
eisklettern. Und: wakeboarden, wie Dominik
Hernler hier zeigt. Markus Berger
hat das für die Nachwelt festgehalten.
markusbergerphotography.com
Instagram:
@markus_berger_photography
28 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 29
P O R T F O L I O
Jan Kasl, 27
Yhabril
Moro, 42
Die wahren Abenteuer sind im Kopf
Sieger in der Kategorie „Creative by Skylum“
Sieht so aus, als hätte Skateboarder Fanda Šesták einen fabelhaften
Spielplatz gefunden: eine spiralförmige Bahn. Ist aber eine optische
Täuschung, die in der Welt der Fotografie „erzwungene Perspektive“
heißt. Der Trick ist, Dinge nahe der Kamera weiter weg erscheinen
zu lassen. Und umgekehrt. Der Tscheche Jan Kasl hat das hier perfekt
umgesetzt. jankaslphoto.com, Instagram: @jankaslphoto
Männer im Mond
Sieger in der Kategorie „Best of Instagram by Lenovo“
Was es für dieses Bild alles braucht: zwei Kicker, aufgebaut an
der richtigen Stelle am Pico Malacara, Spanien; einen perfekt synchronisierten
Sprung der beiden Freeskier Jaime Rico und Javi Diaz;
den Vollmond; natürlich klaren Himmel – und einen genialen Fotografen
wie Yhabril Moro. yhabril.com, Instagram: @yhabril
DER WETTBEWERB
RED BULL
ILLUME
Zwei Beobachtungen brachten
den Ex-Red Bull-Athleten und Fotografen
Ulrich Grill 2006 ins Grübeln.
Erstens: Der technologische
Fortschritt in der Lichtbildnerei
er öffnete Actionfotografen völlig
neue Möglichkeiten. Zweitens: Es
gab keinen Wettbewerb, der dieses
junge Genre entsprechend zelebrierte.
Also erfand Ulrich schlicht
einen solchen: Red Bull Illume.
Heute ist der Contest mit Zehntausenden
Einsendungen der weltweit
größte seiner Art. Die Sieger
werden von einer 50-köpfigen Fachjury
gekürt. Ein aufwendiger Prozess
mit hohem Qualitätsanspruch.
Daher findet der Wettbewerb ganz
bewusst nur alle zwei Jahre statt.
redbullillume.com
30 THE RED BULLETIN
EGAL, WIE HART DEIN
TAG AUCH WIRD.
Das Baustellenradio GML 50 von
Bosch Professional ist härter.
It’s in your hands. Bosch Professional.
Film
Carrie-Anne
Moss
bekämpft als Trinity die Matrix in schwarzem Latex.
Privat verbannt die Schauspielerin Smartphones aus
ihrem Alltag – und besiegt Algorithmen mit Meditation.
Interview RÜDIGER STURM
1999 sorgte der Kinohit „Matrix“
für eine Revolution des Actionkinos.
Carrie-Anne Moss zeigte Keanu
Reeves damals, dass alle Menschen
in einer gigantischen Computersimulation
gefangen sind – der
Matrix. 18 Jahre nach dem dritten
Teil geht der Kampf gegen die Illusion
in „The Matrix Resurrections“
weiter. Die heute 54-Jährige erläutert
exklusiv für The Red Bulletin, wie
sie der künstlichen Welt der Matrix
entkommt, mit welchen Methoden
sie ihre Stunts übt und welche Rolle
Meditation dabei spielt.
THE RED BULLETIN: Frau Moss,
hatten Sie jemals selbst das Gefühl,
dass wir nicht in der realen
Welt, sondern in der Matrix leben?
carrie-anne moss: Das habe ich
jeden Tag.
Wow. Wann hat das angefangen?
Zum ersten Mal brachte mich ein
Lehrer in der 10. Klasse auf den
Gedanken. Er fragte uns, ob es nicht
sein könnte, dass wir alle in einem
Traum leben. Damals dachte ich:
„Wie bitte?!“ Ich kann mich nicht an
viel aus meiner Schulzeit erinnern,
aber diese Frage ist mir präsent geblieben.
Sie hat eine Tür in meinem
Geist aufgestoßen. Ich habe viele
Jahre darüber nachgedacht, denn
der Lehrer gab uns keine Antwort.
Was ist denn Ihre Antwort?
Dass jeder Mensch in seiner eigenen
Realität lebt – abhängig von Algorithmen
in sozialen Medien oder
einfach nur von seinen persönlichen
Interessen. Du kannst dich in einem
Zimmer mit vier Personen aufhalten,
und jede davon bewegt sich in einer
komplett anderen Welt.
In den „Matrix“-Filmen geht es darum,
dass wir zur wahren Realität
vordringen. Gelingt Ihnen das?
Ich versuche auf jeden Fall, diese
Matrix aufzulösen. Ein ganz wichtiges
Werkzeug dabei ist für mich
Meditation. Sie gibt mir die Möglichkeit,
meinen Geist zu beruhigen.
Egal ob ich das nun drei Minuten
oder drei Stunden mache. Oder
meinetwegen auch nur ein paar
Atemzüge. Wenn ich meditiere, bin
ich komplett bei mir – ohne den
ganzen Lärm der Außenwelt. In der
Meditation trete ich sozusagen in
einen Raum voller Ruhe ein, darin
erlebe ich so etwas wie echte Realität,
und das beschert mir ein pures
Glücksgefühl.
Welche Techniken setzen Sie da
genau ein?
Ich habe lange Zeit Transzendentale
Meditation gemacht, jetzt ist es eine
Art Hybridform, die ich selbst entwickelt
habe und die ich auch anderen
Leuten beibringe. Wichtig dabei
ist, dass man das nicht wie eine lästige
Pflicht empfindet. Ich persönlich
freue mich auf jede Meditation.
Das heißt, im Grunde haben Sie
die illusionäre Welt der Matrix
schon hinter sich gelassen?
Einerseits ja, andererseits ist der
Weg aus der Matrix endlos. Sobald
du denkst, du hast sie entwirrt und
bist frei davon, denkst du dir: Moment,
vielleicht bin ich einfach nur
in der nächsten Matrix gelandet.
Wir werden auch durch die Algorithmen
der digitalen Welt manipuliert.
Wie schütteln Sie die ab?
Ich war nie von der digitalen Welt
begeistert. Ich habe eher eine Aversion
entwickelt, weil sie sich nicht
gut für mich anfühlt. Natürlich hänge
ich wie alle anderen am Smartphone,
aber ich sehe zu, dass ich
mich, sooft es geht, ausstöpsle. Und
ich habe diese Haltung auch meinen
Kindern zu vermitteln versucht. Sie
gingen auf eine Waldorfschule, wir
hatten keinen Fernseher. Irgendwann
kamen sie jedoch in ein Alter,
in dem sie aufs Smartphone nicht
verzichten wollten. Also habe ich
ihnen gesagt: „Der Technik ist euer
Wohlergehen egal, aber für mich
seid ihr das Wichtigste überhaupt.“
Zu einem freien Geist gehört auch
ein gesunder Körper. Was tun Sie
für den Ihren – etwa um die Stunts
in „Matrix“ zu meistern?
Das war eine große Herausforderung.
Ich war ja nicht mehr Anfang
dreißig wie bei den ersten Filmen.
Dazu gehört Training, gesundes
Essen mit Nahrungsergänzungen,
aber letztlich ist das auch eine
mentale Frage. Für die schwierigsten
Stunts half mir die Technik der
Visualisierung. Das Training des
Geistes ist das Wichtigste überhaupt.
„Matrix Resurrections“ läuft
ab 23. Dezember in den Kinos.
JSQUARED PHOTOGRAPHY/CONTOUR BY GETTY IMAGES
32 THE RED BULLETIN
„Ich habe
eine Aversion
gegen die
digitale Welt
entwickelt.“
Sci-Fi-Ikone Carrie-Anne Moss, 54,
schaltet gern ihr Handy ab.
THE RED BULLETIN 33
Deutschrap
badmómzjay
mischt mit 19 Deutschlands Rap-Szene auf, trägt gern
Goth-Outfit und steht offen zu ihrer Bisexualität. Wie sie
als junge Frau Hass im Netz kontert? Erzählt sie hier.
Interview JANINA LEBISZCZAK
Foto JESKO GORGAS
Früher hat mich das traurig gemacht.
Später habe ich gelernt, dass
ich lieber allein bin als mit Menschen,
die es nicht gut meinen mit
mir. Ich habe dadurch schnell verstanden,
wie die Menschen ticken
und die Welt funktioniert. Man muss
stark sein. Wenn man so aufgewachsen
ist, kratzt dich gar nichts mehr.
Es war doch alles nur ein Spaß!
2018 schrieb badmómzjay, die
Jordan Napieray heisst, auf dem
Handy ihren ersten Rap-Text und lud
ihn zu einem Beat von Nicki Minaj
auf Instagram hoch. Aus dem Spaß
wurde Ernst und der Song ein Hit.
Rapstars gratulierten, Plattenlabels
meldeten sich. Da war sie gerade
einmal 15 Jahre alt. Ihre erste EP
landete 2020 auf Platz 12 der Charts.
Bei den Hiphop.de Awards wurde
die bei Berlin lebende Rapperin als
„Beste New comerin national“ ausgezeichnet,
auf Spotify folgen ihr
über zwei Millionen Menschen, und
die Zeitschrift „Bunte“ verlieh ihr ein
paar Tage vor unserem Gespräch den
New Faces Award. Die Laune beim
Interview ist entsprechend prächtig.
THE RED BULLETIN: Erzähl mal,
wie fühlt sich die Wolke an,
auf der du gerade schwebst?
badmómzjay: Man hat gar nicht
die Zeit, um zu reflektieren. Natürlich
bin ich sehr glücklich und stolz.
Trotzdem würde ich mir einen
Moment wünschen, um das Ganze
einmal zu begreifen.
Wie ist es, Rapstar zu sein?
Ich kann tun, was ich liebe, ich bin
umgeben von talentierten Leuten, die
ähnlich ticken wie ich. Und ich würde
lügen, wenn ich sage, dass mich das
Geld nicht interessiert. Es macht
mich unabhängig. Ich kann meine
Familie unterstützen und muss nicht
mehr mit Sorgen einschlafen wie
früher. Was ich nicht mag, ist, dass
mich manche nicht mehr mit Respekt
behandeln, nur weil ich in der
Öffent lichkeit stehe. Man kann nichts
machen, ohne dass es beurteilt wird.
Ich bin noch ein Kind – für mich ist
das manchmal anstrengend.
In einer männerdominierten
Branche: Gibt es da einen weiblichen
Zugang zum Rap?
Ja, das Positive. Leute zu animieren,
dass sie machen können, was sie
wollen – egal wie sie aussehen, egal
wen sie lieben. Dieses Empowern
kommt in den Texten männlicher
Rapper selten vor.
Du bist ohne Vater aufgewachsen.
Wie hat dich das geprägt?
Sagen wir so: Ich lege mein prinzipielles
Misstrauen erst ab, wenn
ich vom Gegenteil überzeugt werde.
Reden kann man schnell viel, besonders
in meiner Branche.
Was hast du von deiner Mutter
lernen können?
Meine Mutter und ich sind ein Team.
Dass man Männer zum Überleben
braucht, den Gedanken gab es nie.
Ich kenne nur starke Frauen, die
alles selbst erledigen. Meine Mama
hat mir auch beigebracht, immer zu
sagen, was ich denke. In der Schule
waren die meisten von diesem Verhalten
eher abgeschreckt. Deshalb
hatte ich nicht viele Freunde.
Du wurdest wegen deiner Art und
dem finanziellen Hintergrund
deiner Familie in der Schule gemobbt.
Wie hat dich das geformt?
Heute setzt du dich für andere
ein. Du engagierst dich für die
LGBTQ-Community und stehst zu
deiner Bisexualität. Wie sind die
Reaktionen?
Hauptsächlich sehr positiv. Manchmal
gibt es auch Kommentare wie
„scheiß Lesbe“. Solche Leute ignoriere
ich. Sobald man sich äußert,
wird die Welle noch größer. Die
haben ein Problem mit sich selbst.
Ich kämpfe seit meinem 13. Lebensjahr
darum, dass Sexualität frei ausgelebt
werden kann, und gefühlt sind
wir keinen Schritt weiter. Wir haben
noch einen langen Weg vor uns.
Mal trägst du knallrote Haare und
gefühlt meterlange Fingernägel,
mal sieht man dich komplett ohne
Make-up. Was hat es mit deinem
Style auf sich?
Darüber denke ich nicht nach. Ich
bin ein sehr wandelbarer Mensch,
vom Girly zum Jogger-Style zu Goth
und zurück. Ich zeige mich auch oft
ungeschminkt. Ich mag so aussehen,
wie ich mich gerade fühle.
Welchen Rat hast du an die Nachwuchskünstlerinnen
da draußen?
Macht es wie ich: einfach anfangen!
Klar ist es schwierig. Aber lasst euch
von niemandem einreden, ihr würdet
das nicht schaffen.
Seit dem 26. November ist ihr Album
erhältlich: „badmómz“. badmómzjay auf
Instagram folgen: @badmomzjay
34 THE RED BULLETIN
„Ich mag
so aussehen,
wie ich mich
gerade fühle.“
Rapperin badmómzjay, 19,
steht zu ihrem Style.
THE RED BULLETIN 35
Fußball
Steffen Freund
war früher als aktiver Fußballer gefürchtet für seine
defensive Härte. Als Kommentator auf ServusTV
bevorzugt die Dortmund-Legende die Offensive.
Hier erklärt er, was Sieger auszeichnet.
Interview HANNES KROPIK
Als TV-Experte nehmen Sie sich
heute kein Blatt vor den Mund …
… ich verliere aber nie den Respekt
vor Spielern oder Trainern. Ich setze
bei den Zuschauern kein Basiswissen
voraus. Meine Aufgabe als Experte
ist es, das Gesehene so zu erklären,
dass man es als Laie nachvollziehen
kann und es am Ende einen Mehrwert
für alle gibt. Gleichzeitig will
ich die Zuschauer aber nicht mit
theoretischem Wissen zuschütten.
Als Fußballer war Steffen Freund
defensiver Mittelfeldspieler. Da hatte
er die Aufgabe, die Spielgestaltung
des Gegners möglichst effektiv zu
stören. 1996 wurde er mit Deutschland
Europameister. Mit Borussia
Dortmund gewann der nunmehr
51-Jährige zwei deutsche Meistertitel
sowie 1997 die Champions
League und den Weltpokal. Seine
viereinhalb Jahre bei Tottenham
Hotspur führten ihn in die Hall of
Fame des Londoner Spitzenklubs.
Heute ist Steffen Freund, der mit
seiner Familie außerhalb von Berlin
lebt, ein gefragter TV-Analytiker.
Auf ServusTV bildet er – gemeinsam
mit dem Norweger Jan Åge Fjørtoft
– ein internationales Experten-
Duo, das den Zuschauern die UEFA
Champions League näherbringt.
THE RED BULLETIN: Was nimmt
man für sein weiteres Leben mit,
wenn auf der Visitenkarte „Champions-League-Sieger“
steht?
steffen freund: Man spürt,
dass die eigene Karriere weit oben
angekommen ist. Dass ich nach
dem EM-Titel auch die Champions
League gewinnen konnte, hat mich
sehr glücklich gemacht – aber ich
war nie der Typ Mensch, der nach
Erfolgen zufrieden wurde. Zufriedenheit
kann hinderlich sein. Das
Schwierige ist, errungene Erfolge
durch nachfolgende Leistungen
zu bestätigen.
Die UEFA Champions League ist
für jeden Fußballer das höchste
Ziel auf Vereinsebene. Blöde
Frage: Wie gewinnt man sie?
Unser Finalgegner Juventus Turin
war 1997 die beste Mannschaft der
Welt. Ich erinnere mich, wie mein
Kollege Jürgen Kohler vor dem Spiel
trotzdem gesagt hat: „Kommt, wir
holen uns den Pokal!“ Ich dachte:
Was ist denn mit dem los? Aber er
hatte natürlich recht: Du musst an
dich selbst die höchsten Ansprüche
stellen. Denn in einem Spiel kannst
du jeden schlagen.
Heute sind Sie gefragter TV-
Experte. Inwiefern hilft Ihnen
Ihre Vergangenheit als ehemaliger
Weltklasse-Fußballer?
„Weltklasse“ haben jetzt Sie gesagt!
Aber klar, das ist ein kleiner Vorteil
für mich: Ich habe es selbst wirklich
erlebt und kann meine Emotionen
wahrhaftig wiedergeben. Ich bin
sehr dankbar, dass ich in 17 Jahren
als Profi so viel erleben durfte.
Trotzdem habe ich nicht vergessen,
woher ich komme: aus dem Osten,
der armen Seite Deutschlands.
Als Aktiver galten Sie als
unangenehmer Gegenspieler …
… aber ich war meist fair! Ich habe
brenzlige Situationen sportlich
zu lösen versucht. Meine Aufgabe
war in der Regel, den gegnerischen
Spielmacher auszuschalten, also
Legenden wie Zinédine Zidane, Roberto
Baggio oder Andreas Herzog.
Ich habe es genossen, wenn ich dabei
an meine Grenzen gehen musste.
Wie sind Sie als Aktiver mit Kritik
umgegangen?
Ich habe sie mir am Anfang zu Herzen
genommen – manchmal vielleicht
sogar zu sehr. Aber letztendlich
war berechtigte Kritik immer
ein Schlüssel zum Erfolg. Aus Kritik
entsteht Ehrgeiz. Und Energie!
Worum geht es im modernen
Fußball – in einem Satz zusammen
gefasst?
Es geht um Flexibilität. Egal ob du
als Mannschaft mehr in Ballbesitz
bist oder nicht, egal ob in der Offensive
oder in der Defensive: Du musst
taktisch rasch reagieren können.
Manche Entscheidungen musst du
blitzschnell aus dem Bauch heraus
treffen. Aber es müssen Entscheidungen
sein, die du im Kopf schon
längst vorbereitet hast.
Sie haben mit Ihrem Kollegen Jan
Åge Fjørtoft eine Wette laufen:
Sie behaupten, Manchester City
gewinnt die aktuelle UEFA Champions
League. Warum?
Ihre Ausgangssituation erinnert mich
an unsere mit Borussia Dortmund:
Wir waren – wie jetzt Manchester
City – in den Jahren davor immer
knapp dran am großen Erfolg. Du
kommst dem Triumph immer näher
– und wirst schlussendlich für deine
Beharrlichkeit belohnt.
Weitere Infos: servustv.com
SERVUS TV/LEO NEUMAYR
36 THE RED BULLETIN
„Kritik ist
ein Schlüssel
zum Erfolg.
Daraus entsteht
Ehrgeiz.“
Steffen Freund, 51, über Ärger
als mögliche Energiequelle
THE RED BULLETIN 37
MULTITALENT
Eileen Gu beim Red
Bulletin-Fotoshooting
in Saas-Fee: Im Freestyle-Skifahren
zählt
sie in drei Disziplinen
zur Weltspitze.
Die
Beste
EILEEN GU, 18, ist der nächste
Wintersport‐Weltstar: Freestyle‐Ski‐
Kanone, Stanford‐Studentin,
gefragtes Model. Als in den USA
geborene Chinesin will sie die Fans
beider Supermächte vereinen.
Text EVELYN SPENCE
Fotos CHRISTIAN ANWANDER
Freestyle-Ski
zweier
Welten
39
Freestyle-Ski
E
ihre
ileen Gu ist 18 Jahre alt, dafür hat sie es ordentlich
weit gebracht: Sie ist Freestyle-Olympiahoffnung
für Peking, zweifache Goldmedaillen-Gewinnerin
bei den X Games, gehört in allen drei Freestyle-Disziplinen
– Halfpipe, Slopestyle und Big Air – zur Weltklasse,
sie ist Langstreckenläuferin, dazu gefragtes
Model, Feministin und angehende Diplomatin.
Es ist Ende Oktober, Gu hat einen Monat Halfpipe-Training
in Saas-Fee in der Schweiz absolviert
und ein Camp am Stubaier Gletscher in Österreich
vor sich. Im Herbst erwarten sie Kurse in Mikro- und
Makroökonomie.
Die Zeit zwischen den Trainingseinheiten verbringt
sie mit Vorträgen über Astrophysik und Fachbüchern
über Quantenmechanik. „Als ich vorigen
Winter das erste Mal bei den X Games war, wurden
mir die anderen vor gestellt als ‚… hat das und das
gewonnen‘, als ‚… ist so und so oft Olympiasieger
geworden‘ oder ‚… ist der erste Mensch, dem dieser
und jener Trick gelungen ist‘. Bei mir hieß es immer
nur: Das ist Eileen Gu, sie hat 1580 Punkte beim
SAT-Test (einem standardisierten US-Schulleistungstest;
das Durchschnittsergebnis liegt bei knapp über
1000 Punkten; Anm.) und wurde auf der Universität
von Stanford aufgenommen.“
Man könnte Eileen Gu als Ausnahmeerscheinung
abtun, als begnadetes Multitalent. Man täte ihr damit
Unrecht. Denn was Gu wirklich zu etwas Be sonderem
macht, ist ihre enorme Leidenschaft fürs Lernen. Sie
ist eine Musterschülerin des Lebens – im Sport genauso
wie in der Wissenschaft. „Sie geht an jeden einzelnen
Trick mit extremer Sorgfalt heran, visualisiert
ihn wieder und wieder, in jedem Detail, und sie weiß
Fähigkeiten unglaublich gut einzuschätzen“,
sagt ihr Trainer Misra Noto. Kaya Turski, acht fache
X Games-Gewinnerin im Slopestyle, beschreibt Gus
Art, Ski zu fahren, mit dem Attribut „kalkuliert“ –
nicht, weil ihr die Leidenschaft fehlen würde, sondern
weil sie so überlegt und so präzise vorgeht.
Dasselbe gilt für das Training abseits der Piste.
„Eileen versucht, jede einzelne Wiederholung einer
Übung noch perfekter zu machen als die davor“,
sagt Alex Bunt, Strength- & Conditioning-Coach bei
Red Bull. „Die meisten von uns finden zum Beispiel
Dehnübungen langweilig. Sie nicht. Sie möchte jede
Dehnung besser machen als die davor.“
In Saas-Fee trainierte Gu eine neue Pipe-Sequenz
mit drei neuen Tricks und einer neuen Kombination,
sie war jeden Tag von 10 bis 15 Uhr auf dem Berg –
konzentriert, effizient, keine Minute wurde verschwendet.
Misra Noto, ein ehemaliger Profi und
erfahrener Trainer, der früher das Schweizer Slopestyle-Team
coachte, sagt: „Von allen Riderinnen, die
ich kenne, arbeitet Eileen am härtesten.“
Dass Gu manchmal als ein wenig kompliziert gilt,
hat einen einfachen Grund: Ihr Leben ist kompliziert.
Manchmal besteht es aus zwei Leben (Profisportlerin
und Studentin), manchmal aus vier (zusätzlich
noch Läuferin und Model). Außerdem fühlt sie sich
sowohl als Amerikanerin wie auch als Chinesin.
Eileen Gu wurde in San Francisco geboren und
stand auf den Hängen des Skigebiets Northstar am
Lake Tahoe zum ersten Mal auf Skiern. Trotzdem
entschied sie sich im Alter von 15 Jahren, bei der
„Ich muss die Dinge
gut machen, sonst
würde ich ja meine
Zeit verschwenden.“
MATT POWER
40 THE RED BULLETIN
AIR CHINA
Gu beim Training
in der Halfpipe von
Copper Mountain,
Colorado. In Peking
startet sie für China.
THE RED BULLETIN 41
„Fashion ist
eine kreative Art,
der Welt zu zeigen,
wer du bist.“
Eileen Gu über die Vorzüge
ihrer Zweitkarriere als Model
Freestyle-Ski
Olympiade 2022 für China anzutreten. Ihre Mutter
Yan stammt aus Peking. Seit Gu zwei Jahre alt ist,
verbringt sie jeden Sommer dort. Sie spricht akzentfrei
Mandarin, ging in Peking zur Schule, hat dort
Freunde und ein Haus. „Wenn ich in Amerika bin,
bin ich Ame rikanerin“, sagt sie ganz oft, sodass es
wirkt wie ein Man tra, „in China bin ich Chinesin.“
Als Gu zehn Jahre alt war, überredete sie den
Betreiber eines Ski-Resorts in China dazu, den ersten
Freestyle-Ski-Contest des Landes zu veranstalten.
„Die Community war damals noch winzig, wir sind
gemeinsam gewachsen“, sagt sie. Seit Gu bekannt
gegeben hat, in Peking für China zu starten, sind
mehr als zwei Jahre vergangen. Heute wird Gu
in China auf der Straße erkannt. Aus dem kleinen
Mädchen wurde die bekannteste Skifahrerin im
bevölkerungsreichsten Land der Welt; sie wird als
„Schneeprinzessin“ oder „Ski-Genie“ bezeichnet.
„Eileen ist die perfekte Kombination aus Alter,
Talent und Charisma“, sagt Szene-Insiderin Kaya
Turski. „Sie hat das Zeug, die nächste Lindsey Vonn
oder Chloe Kim zu werden.“
Genau hundert Tage vor der Eröffnungszeremonie
veröffentlichte das Pekinger Organisationskomitee
einen aufwendigen Kurzfilm: „A Date with Snow
and Ice“. Darin trifft ein junger Mann (Megastar
Jackson Yee, einer der beliebtesten Sänger Chinas)
ein junges Mädchen (Gu). Die beiden besuchen
gemeinsam die Pekinger Sportstätten; es ist eine
Mischung aus Pop-Kultur und Sport. Am Ende des
Films ist wieder Gu zu sehen: Eine Fackel in der
Hand, läuft sie, begleitet von dramatischer Musik,
in Zeitlupe die Chinesische Mauer entlang.
Es ist schwer zu sagen, wann genau Gu den
Durchbruch geschafft hat. Aber ein Wettkampf
sticht heraus: Innerhalb von 36 Stunden
gewann sie im Januar 2021 drei Medaillen
bei den X Games, zwei in Gold und eine in
Bronze. Sie war die erste Debütantin, die Medaillen
in drei Wettbewerben gewann, und die erste chinesische
Athletin der Geschichte mit einer Goldmedaille.
Zu dem Zeitpunkt war sie keine Unbekannte mehr;
sie hatte bereits 2020 in Calgary, Kanada, und auf
der Seiser Alm in den Südtiroler Dolomiten Weltcup-Wettbewerbe
gewonnen. Bei den Jugend-
Winterspielen 2020 in Lausanne, Schweiz, gewann
sie zweimal Gold und einmal Silber.
Der Weg bis dahin verlief alles andere als gewöhnlich.
Gus Mutter kam in ihren Zwanzigern als
Migrantin in die USA, studierte Biochemie an der
Rockefeller-Universität in New York und stand das
erste Mal am Hunter Mountain im Osten der USA auf
Skiern. Dann zog sie in die Bay Area, in die Gegend
von San Francisco, und erwarb an der Stanford-Universität
den Titel Master of Business Administration.
Als Eileen drei Jahre alt war, meldete Yan sie bei
einem Skikurs in Tahoe an. Mit acht Jahren wurde
sie Teil des Freeskiing-Teams im Northstar California
Ski Resort – als einziges Mädchen –, weil Yan fand,
Skirennen seien zu gefährlich. Bald gewann Eileen
COVERSTAR
Eileen Gu auf den
Titel seiten der Modemagazine
„Vogue“,
„In Style“, und „Elle“
(alle China) sowie des
„V Magazine“ (US)
„Wenn ich in Amerika bin,
bin ich Ameri kanerin.
In China bin ich Chinesin.“
Contests der USASA (United States of America
Snowboard and Freeski Association), darunter einen
nationalen Wettbewerb für Neunjährige.
Egal wo sie hinging, ihre Mutter war immer
an ihrer Seite. Kaya Turski begegnete Gu zum ersten
Mal in Neuseeland, „als eine kleine Frau zu mir kam
und sagte: ‚Das ist meine Tochter.‘ Das war Eileen,
1,20 Meter pure Energie“, erinnert sie sich.
Daheim in San Francisco wohnte Gu mit ihrer
mittlerweile 86-jährigen Großmutter, Guo Zhenseng
– hier kommt sie manchmal immer noch vorbei.
„Meine Großmutter ist leidenschaftlich, sie ist die
ehrgeizigste Person, die ich kenne. Und das heißt
viel, wenn ich es sage“, sagt sie. Sie war vier, als ihre
Großmutter ihr beibrachte, dreistellige Zahlen miteinander
zu multiplizieren.
„Meine Mutter ist nicht so ehrgeizig wie meine
Oma“, sagt sie. „Ihr war wichtig, mir viele Möglichkeiten
zu eröffnen, meinem Leben ein breites Spektrum
zu geben: Klavier, Ballett, Fußball, Basketball,
Reiten, Bogenschießen, Klettern, Volleyball, Tennis.
Ich machte alles.“ Aber: Druck, besonders erfolgreich
zu sein, gab es nie. „Das war keine Eislaufmutti-
Situation“, sagt Gu. „Mein Ehrgeiz kommt
eher aus meiner Unfähigkeit, zu versagen. Wenn ich
etwas mache, dann mache ich das gut, dann muss
ich das gut machen, sonst würde ich ja meine Zeit
verschwenden. Das ist die Art meiner Großmutter,
die Dinge zu sehen, und indirekt auch meine Art.“
Was Gus Durchbruch bei den X Games auf
den ersten Blick besonders überraschend macht:
2020/21 war die erste Saison, in der sie nicht Vollzeit
zur Schule ging. Bis zu ihrem Schulabschluss
2020 – sie war die erste Schülerin in der Geschichte
ihrer Highschool, die in drei Jahren den Abschluss
schaffte statt in vier – fuhr sie höchstens 65 Tage
im Jahr Ski. Jedes Wochenende fuhr sie mit Yan nach
Tahoe; während der vierstündigen Fahrt lernte sie
im Auto für die Schule.
Andere Talente in ihrem Alter brachten es auf
250 Skitage pro Jahr.
Die Umstände zwangen sie zu einem beinharten
Arbeitseinsatz auf und abseits der Piste. Gleichzeitig
führte sie ein ganz normales Teenager-Leben. „Viele
meiner Ski-Kolleginnen waren Außenseiter, durften
nicht zum Abschlussball gehen und all das. Bei mir
war das anders. Niemand wusste, dass ich Ski fahre,
und es hat auch niemanden interessiert.“
Außerdem war Gu beim Geländelauf derart
schnell, dass sie sich fast dafür statt für das Ski fahren
entschieden hätte – unter anderem weil sie als Läuferin
an Colleges aufgenommen werden hätte können.
THE RED BULLETIN 43
Freestyle-Ski
Aber als ein Ski-Contest in Österreich und ein Rennen
für die nationalen Crosslauf-Meisterschaften
zur gleichen Zeit stattfanden, kaufte sie ein Last-
Minute-Ticket nach Europa.
Auf die Frage, was Gu von anderen unterscheidet,
hört man oft ähnliche Antworten. US-Freestyle-
Skifahrer Bobby Brown, der acht Medaillen bei den
X Games gewann, sagt: „Ich kenne sie, seit sie zehn
oder elf war und ihren lila Helm trug. Was sie auf
den Rails aufführte, war schon damals verrückt.“
Für Trainer Noto ist am beeindruckendsten, wie
hoch Gu bei ihren Tricks in der Pipe springt – bei den
X Games waren es im Schnitt 3,35 Meter. Für Freestyle-Kollegin
Turski ist es schlicht ihre Vielseitigkeit.
Egal wen man fragt: Eileen Gu verfügt schon jetzt
über eine gigantische Bandbreite an Fähigkeiten –
und immer noch ist jede Menge Potenzial für Verbesserungen
da. „Noch kann ich nicht sagen, dass sie
die erfolgreichste Skifahrerin aller Zeiten wird“, sagt
Noto, „aber sie hat alles, was man dazu braucht.“
China hat, was den Skisport angeht, überaus
ehr geizige Pläne: Tausend neue Ski-Resorts
sind bis zum Jahr 2030 geplant, fünfzig
Millionen Skifahrer sollen China zum größten
Ski-Markt der Welt machen.
„Ich erinnere mich noch an die Anfänge. Ich
kannte jede einzelne Person im Snowpark, weil es
im ganzen Land gerade zehn oder zwanzig gab“,
sagt Gu. „Jetzt ist ein Funpark der trendigste Ort,
an dem man sich in China aufhalten kann.“
Das enorme Wachstum der Ski-Branche verläuft
parallel zu Gus eigener Entwicklung. Sie ist ein
Symbol für den chinesischen Ski-Boom. Dennoch
fiel ihr die Entscheidung, für China anzutreten und
nicht für die USA, sehr schwer.
Also: Warum China? „In den USA bin ich mit all
diesen Vorbildern aufgewachsen. So ein Vorbild
wollte ich für jemand anderen sein“, sagt sie. Übersetzt:
In China, sagt sie, könne sie ein nationales
Bewusstsein für Freestyle schaffen und eine neue
Generation von Mädchen inspirieren.
„Wenn ich in Amerika bin, bin ich Amerikanerin“,
wiederholt sie ihr Mantra, „wenn ich in China bin,
bin ich Chinesin.“ Gu verfügt über die erstaunliche
Fähigkeit, sich unterschiedlichen Umständen nahtlos
anzupassen, die Stimmung im Raum intuitiv
zu erfassen, selbstverständlich zwischen Sprachen
„Ich spreche
fließend Englisch und
Mandarin, somit kann
ich beide Kulturen
in mich aufnehmen.“
zu wechseln. „Da ich fließend Englisch und Mandarin
spreche, hatte ich von klein auf die Möglichkeit,
Nuancen von beiden Kulturen in mich aufzunehmen“,
sagt sie. „Ich kann nicht nur in beiden Sprachen
sprechen, ich kann auch in beiden leben.“
Natürlich entspricht das auch dem, was man
den „olympischen Geist“ nennt – speziell wenn es
darum geht, eine Verbindung zwischen den beiden
großen Weltrivalen China und USA zu schaffen.
„Ich habe erkannt, welche Auswirkungen Sport
auf die Diplomatie haben kann“, sagt sie. „Sport ist
etwas Gemeinsames, unabhängig von Sprache, unabhängig
von Kultur, unabhängig von politischer
Zugehörigkeit.“
Vergangenen Sommer reiste Gu für eine Tour
voller Sponsoring-Verpflichtungen nach China. Die
Tournee begann pandemiebedingt mit Quarantäne:
fünf Wochen allein in einem Hotelzimmer, mit nicht
mehr als einem Laufband, einer Yogamatte und ein
paar leichten Gewichten. Gu sah es als Chance, sich
auf ihre Fitness und nur auf ihre Fitness zu konzentrieren,
bei täglichen drei- bis vierstündigen Zoom-
ÜBERFLIEGER
Eine von Gus Stärken
ist der Luftstand, den
sie, hier in den USA,
bei ihren Sprüngen
erreicht – im Schnitt
über drei Meter.
MATT POWER
44 THE RED BULLETIN
MENTAL STARK
Gu beim Equipment-
Check. Die Achtzehnjährige
steht oft unter
Druck. Aber sie geht
extrem souverän
damit um.
Meetings mit Trainer Alex Bunt, der sich darauf konzentrierte,
an ihrer Explosivität und Sprungkraft zu
arbeiten, an ihrer Beweglichkeit und Flexibilität sowie
an ihrer Verletzungsresistenz. Sogar tausende
Kilometer entfernt war er überwältigt von ihren
motorischen und athletischen Fähigkeiten. „Ich
könnte Eileen sagen, sie soll die Haltung ihrer linken
kleinen Zehe korrigieren, und sie würde es gleich
schaffen“, sagt er. „Sie ist ein Bewegungsgenie.“
Als Gus geheime größte Stärke sieht Bunt ihre
Grundlagenausdauer. „Sie hat einen wirklich großen
Tank. Das heißt vor allem, dass sie mit den Schmerzen
und Belastungen eines hohen Trainingsvolumens
umgehen kann, physisch, aber auch mental. Fünf
Wochen allein im Hotelzimmer? Stell dir das vor.
Das ist irre. Ein unglaublicher Charakter.“
Nach der Quarantäne reiste Gu alle paar Tage
in unterschiedliche Städte. Skifahren, Schule, Klavier
und Laufen im Tag unterbringen zu müssen – so wie
früher – wirkt jetzt fast wie ein Kinderspiel. „Die vergangenen
zwei Jahre waren vom normalen Leben
eines Teenagers so weit weg, wie es überhaupt nur
weg sein kann“, sagt sie.
„Beim Tagebuchschreiben
finde ich
heraus, wie mein
Verstand funktioniert.“
Skifahren hat Gu bekannt gemacht, nun ist
das Modeln dazugekommen, das sie von
einer Nischen-Berühmtheit in einen Star
verwandelt hat. Mit fünfzehn wurde sie von
einer chinesischen Marke zur Paris Fashion Week eingeladen;
seither war sie mehrfach in den chinesischen
Editionen von „Elle“ und „Vogue“ zu sehen, wurde
von Luxusmarken wie Tiffany und Louis Vuitton
gebucht und nahm am Rebranding von Victoria’s
Secret teil – gemeinsam mit Megan Rapinoe, Valentina
Sampaio und Priyanka Chopra Jonas. „Ich stehe
für die Verbindung von zwei unterschiedlichen ethnischen
Gruppen, für eine Verbindung von Sport
und Kunst und für Körperbewusstsein“, sagt sie.
Für Gu ist das Modeln sowohl eine Ergänzung
zum Skifahren als auch eine Atempause davon.
„Fashion ist eine kreative Art, der Welt zu zeigen,
wer du bist“, sagt sie. „Es ist fast so wie beim Skifahren.
Erst wenn du deinen individuellen Style in
deine Tricks einbringst, wird es was Besonderes.“
Es gibt nicht nur diese Parallele zwischen Mode
und Wettkampf: Ein Fotoshooting erzeugt genauso
viel Adrenalin wie ein Run in der Halfpipe – die
Konzentration, das Im-Mittelpunkt-Stehen, das
Streben nach Perfektion.
All das klingt, als stünde Gu unter hohem Druck
– und der Eindruck stimmt natürlich. Der Druck
kommt von Sponsoren, von ihrem Land, von ihr
selbst. Aber sie geht souverän damit um. Sie weiß,
dass ihr niemand wegnehmen kann, was sie erreicht
hat. Sie weiß aber auch, dass sie sehr genau beobachtet
wird, vor allem in China, und dass sie im
Februar noch viel mehr Menschen noch viel genauer
beobachten werden. „Aber ich glaube nicht, dass
das meine Art, Ski zu fahren, beeinflusst hat“, sagt
sie. „Und wenn, dann hat es mich besser gemacht.“
Vielleicht ist es das, was Gu wirklich herausstechen
lässt: ihre mentalen Fähigkeiten. Wenn man
sie fragt, wie sie das macht, erwähnt sie Mutter und
Oma – und ihr Tagebuch. „Damit kann ich zurückblicken
und sehen, wie ich gewachsen bin. Mit dem
Tagebuch finde ich heraus, wie mein Verstand funktioniert.“
Eines Tages will sie ihre Aufzeichnungen
veröffentlichen. Dann könnte man, erste Reihe fußfrei,
miterleben, wie ein Star geboren wird.
Doch die Geschichte ist noch lange nicht fertig
erzählt, meint Kaya Turski. „Ich freue mich nicht nur
darauf, zu sehen, was sie im Skisport macht, sondern
auch, was sie für den Skisport macht. Wenn in China
alles für sie läuft, dann zündet die Rakete.“
THE RED BULLETIN 45
„Das Tempo
meines Körpers
zu akzeptieren
ist enorm wichtig.“
Andreas Wellinger
SKISPRINGEN
Diese Worte
sind Gold wert
„Ich habe auf
mein Herz
gehört, und es
funktioniert.“
Leon Vockensperger
SNOWBOARD
STEFAN HOBMAIER/RED BULL CONTENT POOL,HELGE ROESKE/RED BULL CONTENT POOL,
LORENZ RICHARD/RED BULL CONTENT POOL, HANS HERBIG/RED BULL CONTENT POOL
46 THE RED BULLETIN
Wintersport
„Angst um meinen Ruf?
Nein! Ich habe
nichts zu verlieren.“
Johanna Holzmann
SKI CROSS
Ein Angriff auf die Spitze, ein lang ersehntes
Comeback, ein junger Hoffnungsträger und ein
kompletter Neustart in einer anderen Disziplin:
vier radikal ehrliche Athleten-Gespräche
zum Start einer wilden Wintersport-Saison.
„Man will dem
anderen zeigen,
dass man
stärker ist.“
Vinzenz Geiger
NORDISCHE KOMBINATION
THE RED BULLETIN 47
Wintersport
„Seniorensport?
Auf der Loipe geht’s
Mann gegen Mann!“
In der vorigen Saison erreichte der Kombinierer
den sensationellen zweiten Platz im Gesamtweltcup.
Jetzt zählt er zu den Favoriten auf den Titel.
VINZENZ
GEIGER, 24
landete seit seinem
Debüt im Weltcup 2015
ganze 32 Mal auf dem
Podest (Einzel- und
Team-Wettbewerbe).
Die vorige Saison war
seine erfolgreichste:
Der Oberstdorfer überraschte
mit einem
sensationellen zweiten
Platz im Gesamtweltcup
hinter dem Norweger
Jarl Magnus Riiber.
NORDISCHE
KOMBINATION
Der Begriff Kombination
bezieht sich auf zwei
Disziplinen: Skispringen
und Langlaufen. Beim
Springen erhalten
die Athleten Punkte
für jeden Meter. Diese
werden in Zeitabstände
umgerechnet, mit
denen die Sportler
anschließend in den
10-Kilometer-Langlauf
starten.
THE RED BULLETIN: Von einer 100-Meter-
Schanze springen oder langlaufen,
bis die Beine brennen. Was macht mehr
Spaß?
Vinzenz Geiger: Mir macht beides Spaß.
Wenn es im Springen nicht läuft, kann das
ziemlich frustrierend sein. Dafür musst
du beim Langlaufen auch bei schlechtem
Wetter raus (lacht).
Was muss ein Athlet bei der Nordischen
Kombination mitbringen, um so erfolgreich
zu sein wie du?
Man muss aus beiden Disziplinen, dem Skispringen
und dem Langlaufen, das Beste
herausholen. Dafür braucht man eine gute
Ausdauer, Koordination und Spritzigkeit.
Die meisten in deinem Alter halten
Langlaufen eher für einen Seniorensport.
Worin liegt der Reiz für dich?
Als Kind habe ich es auch nicht gemocht
(lacht). Aber eigentlich ist Langlaufen
genial. Es ist eine der härtesten Sportarten,
für die du Kraft, Technik und Ausdauer
brauchst. Und ich mag die Mann-gegen-
Mann-Situationen. Zehn Kilometer, auf
denen es voll zur Sache geht. Da muss man
schon ordentlich leiden und denkt sich:
Wieso mach ich das?
Nordische Kombination, Teil 1: Vinzenz Geiger
beim Skisprung-Training in Oberstdorf 2020
Und? Wieso machst du das?
Ich will meinen Konkurrenten schlagen.
Man will dem anderen zeigen, dass man
der Stärkere ist.
Du bist letztes Jahr Zweiter im Weltcup
geworden. Zählst du dich diese Saison
zu den Favoriten?
Klar – es wäre ja komisch, wenn man
als Zweiter im Gesamtweltcup nicht
zu den Favoriten gehörte.
Spürst du Druck?
Nein. Aber wenn man so eine gute Vorsaison
hatte, will man das natürlich wiederholen.
Ein Erfolgsrezept von dir ist deine
Gelassenheit. Wie bleibst du so cool?
Ich nehme nicht alles so ernst wie andere.
Es ist ja nur ein Sport.
Worüber kannst du dich aufregen?
Wenn Schleicher auf der Autobahn
die linke Spur blockieren (lacht).
Nordische Kombination, Teil 2: Vinzenz Geiger
beim Langlaufen in Oberstdorf. Im Training laufen
die Sportler zum Teil 50 Kilometer.
HANS HERBIG/RED BULL CONTENT POOL (2), DOMINIK BERCHTOLD/RED BULL CONTENT POOL
48 THE RED BULLETIN
„Meine Mama fand
Ski Cross zuerst
gar nicht cool“
Im Telemark hat die Allgäuerin alles gewonnen. Nun will sie
in einer zweiten Disziplin voll angreifen: im Ski Cross.
JOHANNA
HOLZMANN, 26
musste als Kind wegen
Knieproblemen von Ski
Alpin zu Telemark wechseln.
Dort gewann sie
2018 den Gesamtweltcup
und zwölf Mal Gold bei
Junioren-Weltmeisterschaften.
In dieser Saison
wechselt sie wieder
in eine andere Disziplin:
zum Ski Cross.
Johanna Holzmann
(Mitte) beim Mannschaftstraining
am
Pitztaler Gletscher
in Österreich
HELGE ROESKE/RED BULL CONTENT POOL, RICHARD WALCH/RED BULL CONTENT POOL
SKI CROSS
ist eine noch junge
Wintersport-Disziplin.
Der erste Weltcup fand
erst 1998 statt. Dabei
brettern vier Fahrer
oder Fahrerinnen auf Ski
gleichzeitig einen Kurs
hinunter, der mit größeren
und kleineren Kickern
gespickt ist. Die ersten
zwei, die im Ziel ankommen,
qualifizieren sich
für die nächste Runde.
THE RED BULLETIN: Du willst dich jetzt
auf völlig neues Terrain begeben. Warum?
Johanna Holzmann: Das erste Mal kam
mir der Gedanke im vorigen Winter, als
ich wegen der Corona-Situation viel Zeit
hatte. Normalerweise betreibe ich dann
Alpin- Skifahren. Das war aber nicht möglich,
weil die Lifte für Privatpersonen nicht
offen waren. Deshalb habe ich mich den
Ski- Crossern angeschlossen. Das hat mir viel
Spaß gemacht (lacht).
Was reizt dich daran?
Es ist eine neue Disziplin und eine neue
Challenge. Da kann ich noch eine Menge
lernen.
Hast du keine Angst, zu verlieren und
deinen Ruf zu ruinieren?
Nein, überhaupt nicht. Ich komme als
Newcomerin in diese Sportart und habe
nichts zu verlieren.
Ist der Umstieg von Telemark auf
Ski Cross schwierig?
Ich habe schon als Kind viele Wintersportarten
ausgeübt, das ist auf jeden Fall ein
Vorteil. Und was das Wettkampfformat angeht,
profitiere ich von meinen Erfahrungen
beim Telemark. Der größte Unterschied
ist auf jeden Fall das Bindungssystem.
Beim Ski Cross ist der komplette Schuh
fest in der Bindung, beim Telemark ist
die Ferse hinten frei. Wie hast du dich
auf die Umstellung vorbereitet?
Im April habe ich mich mit den Trainern
zusammengesetzt und einen Plan ausgearbeitet,
wie das Ganze klappen könnte.
Dann ging es los mit viel Krafttraining. Im
Sommer bin ich dann auf den Gletscher
und in die Skihalle, um mich an das neue
Material zu gewöhnen.
Worauf kommt es bei Ski Cross an?
Auf Selbstvertrauen. Man darf nicht zurückziehen,
wenn man auf größere Sprünge
zufährt – erst recht nicht, wenn rechts und
links neben dir einer fährt.
Ski Cross gilt als eine der gefährlichsten
Disziplinen. Wie hat dein Umfeld
auf den Wechsel reagiert?
Meine Mama fand’s zuerst nicht so cool.
Aber als wir darüber gesprochen haben,
war sie dann beruhigt. Ich hatte schon
genug Verletzungen. Die Gesundheit ist
mein oberstes Ziel.
Und das Kniegelenk macht heute
keine Probleme mehr?
Nein. Mittlerweile sind beide Kniegelenke
durch je eine Operation stabilisiert.
THE RED BULLETIN 49
„Snowboarder können
mehr Spaß haben
als andere Athleten“
Vor neun Jahren sagten sie ihm, er sei zu schlecht. Heute ist
der Bayer einer der besten Snow boarder Deutschlands.
LEON VOCKENS
PERGER, 22
stand schon als Dreijähriger
auf dem Snowboard.
Im Januar 2021
erreichte er beim Slopestyle-Finale
im Schweizer
Laax den zweiten Rang.
Es war bei den Herren
der erste Podestplatz
eines Deutschen in dieser
Disziplin überhaupt.
SNOWBOARD
FREESTYLE
Diese Sportart kennt
drei Disziplinen: Beim
Big Air springen die
Cracks über eine Rampe
und zeigen ihre besten
Tricks. Beim Slopestyle
müssen sie einen Hindernisparcours
bewältigen,
und in der Halfpipe-
Kategorie fahren und
springen sie möglichst
trickreich durch eine
nach oben offene
Schneeröhre.
THE RED BULLETIN: Du fährst Big Air und
Slopestyle. Welche Disziplin ist dir lieber?
Leon Vockensperger: Slopestyle, da ist
jeder Parcours anders. Ich habe keinen Bock,
jeden Tag vor demselben zu stehen. Ich bin
froh, dass ich nicht darauf gehört habe, dass
ich in anderen Disziplinen höhere Chancen
auf Erfolg hätte. Ich habe stattdessen auf
mein Herz gehört, und es funktioniert.
Wie übst du deine Tricks?
Früher habe ich mir einfach gedacht: Probieren
wir es mal. Das war nicht das beste
Risikomanagement. Heute baue ich meine
Tricks nach und nach auf und versuche mich
Umdrehung für Umdrehung hochzuarbeiten.
Wenn der 1080 im Schlaf funktioniert, dann
probiere ich den 1260 – und muss nur noch
einen 180 dranhängen.
Welchen Trick würdest du gerne mal
landen können?
Einen Cap Triple 18. Das sind 1800 Grad,
also eine fünffache Drehung. Der Trick ist bis
jetzt erst ganz wenigen Sportlern geglückt.
Dein Vater war früher selbst ein Spitzen-
Snowboarder. Hast du überhaupt je darüber
nachgedacht, lieber Ski zu fahren?
Nein, nie. Profi wollte ich zwar immer schon
werden, aber dass ich es auch schaffe, war
nicht immer klar. Als ich dreizehn war, hat
mein Trainer mir gesagt, dass ich zu alt und
zu schlecht sei. Erster Gedanke: alles fürn
Arsch. Aber ich hatte ein gutes Umfeld, das
mir Hoffnung gegeben hat. Ich habe außerdem
gelernt: Oft wirken Ziele weiter weg,
als sie eigentlich sind. Man muss nur einen
Schritt nach dem anderen machen.
Anfang 2021 gelang dir bei einem Weltcupbewerb
der erste Podestplatz eines
deutschen Slopestyle-Fahrers überhaupt.
Wie feierst du solche Erfolge?
Mit guten Leuten, viel tanzen und ab und
zu ein paar Drinks. Ich trainiere hart, aber
ich will mein Leben auch genießen. Deshalb
bin ich Snowboarder geworden und nicht
Leichtathlet.
Ist es also wahr, dass Snowboarder
die coolsten Sportler von allen sind?
Nicht cooler, aber Kraft spielt bei uns nur
eine Nebenrolle. Deshalb können wir es uns
erlauben, ein bisschen mehr Spaß zu haben.
Ich gehe sehr bewusst mit mir um, aber
ich kann auch mal feiern bis in die Puppen.
Wenn ein Leichtathlet Alkohol trinkt,
dann ist er nicht mehr konkurrenzfähig.
Wann hast du gemerkt, dass du das Zeug
hast, mit den Besten mitzuhalten?
Eigentlich erst jetzt. Selbst nach der vorigen
Saison hatte ich noch den Gedanken: was,
wenn das nur ein One-Hit-Wonder war?
Deswegen war der erste Wettkampf in dieser
Saison so wichtig für mich.
Worauf freust du dich in dieser Saison
am meisten?
Darauf, für den Weltcup nach Kanada und
in die USA zu fliegen.
Wann fängt der Winter für dich an?
Wenn ich das erste Mal wieder richtigen
Schnee unter den Füßen habe. Ende August
gehe ich zum ersten Mal snowboarden.
Und die Saison ist vorbei, wenn ich zum
ersten Mal wieder surfen gehe.
Leon Vockensperger beim Posen auf der Rail
in Saas-Fee in der Schweiz 2021
LORENZ RICHARD/RED BULL CONTENT POOL
50 THE RED BULLETIN
Wintersport
Höhenflug: Andreas
Wellinger bei der
Qualifikation für die
Vierschanzentournee
in Garmisch 2020
ANDREAS
WELLINGER, 26
gab mit 17 sein Debüt
im Weltcup. 2016 bei der
Skiflug-WM und 2017 bei
der Nordischen Ski-WM
gewann er jeweils Silber.
Wegen schwerer Verletzungen
ab 2019 konnte
er über ein Jahr keine
Wettkämpfe bestreiten.
„Ich trug die Mütze
meines Sport-Idols
beim Schlafen“
STEFAN HOBMAIER/RED BULL CONTENT POOL, GETTY IMAGES
SKISPRINGEN
Nichts für Menschen
mit Höhenangst: Auf
einer fast 150 Meter
hohen Schanze nehmen
Skispringer mit etwa
90 km/h Anlauf, um
nach dem Absprung
bis zu 130 Meter weit
zu segeln. Punktrichter
vergeben eine Gesamtpunktzahl,
die sich aus
der erzielten Weite und
Haltungsnoten ergibt.
Nach langer Leidenszeit will sich
der Skiflug-Vizeweltmeister
von 2016 jetzt endlich wieder
zurückmelden.
THE RED BULLETIN: Wie kamst du
zum Skispringen?
Andreas Wellinger: Anfangs hab ich mich
als Kombinierer versucht, war aber immer
schon der bessere Skispringer. Also habe
ich mich 2011 aufs Springen konzentriert.
Mit 17 Jahren bin ich das erste Mal im Weltcup
gesprungen.
Wer waren deine Jugend-Idole?
2005 hat mir der Kombinierer Bernhard
Gruber seine Mütze geschenkt, mit der
habe ich als Kind lange Zeit geschlafen.
In meiner Anfangszeit als Skispringer
hat mich auch mein Teamkollege Severin
Freund extrem inspiriert.
Hinter dir liegen turbulente Jahre.
Was war dein Tiefpunkt?
Nach einer MRT im Jahr 2019, als der
Doktor mit Blick auf das Bild sagte, dass
neben dem gerissenen Kreuzband auch
der Knorpel kaputt ist und der ein viel
größeres Problem sei. Ein Kreuzbandriss
dauert ungefähr sechs Monate, bis man
wieder antreten kann – und der interessierte
den Arzt nicht mal …
Haben dich diese herben Rückschläge
verändert?
Ich musste 2020 anerkennen, dass ich
noch nicht die Performance liefern kann,
um ganz oben mitzumischen. Das Tempo
des eigenen Körpers zu akzeptieren ist
ein enorm wichtiger Schritt.
Du hast dich mit einem fünften Platz
beim Sommer-Grand-Prix in Hinzenbach
an der Spitze zurückgemeldet. Genau
dort, wo du dich 2019 so schwer verletzt
hattest. Wie hat sich das angefühlt?
Extrem gut! Jetzt gilt es, diese Leistung auf
Eis zu bringen. Bei meinen ersten Trainingssprüngen
in Hinzenbach im Juli saß ich
oben am Balken und hatte die Bilder vom
Sturz noch mal vor Augen. Aber nach ein
paar Sprüngen waren die alten Daten überschrieben,
und ich hatte das aus dem Kopf.
Welche Ziele hast du für dieses Jahr?
In der vorigen Saison waren auf meinem
Konto null Weltcuppunkte. Das gilt es
zu überbieten (lacht).
THE RED BULLETIN 51
AVANTGARDE
Designerin Flora
Miranda, 31, in ihrem
Modell „Avatar“. Das
Gitter dieser Kreation
aus Merinowolle lässt
sich auf Wunsch
verändern.
Fashion
Für ihre Kreationen
schreibt die österreichische
Designerin FLORA MIRANDA
Computer-Codes, lässt
Kleider aus Silikon wachsen
und malt Kunst auf Netze.
Hier erzählt die Visionärin,
warum wir bald alle Science-
Fiction auf der Haut tragen.
Text WOLFGANG WIESER
Fotos NORMAN KONRAD
ICH HABE DIE
ZUKUNFT
DER MODE
GESEHEN
ERINNERUNG
Auf diesem Bild trägt
Flora das Kleid „Memory“
aus der Kollektion
„Hyper real“. Es ist aus
schwarzem Baum wollsatin
geschneidert. Das
mit Silikon be strichene
Netzmaterial ist schleierartig
eingearbeitet.
53
NETZWERK
Flora Miranda bemalt
Netze mit Silikonfarbe.
„Diese Technik
habe ich selbst entwickelt“,
sagt sie.
Fashion
P
Prolog
Flora Miranda macht einen Schritt zurück. Noch einen.
Sie braucht Distanz, um sich näherzukommen. Sie betrachtet
das feinmaschige Netz, das in ihrem Atelier
hängt. Zweieinhalb Meter ist es hoch, eineinhalb breit.
Jetzt neigt sie den Kopf leicht nach links, tritt wieder
näher. Mit einer Spachtel streicht sie über die Fläche,
trägt mit Farbe vermischtes Silikon auf. „Diese Technik
habe ich selbst entwickelt“, sagt Flora.
Flora Miranda ist Modedesignerin von Beruf, aber
eigentlich ist sie Visionärin, zu Hause an der Schnittstelle
von Mode und Kunst. Sie ist 1990 in Salzburg in
eine Künstlerfamilie geboren worden, lebt aber jetzt im
belgischen Antwerpen. 2016 wurde sie bei den Austrian
Fashion Awards von einer internationalen Jury mit
dem „Outstandig Artist Award“ ausgezeichnet: „Sie
erschafft“, befand die Jury, „eine gänzlich neue, vom
Experiment mit Materialien, Produktionstechniken
und Verfahren inspirierte Mode-Utopie.“
Ihr Zugang sei eine Art interdisziplinäre künstlerische
Grundlagenforschung für die Zukunft der Mode:
„So bringt sie eine gänzlich neue Ästhetik mit überraschender
visueller Wirkung hervor, die in der vom
Zitat dominierten Modewelt eine originäre, eigenständige
Position einnimmt.“
Das Silikon tropft für einige Stunden. Alles fließt.
Sackt ein paar Zentimeter nach unten, findet seinen
Weg auf dem Netz, „ziemlich unkontrolliert“, sagt die
Künstlerin. Jetzt spachtelt sie ihr Gesicht, ein Selbst
porträt. Sie sieht ernst aus. Noch aber ist sie nicht fertig.
„Den Mund musste ich dreimal malen. Weil alles fließt,
war er anfangs zehn Zentimeter unterhalb der Stelle, an
der er eigentlich sein sollte.“
Die Arbeit an dem Bild streamt Flora über Instagram.
„Es ist ein Ausdruck dieser Zeit, in der man mit sich
selbst konfrontiert ist wie niemals zuvor. Man sieht nur
sich selbst, gleichzeitig ist es eine Erinnerung an die
Außenwelt.“
Wochen später postet Flora ein Bild aus der arabischen
Ausgabe der Modezeitschrift „Harper’s Bazaar“.
Ihr Selbstporträt ist dort Teil einer sonnenuntergangsorangen
Fashion-Inszenierung, und Flora sieht darauf
aus wie eine selbstbewusste Fee aus einem futuristischen
Märchen.
Außerdem vereint das Bild alles, was der 31-jährigen
Designerin für ihre Arbeit wichtig ist: Mode und Kunst,
Vergangenheit und Zukunft, Kontinuität und Veränderung
– vor allem Veränderung oder präziser: Transformation,
Verwandlung. Wobei jeder dieser Begriffe die
anderen braucht, weil sie alle Floras Welt ausmachen.
Oder wie sie selbst sagt: „Meine Kleider sind die Sammlung
meiner Gedanken.“
Hier erzählt sie selbst ihre Geschichte; erklärt, warum
sie sich intensiv mit Programmieren beschäftigt,
und teilt eine Mode-Vision, die dermaßen Science
Fiction zu sein scheint, dass man sie erst mit einem
ungläubigen Lächeln vernimmt, bevor man sich fasziniert
in Floras Fantasien wiederfindet.
Kapitel 1: Jeder ist ein Alien
„Ich habe schon mit vier Jahren bei Ausstellungen geholfen,
Keilrahmen für Bilder zusammenzuhämmern.
Später bin ich mit meinem Vater zu Künstlerresidenzen
(Plätze für kreatives Arbeiten; Anm.) gereist. Wir haben
dort gemeinsam viel Zeit verbracht. Aufgewachsen bin
ich in Salzburg – in einer Familie, in der Kunst ganz
wichtig ist. Ich bin sehr froh über diesen Reichtum,
den ich da mitbekommen habe.
Mein Vater (Wolfgang Seierl; Anm.) hat Gitarre und
Malerei studiert und organisiert seit Jahren das KomponistInnenforum
Mittersill – ein Festival, das dem
Komponisten Anton Webern gewidmet ist. Als Kind
habe ich dort Kabel getragen, als Jugendliche das Essen
„Meine Kleider sind die
Sammlung meiner Gedanken.“
THE RED BULLETIN 55
Fashion
„Ich stecke mein gesamtes Geld
in meine Mode-Kreationen.“
PRESS RESET
So heißt die Debüt-Kollektion
von Flora Miranda aus dem
Jahr 2016 – hier der Hosenanzug
„Delete Yourself“
und das Kleid „Spectral“,
beides aus Silikon.
serviert. Erst später bin ich draufgekommen, welch
wichtige Künstler da oft anwesend waren. Wahrscheinlich
fällt es mir deshalb noch heute leicht, mit Menschen
„aus der Kunst“ zu arbeiten. Zu der Zeit bin ich schon
ins Musische Gymnasium gegangen. Da gab es Zwölfjährige,
die am Mozarteum studiert haben. Ich habe gemalt,
ich war begabt, und ich wurde gefördert. Jeder
von uns Schülerinnen und Schülern war ein Charakter.
Die Kreativität hat uns einander aber nicht nähergebracht.
Man fühlt sich trotzdem wie ein Alien, wenn
man nicht die Dinge tut, die Zwölfjährige normalerweise
machen.
Ich bin immer noch sehr kontrolliert, aber ich versuche,
das aufzubrechen. Man wird in diesem künstlerischen
Bereich zum Individualisten geformt. Das ist
etwas, wo ich gemerkt habe, dass es nicht in jeder Situation
guttut. Um gemein sam mit anderen Leuten zu arbeiten,
ist es notwendig, sich einzugliedern. Beides ist
wichtig für mich. Aber es ist eine Herausforderung,
zu erkennen, dass man nicht immer der sein muss,
der speziell ist.
Heute besteht mein Alltag nur daraus, mit Menschen
zu arbeiten, deswegen ist diese Fähigkeit für mich ganz
entscheidend. Der Individualismus ist wichtig, um ein
stilistisches Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln und
sich so von anderen Designern weltweit abzuheben.
Es ist andererseits aber schon auch wichtig, dass
man das weiß, dass am Ende das Zusammensein am
schönsten ist. Ich mag in meiner Art eigen sein. Aber ich
bin sehr gerne mit Menschen zusammen.“
Flora Miranda geht zum Studium nach Antwerpen,
Belgien. Die Königliche Akademie der schönen Künste
gilt als Avantgarde-Hochburg. Deren bekannteste Absolventen
sind die „Antwerp Six“, allesamt weltberühmte
Modedesigner: Dries van Noten, Ann Demeulemeester,
Walter van Beirendonck, Dirk Bikkembergs, Marina Yee
und Dirk van Saene. Aber auch Martin Margiela, Haider
Ackermann und Kris Van Assche haben hier studiert.
Nach ihrem Abschluss arbeitet Flora für die niederländische
Designerin Iris van Herpen, später gründet
sie ihr eigenes Label.
56 THE RED BULLETIN
KREATIVER
KOPF
Flora Miranda mit
Selbstporträt
„Memories“:
daheim zwischen
Mode und Kunst
„Ich bin immer noch sehr kontrolliert,
aber ich versuche, das aufzubrechen.“
„Kunst regt dich an, dein
Leben zu hinterfragen.“
HEISSER STOFF
Flora experimentiert gern
mit Materialien (hier: ein
Silikonkleid), was ihren
Entwürfen anziehende
Sinnlichkeit verleiht.
Kapitel 2: Ins Extrem gehen
„Für mich hat die Kunst eine wichtige Rolle in der Gesellschaft.
Ihre Aufgabe ist es, Freiräume zu schaffen,
wo unsere Realität reflektiert wird. Wo man Zeit hat,
zu schauen, zu denken und seine eigenen Ansichten zu
entwickeln. Dafür darf der Künstler ins Extrem gehen,
das Gewohnte reizen, damit er mir die Gelegenheit gibt,
mein Leben zu hinterfragen.
Ich möchte solch einen Raum in der Mode schaffen.
Natürlich nicht immer. Mode kann auch sehr angewandt
sein, also einfach nur die Haut schützen. Es kommt
immer darauf an, wofür sie gedacht ist. Ich verfolge
verschiedene Richtungen. Einerseits will ich eben Freiräume
schaffen, und da denke ich schon, dass meine
Kreationen der Kunst nahe sind.
Andererseits habe ich auch Stücke, die einfach tragbar
sind. Für spezielle Gelegenheiten schlüpfe ich auch
in Couture-Stücke, nur meine skulpturalen Stücke trage
ich eher nicht, ich bin ja keine Performance-Künstlerin.
Ich trage übrigens sehr viel Kleidung, die mir gegeben
wurde. Wenn anderen Leuten ihre Kleidung nicht mehr
passt, finde ich es gut, sie zu tragen. Mein Fokus liegt
woanders. Ich stecke mein gesamtes Geld in meine Kreationen.
Mein Label habe ich gegründet, weil ich erkannt
habe, dass kaum jemand für die Avantgarde der Mode
steht. Deshalb habe ich auch in Antwerpen studiert,
weil ich mit meinem künstlerischen Hintergrund die
Kreativität in der Mode hochhalten wollte.
Ich arbeite sehr eklektisch, ich habe nicht diese eine
Arbeitsweise. Ausgangspunkt ist bei meinen Kreationen
immer ein Thema, ein Konzept. Das hat immer mit dem
digitalen Dasein des Menschen zu tun, gepaart mit
Materialstudien. Ich habe ständig Ideen, um die herum
sich Menschen, Bücher, Musik, visuelle Formen akkumulieren,
bis sie so etwas wie eine Traube bilden – und
auf einmal ist ein Thema bereit, umgesetzt zu werden.“
Das Ergebnis sind Kleider, die oft wie Skulpturen wirken.
Kreationen, die aus langwieriger Denkarbeit entstehen,
aus der Beschäftigung mit Mathematik und ihrer Übersetzung
in Computer-Codes. Sie sind aber keineswegs
ein ausschließlich intellektuelles Vergnügen, im Gegenteil:
Viele ihrer Arbeiten bergen eine anziehende Sinnlichkeit.
Flora Miranda zeigt sie seit 2018 bei den Haute-
Couture-Schauen in Paris, manche haben den Weg
in Museen gefunden, internationale Künstler-Stylisten
(etwa von Lady Gaga, Miley Cyrus, Sita Abellan, M.I.A.)
lieben ihre aufregenden Looks.
Kapitel 3: Wer programmieren kann,
gewinnt Freiheit
„Ich bin insgesamt eher chaotisch, deshalb versuche ich,
strukturiert zu arbeiten. Ich fange jeden Tag spätestens
um neun Uhr an. Ich arbeite den Großteil meines Lebens.
Erst während des Lockdowns habe ich herausgefunden,
dass ich auch etwas anderes kann als arbeiten. Vorher
gab es in meinem Hirn nicht die Möglichkeit, etwas
anderes zu tun.
Schon seit vielen Jahren frage ich mich, wo sich
unsere Gesellschaft hinbewegt mit all dem Produzieren,
Analysieren und dem Nutzen von Daten. Und ich finde,
um kreativ damit umzugehen, muss man die Sprache,
mit der diese Daten gemanagt werden, beherrschen.
Ich fühle mich machtlos, wenn ich nicht programmieren
kann. Indem man programmiert, gewinnt man
58 THE RED BULLETIN
Fashion
MUSEUMSREIF
Flora im Modemuseum Hasselt,
Belgien. Sie trägt ihre Kreation
„Memory“ und hält das Kleid
„Radiation“ im Arm. Im Hintergrund:
Museumsstücke
anderer Designer
„Mich fasziniert der Gedanke, dass etwas fluide ist,
dass ich ein Kleidungsstück morphen kann.“
MAKE-UP: LAURA NOBEN
Freiheit. Ich bin deshalb auch an Datenvisualisierung
interessiert, weil ich mir gerne vorstelle, dass der Körper
aus Daten besteht. Es erweitert die Fantasie, das Immaterielle
ist etwas, was den Menschen auf viele Arten
fasziniert. Wir sehnen uns danach, die Last des Körpers
hinter uns zu lassen.
Der Gedanke ist nichts Neues, das hat nichts mit Spiritualität
zu tun, sondern mit Wissenschaft. Mich interessiert,
was man mit den Daten anfangen kann.
Meine ‚IT Pieces‘ sind ein erster großer Schritt. Das
hat nichts mit It-Girls zu tun, sondern steht für Information
Technology. Es sind veränderbare Kleidungs stücke,
die auf persönliche Daten reagieren.
Konkretes Beispiel: Ich könnte beispielsweise diesen
Text analysieren und aus den Gefühlen, die darin vorkommen,
aus Tausenden von Liedern eine Songzeile für
ein T-Shirt destillieren.
Meine Kreation ‚Avatar‘, die es als Pullover, als Kleid
und als Abendkleid gibt, ist von den Avataren in ‚Second
Life‘ (einer virtuellen Welt, in der echte Menschen als
künstliche Figuren auftreten; Anm.) inspiriert. In meinem
Online-Shop lässt sich das Design, eine Gitterstruktur,
verändern. Diese veränderte Gitterstruktur wiederum
lässt den Körper anders aussehen – üppiger oder weniger
kurvig, ganz nach Belieben.
Ich habe eine ganz bestimmte Idee von der Zukunft
der Mode. Meine Vision ist, dass sich datengetriebene
Kleidungsstücke abhängig von Trägerin und Träger
ändern und dass es auch am Betrachter liegt, was er zu
sehen bekommt. Mich fasziniert, wenn etwas fluide ist
– dass ich ein Kleidungsstück morphen, es also fließend
verändern kann. Ich glaube, dass die digitale Welt uns
diesen Wunsch erfüllen kann.“
Epilog
Frage: Wirst du das noch erleben?
„Das kommt darauf an, wie hart ich arbeite.“
Mehr Flora Miranda in allen Lagen auf Instagram: @floramirandaofficial
oder auf ihrer Webseite: floramiranda.com
THE RED BULLETIN 59
Rallye Dakar
„Der Beifahrer hat
immer das Sagen“
Der Deutsche Co-Pilot DENNIS ZENZ, 31, will die Rallye Dakar
mit Seth Quintero, 19, gewinnen – dem jüngsten Fahrer im Feld.
Ein Gespräch über die Psychologie im Auto, gemeinsames
Weinen und Teamwork bei 180 km/h. Text WERNER JESSNER
ARIEL WOJCIECHOWSKI/RED BULL CONTENT POOL
ARBEITSPLATZ WÜSTE
Der Side-by-Side-Buggy von
Seth Quintero und Co-Pilot
Dennis Zenz in Marokko
61
Rallye Dakar
November 2021, eine Lagerhalle in Dubai.
Dieser Tage wird hier allerdings nicht gelagert,
sondern geschraubt. Die Crew des
Red Bull Offroad Junior Teams bereitet
Side-by-Side-Rennwagen (eine Art Dünen-
Buggy; Anm.) für die Piloten Cristina
Gutiérrez und Seth Quintero vor, Letzterer
ist der jüngste Etappensieger in der
Geschichte der Rallye Dakar. 2002 in
Kalifornien geboren, verbrachte der US-
Boy nahezu sein ganzes Leben auf vier
Rädern in der Wüste. Im Alter von zehn
Jahren fuhr er sein erstes Rennen, mit elf
war er Junioren-Weltmeister. Mit sechzehn
hatte er so gut wie alles gewonnen,
was es im amerikanischen Offroad-Sport
zu gewinnen gibt. Ab diesem Moment
gab es nur noch eine Steigerung: die
Dakar, die härteste Rallye der Welt, ausgetragen
in Saudi-Arabien. Gleich bei
seinem ersten Start im Januar 2021 gewann
der Teenager zwei Etappen und verpasste
den Gesamtsieg nur wegen eines
Getriebeschadens.
An der Seite von Seth sitzt einer, der
dafür zuständig ist, den Jungstar behutsam
zu lenken, einzubremsen oder anzutreiben:
der Deutsche Dennis Zenz. Er
hat 16 Jahre Erfahrung als Beifahrer. Die
Stimmung während unseres Interviews
ist blendend – was auch daran liegt, dass
Wirbelwind Seth durch die Halle tobt
und im Hintergrund allerhand Schabernack
treibt. „So ist er“, sagt Dennis grinsend,
bevor wir das Gespräch beginnen.
THE RED BULLETIN: Die meisten Motorsportler
wollen hinters Lenkrad. Warum
bist du Beifahrer geworden?
dennis zenz: Ich habe mit acht Jahren
begonnen, Kartrennen zu fahren. Ich
komme aus keinem reichen Elternhaus.
Meine Eltern haben getan, was ihnen
möglich war, aber für eine Profi-Karriere
hätte es nie gereicht. Ein Freund betrieb
neben einem Formel- auch ein Rallye-
Team. Er hat mich mit dreizehn auf den
Beifahrersitz gesetzt, damit ich lernen
konnte – um mit achtzehn dann nicht
von null starten zu müssen, falls ich es
selbst als Fahrer probieren wollte. Mit
fünfzehn darf man in Deutschland ganz
offiziell Rallye-Beifahrer sein. Das habe
ich gemacht, und weil es von Anfang an
gut geklappt hat, bin ich dabei geblieben.
Ab wann konntest du vom Beifahrer-
Sein leben?
Ende 2015 habe ich mich selbständig gemacht.
Zuvor habe ich meine Ausbildung
als Kfz-Mechatroniker abgeschlossen,
um Kompetenz ins Auto mitzubringen.
Meine Lehrer haben mich damals angefleht,
doch das Abi zu machen, aber
ich wollte die Technik der Rennautos verstehen.
Heute würde ich Abi und Studium
durchziehen, aber ich war damals so
beseelt vom Sport, dass nur die Lehre in
Frage kam. Ich hatte immer einen Plan,
von dem ich mich nie abbringen ließ.
Sieht man deine Karriere-Statistik an,
fällt auf, dass du selten mit Crash-
Piloten unterwegs warst, eventuell mit
Ausnahme der Saison 2017 in der deutschen
Rallye-Meisterschaft. Zufall?
In der Tat sehe ich den Job des Beifahrers
auch als den eines Psychologen. Ich kann
einem Fahrer aggressiv vorlesen und
ihn anstacheln oder aber ihn beruhigen.
Die Zwischentöne zu erspüren, das ist
Erfahrungssache; und etwas, was gutes
Teamwork ausmacht. Vermutlich ist es
auch das, was mich die letzten fünfzehn,
sechzehn Jahre hat weitestgehend unfallfrei
überstehen lassen.
Suchst du dir deine Fahrer danach aus,
wie gut sie sich lenken lassen?
Nein, in der Regel wird man zusammengesetzt
und baut danach eine Beziehung
zueinander auf. So war es auch mit Seth.
Man verbringt viel Zeit gemeinsam und
lernt einander kennen. So lernt man
Stärken wie Schwächen kennen und
weiß, wie man miteinander umgeht und
wo man den Partner piksen muss.
„Unsere Rollen
im Auto: Links lenkt,
rechts denkt.“
Vorbereitung auf die Rallye Marokko: Pilot Seth Quintero (im Auto) und Co-Pilot Dennis Zenz
62 THE RED BULLETIN
„Ein Beifahrer ist
immer auch Psychologe,
der seinen
Fahrer anstachelt
oder bremst.“
Im Rallye-Auto hast du sogenannte
Pace-Notes, in denen jede Kurve auf
der Strecke präzise vermerkt ist. Diese
Pace-Notes erstellst du selbst, indem du
die Strecke mit deinem Fahrer vorher
abfährst. Auf der Dakar bekommt du
15 Minuten vor dem Start eine grobe
Orientierung. Da kann durchaus auch
mal drinstehen: „20 Kilometer geradeaus“.
Wie geradeaus „geradeaus“ dann
wirklich ist, kannst du dir vor Ort mit
dem Kompass überlegen. Hier hat mir
Dirk Tricks und Kniffe beigebracht,
wie man das in der Praxis umsetzt.
ARIEL WOJCIECHOWSKI/RED BULL CONTENT POOL, MARCIN KIN/RED BULLL CONTENT POOL
Das heißt, du bist derjenige mit der
Kontrolle im Auto?
Der Beifahrer hat immer das Sagen.
Idealerweise konzentriert sich der Fahrer
nur aufs Fahren, um alles andere kümmere
ich mich. Links lenkt, rechts denkt.
Gilt das in jedem Fall? Du bist ja zum
Beispiel auch mit der deutschen Rallye-
Legende Armin Schwarz gefahren,
und dem muss man in diesem Sport
ja wirklich nichts mehr erklären.
Stimmt genau! Mit Armin habe ich seit
2016 zusammengearbeitet, da durfte ich
viel lernen. In Stress-Situationen denke
ich noch heute an ihn: wie er cool und auf
das Wesentliche fokussiert bleibt. Aber
auch er hat seine heißblütigen Momente.
Sobald er den Helm aufhat, wird er zum
Rennfahrer, für den es nur Vollgas gibt.
GUTER GUIDE
Dennis Zenz, Jahr gang 1990,
steht 2022 am Start seiner erst
zweiten Rallye Dakar – und ge hört
doch schon zu den Favoriten.
Gerade auf der Rallye Dakar hat
Deutschland eine schöne Tradition
erfolgreicher Beifahrer von Siegern,
von Dirk von Zitzewitz über Timo
Gottschalk bis zu dir. Gibt es da ein
geheimes Netzwerk?
Mein erster Kontakt war tatsächlich Dirk.
Bis voriges Jahr hatte ich keine Berührungspunkte
mit der Dakar oder dem
Rallye-Raid-Sport (Offroad-Langstreckenrennen;
Anm.) generell. Er hat mich als
Mentor an der Hand genommen und mir
erklärt, worauf es ankommt. Er wohnt
hinter Hamburg, da haben wir ein Sideby-Side-Buggy
geschnappt, und ich habe
von ihm in der Praxis gelernt.
Kannst du erklären, wie sich die Arbeit
eines Beifahrers auf der Dakar von
jener im Rallye-Auto unterscheidet?
Wie schaltet man um zwischen
180 km/h im Wald auf präzise Orientierung
zwischen Geröllbrocken und
in Dünenfeldern?
Der Umstieg vom Rallye- ins Dakar-Auto
ist leichter, weil die Geschwindigkeit
geringer ist. In der anderen Richtung
braucht es ein paar Kilometer, um sich
an den Speed zu gewöhnen.
Du bist 2021 deine erste Dakar gefahren.
Wie viel Erfahrung mit Navigation
im offenen Gelände hattest du?
Null.
Wie „null“?
Die Rallye Dakar 2021 war mein zweiter
Rallye Raid überhaupt. Und da wir in der
Vorbereitung technische Probleme hatten,
war mein tatsächlicher Erfahrungsschatz
minimal. Ende September kam der Anruf
mit der Anfrage, eine Woche später saß
ich mit Seth im Auto und fuhr meinen
ersten Rallye Raid in Andalusien. Danach
kam schon die Dakar. Ich wusste
nicht, wie Dünen aussehen, ich kannte
die Organisation nicht, und ich musste
erst lernen, wie die ganzen Instrumente
funktionieren.
Und trotzdem habt ihr dann
zwei Etappen gewonnen.
THE RED BULLETIN 63
Rallye Dakar
Ich erinnere mich an den ersten Tag. Ich
war so überfordert, dass ich Seth einfach
gesagt habe, er soll den Spuren der vor
uns Gestarteten folgen. Aber am Ende
haben wir das gut gemeistert.
Moment mal: Gerade hast du gesagt,
der Beifahrer ist der Chef im Auto.
Und wenn der Chef keine Ahnung hat?
Seth hatte ja auch keine Ahnung, darum
ist das nicht aufgefallen (grinst). Wir sind
gemeinsam gewachsen und haben uns gut
reingearbeitet. Bis zu unserem Getriebeschaden
lagen wir solide in den Top drei
– der gerade erst 18 Jahre alt gewordene
US-Boy und das Beifahrer-Greenhorn.
Musstest du eigentlich schlucken,
als sich herausgestellt hat, dass Seth
Quintero dein Fahrer ist? Ein offensichtlich
völlig durchgeknallter Teenager,
und du neben ihm?
Ich bin schon neben dem 13 Jahre alten
Fabio Schwarz im R5-Rallye-Auto gefahren.
Ich habe immer viel mit Jungen
gearbeitet. Ich bin zwar mittlerweile
31 Jahre alt, fühle mich aber wie Anfang
20. Ich sehe den Altersunterschied nicht
so dramatisch. Junge Leute lernen rasch
und setzen es direkt um. Insofern musste
ich nicht lang überlegen, als das Angebot
mit Seth kam. Er ist schnell, wahnsinnig
talentiert und die große Hoffnung in den
Staaten. Insofern ist es eine Ehre, mit
ihm arbeiten zu dürfen.
Wie ist er außerhalb des Autos?
Er albert ständig rum und kann keine
Sekunde stillsitzen.
Wie zur Bestätigung Jubel im Hintergrund:
Seth hat es geschafft, eine volle
Wasserflasche so auf einen Balken in der
Halle zu werfen, dass sie oben stehen
bleibt. Im Stil eines Football-Spielers,
der einen Touchdown geschafft hat, lässt
er sich von imaginären Massen feiern.
Genau so ist er. Genau so. Ein verrückter
Hund. Lässt sich nicht verbiegen. Ein
super Typ durch und durch.
Hast du keine Angst am Beifahrersitz?
Nein, gar nicht. Bei Rallye Raids in
der Wüste fühle ich mich sehr sicher.
Bei normalen Rallyes fahren wir mit
180 km/h auf Asphalt oder Schotter
zwischen Bäumen. Das halte ich für
deutlich gefährlicher.
„In der Wüste fühle
ich mich sicher.
180 km/h zwischen
Bäumen sind deutlich
gefährlicher.“
Der Mann mit dem Plan: Dennis ist
schon sein halbes Leben lang Beifahrer.
Gerade bei der Dakar sind es aber
doch oft Beifahrer, die sich verletzen
– wie zum Beispiel Daniel Elena
am heißen Sitz der Rallye-Legende
Sébastien Loeb.
Wir Beifahrer sind in der Wüste so mit
unseren Instrumenten beschäftigt, dass
wir viele Gefahrenmomente gar nicht
erkennen und den Körper im Ernstfall
nicht auf den Einschlag vorbereiten können.
Das ist in der Tat ein Problem. Wir
Beifahrer sind die potenziellen Schwachstellen.
Aber jeder, der ins Auto steigt,
weiß und akzeptiert das.
Warum machst du das?
Jeden Tag sterben mehr Menschen im
Bett als im Auto. Und trotzdem legen wir
uns jeden Tag wieder in die Kiste.
Neben der reinen Navigation sollst du
also auch noch Psychologe sein und
den Fahrer kontrollieren. Das stelle
ich mir anstrengend vor.
Tatsächlich kontrollieren muss ich Seth
selten. In der Praxis ist es eher so, dass
ich nach vier, fünf Stunden im Auto bemerke,
dass sich Routine einschleicht,
MARCIN KIN/RED BULLL CONTENT POOL
64 THE RED BULLETIN
SHAKEDOWN
In der Wüste Marokkos fahren
Seth und Dennis die entscheiden
den Material-Tests für die
Rallye Dakar im Januar 2022.
THE RED BULLETIN 65
Rallye Dakar
und ich ihn auffordere, für die letzten
70, 80 Kilometer besonders achtzugeben.
Konzentriert zu fahren, keinen
Reifenschaden zu riskieren. Ich drücke
quasi auf den Reset-Knopf und signalisiere
ihm, dass der Tag gerade neu
begonnen hat. Dakar ist kein Rennen, es
ist ein Abenteuer. Zuallererst geht es ums
Durchkommen. Je weniger Probleme du
unterwegs hast, desto weiter vorne wirst
du sein.
Bei Problemen: Wer wirft zuerst die
Nerven weg?
Wir hatten bei der letzten Dakar leider
viele technische Probleme, die in diesem
Jahr hoffentlich aussortiert sein sollten.
Nach jeder schlechten Zeit kommt eine
gute. Wir verlieren als Team, und wir gewinnen
als Team. Nerven wegschmeißen
bringt nix.
Als voriges Jahr, in Führung liegend,
bei euch das Getriebe eingegangen ist:
Was habt ihr gemacht?
Geweint (lacht). Wir hatten gerade
unseren härtesten Gegner überholt, der
mit einem Reifenschaden in der Wüste
stand. Zehn Kilometer später gab es
einen riesigen Knall im Fahrzeug, und
wir standen. Der Traum war geplatzt.
Nach der ersten Frustration haben wir
uns daran gemacht, alles vorzubereiten,
bis der Lkw kam, der uns abschleppte.
Wie waren 14 Stunden hinterm Lkw?
Schweigsam. Trotzdem haben wir uns
auf den nächsten Tag vorbereitet und
unsere Ziele neu definiert. Der Druck
des Gesamtsieges war weg. In dieser
Nacht hatten wir zwei Stunden Schlaf.
Wir starteten dann ganz hinten, mitten
in den Staubfahnen der anderen. Es war
eine wunderschöne Etappe mit Steinformationen
wie Pilzen. Wir konnten das
wirklich genießen. Am Tag darauf haben
wir beschlossen, volle Attacke zu gehen.
Es war die härteste Etappe der Rallye,
und wir haben sie überlegen gewonnen.
„Wir haben die
härteste Etappe
überlegen gewon nen.
Das war psychologisch
wichtig.“
Das war psychologisch wichtig: Wir
können es, wir sind die Schnellsten,
auch wenn wir in der Gesamtwertung
nirgendwo liegen.
Spürt man als Beifahrer, wenn der
Fahrer im Flow ist?
Du bist gemeinsam im Flow, als Team.
Ja, das spürst du. Im Auto herrscht eine
innere Ruhe. Jede Ansage von mir, jede
Bewegung von Seth sitzt. Härter ist es,
wenn du spürst, dass wenig zusammenpasst.
An diesen Tagen wenig Fehler
zu machen ist oft entscheidender, als es
an den guten Tagen fliegen zu lassen.
Welche Sorte von Tag es wird, spüre ich
schon auf den ersten Metern.
Sagen wir, dir unterläuft ein Fehler,
und ihr habt euch um fünf Kilometer
verirrt …
Dann musst du ruhig bleiben. Schauen,
wo der Fehler passiert ist und wie wir
wieder auf die richtige Route zurückkommen,
ohne zu viel Zeit liegen zu
lassen. Panik bringt da gar nix. Positiv
bleiben, weitermachen.
Wie reagiert Seth da?
Der bleibt ganz cool. Rallye Raid ist
ein klassischer Teamsport. Mal macht
der eine einen Fehler, mal der andere.
Wir gewinnen und verlieren als Team.
Vorwürfe wären kontraproduktiv. In der
Rallye heißt es: Der Fahrer gewinnt, der
Beifahrer verliert. Im Rallye Raid ist klar,
dass vier Augen mehr sehen als zwei.
Im Unterschied zu den Motorradfahrern,
die bei der Dakar als Erste
starten und sich in der unverspurten
Wüste zurechtfinden müssen, ist euer
Problem wohl eher die Vielzahl an
Fährten. Wie unterscheidet man die
guten von den weniger guten?
Zu 80 Prozent stimmen die Spuren.
Zu 20 Prozent musst du hart an der
Navi gation bleiben und dich auf das
verlassen, was im Aufschrieb steht. Gerade
wenn wir hinter den Lkw starten,
wird es schwierig, weil die über alles
drüber fahren und der Sand völlig zerwühlt
ist. Die Navigation ist eher dort
ein Thema, wo es weniger Reifenspuren
gibt, zum Beispiel im Geröll.
ARIEL WOJCIECHOWSKI/RED BULL CONTENT POOL
66 THE RED BULLETIN
Seth Quintero steht mittlerweile hinter
Dennis und schneidet Grimassen. Das
bleibt dem nicht verborgen: „Wie soll man
sich neben so einem konzentrieren?“,
fragt er rhetorisch und schneidet eine
Grimasse zurück. Die beiden verstehen
einander offenbar blendend.
Wie entsteht der Plan für den
jeweiligen Tag?
Der kommt in der Regel von mir, weil
ich weiß, welches Gelände uns erwartet.
Seth hat einen Mega-Speed in den
Dünen, auf Sand ist er extraklasse. Das
ver suchen wir natürlich auszunutzen.
Ich sage dann zum Beispiel: Lass uns bei
Kilometer 80 etwas langsamer machen,
denn da ist die Navigation besonders
schwierig. Wenn es die Möglichkeit
gibt, zu pushen, dann macht er das
ganz von selbst. Mein Job ist eher, ihn
taktisch zu zügeln, wenn ich meinen
Pace-Notes entnehme, dass eine potenzielle
Gefahr droht.
Wie leitet er dich?
Gar nicht. Er fährt einfach.
„An schlechten
Tagen wenig Fehler
zu machen ist
oft entscheidender,
als an guten
zu brillieren.“
GASFUSS
Dennis (li.) und Seth
entspannt vor dem
Start zur Rallye
Marokko in Zaghura
Kannst du die Emotionen nach eurem
ersten Etappensieg beschreiben?
Seth Quintero war immerhin jüngster
Sieger der Dakar-Geschichte …
Kann ich in der Tat. Wir sind auf Khalifa
al-Attiyah aufgelaufen, den Bruder des
Dakar-Siegers Nasser. Der ist immer flott,
darum wussten wir, dass unsere Pace
gut war. Beim Tankstopp bemerkten wir,
dass wir einen schleichenden Plattfuß
hatten. So haben wir die gewonnene
Zeit wieder verloren. Dann haben wir
das Loch abermals zugefahren und ihn
ein zweites Mal überholt. Schließlich
haben wir mit 23 Sekunden Vorsprung
gewonnen. Da war schon auch ein bisschen
Wut im Bauch dabei. Seth wollte
auf seiner ersten Dakar unbedingt einen
Etappensieg, und das war dann entfesselte
Freude.
War es der Höhepunkt eurer gemeinsamen
Karriere?
Nein, unseren zweiten Etappensieg
am Tag elf schätze ich noch höher ein,
weil er so dominant ausfiel.
Wie populär ist Seth in Amerika?
Ich war noch nicht mit ihm in den USA,
aber was man so mitkriegt und liest, ist
er schon ein kleiner Star. Er hat in seinen
Kategorien sämtliche Titel gewonnen,
die er gewinnen konnte. Was ich am Beifahrersitz
sehe: dass er ein unglaubliches
Talent ist, mit einem Mega-Grundspeed.
So chaotisch er außerhalb des Cockpits
ist, so fokussiert ist er drinnen.
Mittlerweile albert Seth offensiv rund
um Dennis rum, was der mit der Drohung
quittiert, ihm das Handy wegzunehmen.
Später an diesem Tag beginnt der abschließende
Test mit dem neuen, sequenziellen
Getriebe, das deutlich haltbarer
sein sollte als das bisher verwendete. Seth
Quintero kann es offensichtlich kaum
erwarten, hinter das Lenkrad zu dürfen,
und lässt seine Umwelt das spüren.
Das heißt, das Ziel für die Saison 2022
ist eindeutig.
Gewinnen, ja.
Der nächste Schritt liegt ja ebenfalls
auf der Hand.
Klar, der Aufstieg in die T1-Klasse – zu
den richtigen Autos. Das muss das Ziel
sein. Ich staple gern tief, aber schon
im ersten Jahr so knapp am Sieg dran
ge wesen zu sein, das zeigt unser großes
Potenzial.
Manche Fahrer – auch Legenden wie
Sébastien Loeb – rennen jahrelang
vergebens gegen die Dakar an, während
es bei anderen anscheinend wie
von selbst funktioniert. Hast du eine
Erklärung dafür?
Nein, habe ich nicht. Es muss so viel
zusammenpassen, um eine Chance zu
haben. Und dann braucht es auch noch
Glück. Sébastien habe ich bei der letzten
Dakar auf der gesamten Rallye dreimal
gesehen. Dreimal sind wir an ihm
vorbeigefahren, weil er mit technischen
Problemen im Sand steckte. Die Dakar
ist ein Überlebenskampf, jeden Tag
aufs Neue.
Beschreibe bitte die Rallye Dakar
in einem Satz.
Ein Wort reicht: „alles“. Die Dakar ist
alles. Ich hätte zuvor nie gedacht, welche
Ausmaße das hat, aber es ist tatsächlich
so, dass du nach der Zieldurchfahrt
gleich an den nächsten Start denkst. Hier
einmal – oder natürlich auch mehrmals
– zu gewinnen wäre das Allergrößte für
mich. Schon die Zielankunft bei der letzten
Dakar hat sich wie ein kleiner Sieg
angefühlt. Die Dakar zu gewinnen würde
mir alles bedeuten. Wirklich alles.
Die Rallye Dakar 2022 findet von 2. bis 14. Januar
in Saudi-Arabien statt. Alle Infos: Instagram:
#redbulldesertwings oder: dakar.com
THE RED BULLETIN 67
Spitz
die Ohren
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GUIDE
Tipps für ein Leben abseits des Alltäglichen
NIMM NIMS!
Mit dem nepalesischen
Rekordbergsteiger
Nirmal „Nims“ Purja
auf den Mont Blanc
SANDRO BAEBLER
69
GUIDE
Reisen
„Ich liebe das,
was ich tue, aus
tiefstem Herzen.“
Der nepalesische Alpinist Nims Purja, 38, hat die
vierzehn Achttausender in Rekordzeit bestiegen – und
sich die Gipfel auf seinen Rücken tätowieren lassen.
Bei seiner Destination Red Bull-Reise begleitet er dich
auf den Mont Blanc.
N
etflix hat ihm eine eigene Doku
gewidmet („14 Peaks: Nothing Is
Impossible“), unter Kollegen der Extrembergsteiger-Szene
ist er aktuell der unbestritten
Größte, und sein Rekord wird
wohl noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte
halten: In unfassbaren sechs Monaten
und sechs Tagen bestieg der 1983 im
nepalesischen Flachland geborene Nirmal
„Nims“ Purja alle 14 Achttausender auf
diesem Planeten und unterbot den damals
gültigen Rekord dabei um sieben Jahre
und vier Monate. Was für andere eine
Lebensaufgabe ist, ist für Nims ein besserer
Wochenendausflug: Mount Everest
(8848 m), Lhotse (8516 m) und Makalu
(8463 m) bezwang der mittlerweile von
der Queen zum Ritter geschlagene ehemalige
Elitesoldat der britischen Royal
Navy in 48 Stunden und 30 Minuten.
„Project Possible“ taufte er das Projekt,
das für jeden anderen wohl eine Mission
Impossible gewesen wäre.
Die Frau an Nims’ Seite
Isabelle Santoire kam vor über 20 Jahren
aus dem kanadischen Montréal in die
Schweiz. Ihr damaliger Freund, ein Eishockeyspieler,
hatte in Genf einen Vertrag
bekommen, und sie folgte ihm. Selbst als
er weiterzog, blieb sie da. Sie hatte sich
erneut verliebt, und zwar in die Schweizer
Berge. „Ich beendete mein Studium und
ließ mich zur Bergführerin ausbilden.
Heute bin ich eine von nur 16 Profi-
Bergführerinnen in ganz Frankreich.“
Rekord-Bergsteiger Purja, hier bei einem Besuch am Großglockner, bereist mit dir die Alpen.
Nims Purja beim Aufstieg
auf den Großglocker:
Der Nepalese
ist ein wahres Wunder
in Sachen Ausdauer und
gibt seine Tipps gern
an seine Gäste weiter.
70 THE RED BULLETIN
Anreise
Chamonix, korrekt:
Chamonix-Mont-Blanc,
liegt im Dreiländereck Frankreich
– Schweiz – Italien auf
der französischen Seite.
Mit dem Flugzeug: Der
nächstgelegene Flughafen
ist Genf, danach sind es
über die A40 und N205 noch
rund 90 Minuten mit dem
Auto. Wahlweise gibt es auch
einen direkten Bus ab dem
Flug hafen Genf.
Mit dem Auto: Aus Österreich
oder Deutschland kommend
über die Schweizer
Autobahnen 1 und 12 bis nach
Montreux, danach über die
Chamonix
Genf
Frankreich
A9 bis Martigny. Dann wird
es spektakulär: Der weitere
Weg führt über die Route de
la Forclaz bei Châtelard über
die französische Grenze und
weiter nach Chamonix.
destination.redbull.com
Schweiz
Mont Blanc
Italien
Zwischenziel: Refuge du Goûter, die höchstgelegene Hütte im Mont-Blanc-Massiv
STEFAN VOITL/RED BULL CONTENT POOL, SHUTTERSTOCK, ADOBE STOCK
WERNER JESSNER
Isabelle hat Expeditionen auf der ganzen
Welt geleitet und Chamonix am Fuß des
Mont Blanc zu ihrer Heimat gemacht.
Wie oft sie schon auf dem Gipfel war? Die
zweifache Mutter lacht: „Keine Ahnung.
Ich zähle da nicht mehr mit.“ Der höchste
Berg der Alpen ist ihr Hausberg: „Er mag
zwar technisch nicht sonderlich schwierig
sein, aber jedes Mal, wenn ich nach Hause
komme und ihn sehe, bin ich von seiner
Schönheit fasziniert.“
Für eine exklusive Destination Red Bull-
Reise arbeiten Nims und Isabelle erstmals
zusammen. Hier die perfekt organisierte –
ja, doch – Einheimische, da jener Mann,
der das Bergsteigen auf ein neues Level gehoben
hat. Welche Fragen hat Isabelle an
Nims Purja? „Viele! Doch am allermeisten
Beim Aufstieg wird Nims die Seilschaften
wechseln. So kommt jeder in den Genuss,
mit dieser Legende geklettert zu sein.
Gut zu wissen
Ob man den 1786 erstbestiegenen
Mont Blanc den höchsten Berg
Europas nennen kann, ist Interpretationssache
und tatsächlich
nicht ausgemacht. Zählt man nämlich
den Kaukasus noch zu Europa,
wäre der 5642 Meter hohe Elbrus
in Russland Europas höchster Berg.
Unbestritten ist der Mont Blanc
immerhin der höchste Berg Frankreichs.
Allerdings reklamieren ihn
die Italiener ebenfalls als ihren
höchsten Berg, denn sie ziehen die
Grenze genau über den Gipfel (was
die Franzosen wiederum nicht so
stehen lassen wollen). Auf gesichertem
Terrain bewegen wir uns, wenn
wir sagen: Der Mont Blanc ist der
höchste Berg der Alpen.
THE RED BULLETIN 71
TRAVEL EDITION
DANIEL
BÆKKEGÅRD
Mit Dänemarks Ironman
ins Gute-Laune-
Triathlon-Camp auf
Fuerteventura
AUSGABE 4
SAISON 2022/23
TRAILRUNNING | SURFEN | MOUNTAINBIKEN | SEGELN
FREERIDE SKIING | KAJAK | FOTOGRAFIE | FORMEL 1 | FOILING
001_TRB01-TRB- 1 18.10.2021 15:31:35
GUIDE
Reisen
Das Ziel: Der Mont Blanc liegt an der Grenze zwischen Italien und Frankreich und ist mit seinen 4810 Metern der höchste Berg der Alpen.
interessiert mich, wie er sich so schnell
regeneriert. Gerade gestern habe ich an
einem Berglauf teilgenommen, heute bin
ich völlig zerstört. Nims scheint dieses
Problem nicht zu kennen – wie sonst kann
man drei Achttausender innerhalb von
zwei Tagen schaffen?“
Das Gipfel-Rezept
Damit es bei der Destination Red Bull-
Reise auf den Mont Blanc zu keinen Anpassungsschwierigkeiten
kommt, werden
die Gäste von Isabelle und Nims Tritt für
Tritt an die Höhe herangeführt – etwa mit
einer Wanderung auf die 3540 Meter hohe
Aiguille du Tour. Am Arête des Cosmiques
üben die Gipfelstürmer in spe den Umgang
mit Pickel und Steigeisen in Fels und
Eis, außerdem frischen sie Wissen über
Berge- und Seiltechnik auf.
Eben weil der Mont Blanc keine besonderen
technischen Schwierigkeiten
aufweist, ist er auch für Sportler machbar,
die keine ausgewiesenen Alpinisten sind.
Santoire: „Fehlende Bergroutine kann
man auf diesem Berg durch exzellente
Kondition ausgleichen. Geübte, trittsichere
Bergläufer haben auf dem Mont Blanc
ebenso eine Chance auf einen Gipfelsieg
wie klassische Bergsteiger.“
„Wann hat man
schon die
Gelegenheit, mit
einer echten Berg-
Legende eine
Seilschaft zu bilden?“
Isabelle Santoire, 53,
Bergführerin in Chamonix, begleitet mit
Nims Purja die Gäste auf der Reise.
Die Tour wird den Teilnehmern unvergesslich
bleiben, ist sich Isabelle Santoire
sicher: „Wann hat man schon die Gelegenheit,
mit einer echten Berg- Legende eine
Seilschaft zu bilden?“ Nims Purja wird
während des Aufstiegs Seilschaften wechseln.
So kommt jeder der fünf Teilnehmer
in den Genuss, mit Nims persönlich aufzusteigen.
Übernachtet wird dabei auf
Hütten, etwa der höchstgelegenen bewirtschafteten
im Mont-Blanc-Massiv,
dem Refuge du Goûter auf 3835 Metern.
Was auf der für August 2022 geplanten
Tour sicher nicht passieren wird: „Selbst
wenn wir mit dem schnellsten Bergsteiger
von allen unterwegs sind, werden wir nicht
auf den Mont Blanc rennen“, sagt Santoire.
„Die Reise ist als Naturaben teuer
angelegt, nicht als Wettbewerb.“
KOMM,
FAHR MIT!
JETZT BUCHEN: Unvergessliche Abenteuer-Reisen
mit Red Bull-Athleten und Legenden
Noch mehr Reisen
abseits des Alltäg lichen
mit Red Bull-Athleten
als Begleitern gibt’s
im neuen Destination
Red Bull-Magazin. Alle
Infos zum Programm:
destination.redbull.com
GETTY IMAGES, ANGELA PERCIVAL
72 THE RED BULLETIN
Das Tirol Gefühl
www.tirol.at
GUIDE
Gaming
GAMING & STYLE
Digitaler
Runway
Fashion-Guru Jazzy Cho
erklärt die Mode-Trends
im Spielerfolg „Die Sims 4“.
Flughäfen sind nicht gerade
für ihre Modeszene bekannt.
Eine Ausnahme ist der
Incheon International Airport
in Südkorea. Der futuristische
Umschlagplatz mit Casino
und Golfplatz entspricht dem
Ruf eines Landes mit vollvernetzten
Smart Citys und
einer welt bekannten Popkultur.
Von der K-Fashion, also
der koreanischen Mode, ganz
zu schweigen. Kein Wunder
also, dass dieser Flughafen
seine eigene Modelinie hervorgebracht
hat: die „gonghang
fashion“, deutsch: Flughafen-
Mode. Entstanden ist sie aus
den Schnappschüssen der
Paparazzi, die aus Übersee
ankommende top gestylte
Prominente ablichteten.
„Die Südkoreaner sind stolz
auf ihren Incheon Airport,
weil hier die Touristen einen
ersten Eindruck vom Land
gewinnen“, erklärt Jazzy Cho,
US-Mode-Influencerin mit
koreanischen Wurzeln. Ihre
Mission: der Welt die Kultur
ihres Ursprungslands zu vermitteln.
Deshalb kuratiert Cho
das „Incheon Arrivals Kit“,
eine Zusammenstellung von
gonghang-Outfits für das
Social-Simulation-Spiel „Die
Sims 4“. Hier erklärt sie, was
es mit K-Fashion auf sich hat.
Spielfiguren aus dem Gaming-Hit „Die Sims 4“: koreanische Airport-Mode in digitaler Form
Lockere Klassik
„Die K-Fashion ist geprägt von
Stickereien, kräftigen Farben
und fließenden Stoffen, die
beim hanbok, der traditionellen
koreanischen Kleidung,
üblich sind“, sagt Cho. Heute
erlebt hanbok eine Neuinterpretation
im modernen Street-
Style. „Lockere baji-Hosen
„Die Modestile in
Korea entwickeln
sich permanent.“
US-Mode-Expertin Jazzy Cho
(traditionell für Männer; Anm.)
werden von Frauen in maßgeschneiderter
Form getragen,
und das bodenlange
chima-Hemd gibt es in einem
kürzeren, leichteren Stil, aber
immer noch mit Volumen.
Früher galt: Je mehr, desto
angesehener war man.“ Das
Incheon Arrivals Kit zelebriert
dies mit einer modernen Version
des „durumagi“, eines
Herren mantels. Die für hanbok
typische Liebe zum Detail
erstreckt sich auf alle Aspekte
des Lebens: „Es gibt Restaurants,
die bieten Schürzen für
ihre Gäste!“
Fast Fashion
Südkoreas Modewelt hält
Schritt mit dem rasenden
Fortschritt des Landes. „Die
Stile entwickeln sich permanent“,
so Cho. „Seine eigene
Farbe zu haben ist gerade
total angesagt. Es gibt Läden,
die schauen sich deinen Hautton
an und suchen dann die
passenden Farbnuancen
dazu. Diese Mode hat also
einen Wiedererkennungswert,
ist aber nie homogen.“
Mehr Romantik, bitte!
Der Airport-Style mit seiner
kosmopolitischen Sichtweise
passt perfekt zu Chos Hintergrund.
„Ich sehe mich als
Koreanerin, betrachte diese
Kultur aber durch die amerikanische
Brille. Was mir als
US-Bürgerin zum Beispiel aufgefallen
ist: Die koreanische
Kultur – vom K-Pop bis hin zur
Küche – ist äußerst romantisch.
Die Liebe und Glücksgefühle
rund um eine funktionierende
Beziehung werden
unglaublich gefeiert. Viele
Marken verkaufen Mode im
Paket für Paare, sodass sie
zusammenpasst. Wir spielen
darauf auch im Incheon
Arrivals Kit an: Einige Teile
ergänzen einander.“
Das „Incheon Arrivals Kit“ für
„Sims 4“ ist jetzt auf PlayStation,
Xbox, PC und macOS verfügbar;
ea.com. Mehr zu Jazzy Cho auf
youtube.com/jazzycho und TikTok:
@thejazzycho
ELECTRONIC ARTS ALEXANDRA ZAGALSKY
74 THE RED BULLETIN
KONSOLE
Ping-Pong
Zwei Striche als Schläger, ein hinund
hersausender Punkt als Ball:
„Pong“, Mitte der 1970er die Mutter
aller Videospiele, ist zurück: als
witzige Retro-Version für unterwegs.
Premiere feierte „Pong“ am 29. November
1972 in der Kneipe „Andy Capp’s Tavern“
im kalifornischen Sunnyvale: Ein gelber
Kasten mit der Aufschrift „Pong“ und
einem Bildschirm, aufgestellt neben dem
Flipperautomaten, erregte die Aufmerksamkeit
der mehrheitlich Bier trinkenden
und Billard spielenden Gäste.
Die schlichte Grafik und den simplen
Spielablauf – ein Punkt springt zwischen
zwei Linien hin und her und simuliert ein
Tennis- oder Tischtennismatch – hatte
Allan Alcorn von der Firma Atari entwickelt.
Das Spiel sollte ein derartiges
Suchtpotenzial entwickeln, dass in den
USA bald mehr als 35.000 Automaten
aufgestellt waren. Eine Version für daheim
– eine der ältesten Spielkonsolen überhaupt
– kam 1975 auf den Markt.
Jetzt, fast ein halbes Jahrhundert
später, lässt sich das Originalspiel wiederentdecken
– in Form der Handheld-
Konsole Atari Mini PONG Jr. Zu spielen
allein oder zu zweit, aufgepeppt mit
Retro-Sound effekten und kultiger Grafik
auf 30-Zentimeter-Flüssigkristallbildschirmen.
arcade1up.com
Genau wie der ursprüngliche
Spiel-Automat hat
der Atari Mini PONG Jr.
drehbare Steuerköpfe, um
den „Schläger“ nach links
und rechts zu steuern.
TOM GUISE
THE RED BULLETIN 75
GUIDE
Lesestoff
ACTION-THRILLER
Der unbarmherzige
Samariter
US-Thrillerautor Gregg Hurwitz hat mit Evan Smoak einen Helden erschaffen,
der es gnadenlos krachen lässt. Doch das ist gar nicht so einfach, wie es klingt.
Text JAKOB HÜBNER
An den richtig harten
Typen haben sich
schon viele Autoren
die Zähne ausgebissen.
Dabei möchte man
ja meinen, es wäre eine vergleichsweise
leichte Übung,
einen Helden für einen Actionthriller
zu erschaffen. Man
nehme einen kantigen Kerl,
tunke ihn tief in eine elitäre
militärische Vergangenheit,
füge eine großkalibrige Knarre
hinzu, einmal durchladen,
und los geht’s! Aber so funktioniert
das nicht.
Tatsächlich sind sogenannte
„One Man Army“
Thriller eine ziemlich heikle
Herausforderung, da sie sich
formal auf einem extrem
schmalen Grat bewegen.
Anders gesagt: Die Lächerlichkeit
ist dabei immer nur
einen Schritt weit entfernt.
Die Kunst besteht darin,
eine notwendigerweise überzeichnete
Figur mit genügend
Tiefgang auszustatten, um sie
in einem realistischen Setting
zu verankern. Gelingt das
nicht, wird sie zur Karikatur.
Auf der anderen Seite lauert
der heimtückische Psycho-
Treibsand. Denn kaum eine
Romanfigur ist nervtötender
als ein Actionheld, der ständig
erklärt werden muss. Das
geht gar nicht. Man nimmt so
ein Buch ja schließlich nicht
aus dem Regal, weil gerade
kein Dostojewski zur Hand ist.
Nein, ein guter Thrillerheld
ist wie ein gutes Steak, nur
umgekehrt: innen scharf angebraten
und außen blutig.
Evan Smoak ist so ein Typ.
Er war einst Teil eines streng
geheimen US-Regierungsprogramms,
in dem Waisenkinder
rekrutiert und zu hocheffizienten
Killermaschinen
ausgebildet wurden. Ausgestattet
mit wasserdichten
Identitäten und nahezu grenzenlosen
finanziellen Mitteln,
räumen die „Orphans“ dort
auf, wo dem Staat die eigenen
VINZ SCHWARZBAUER
76 THE RED BULLETIN
Erster Absatz
aus „Rache der Orphans“
Das RoamZone ans Ohr gepresst, trat Evan rasch durch
die Tür seiner Penthousewohnung im Apartmenthochhaus
Castle Heights. Das Handy mit dem Gehäuse aus gehärtetem
Gummi und dem Display aus Gorilla Glass war so widerstandsfähig
wie ein Hockeypuck und im Prinzip nicht zurückzuverfolgen.
Jeder Anruf auf 1-855-2-NOWHERE wurde digitalisiert
und über ein Labyrinth von verschlüsselten VPN-Tunneln
über das Internet verschickt. Erst nachdem er per Software
von Vermittlungsstelle zu Vermittlungsstelle einmal rund
um den Globus geleitet worden war, kam er auf dem Roam
Zone an. Evan meldete sich immer mit demselben Satz.
Brauchen Sie meine Hilfe?
BUCHTIPPS
Helden in Serie
Vier Thriller-Autoren, die keine Gefangenen
machen – außer bei den Lesern.
Gesetze im Weg stehen.
Als jedoch sein ehemaliger
Ausbildner und Mentor in Ungnade
fällt, steigt Evan aus
und verschwindet vom Radar.
Er leidet unter schlechtem Gewissen
und sehnt sich nach
Buße. Er wird zum „Nowhere
Man“, einer Art unsichtbarem
Schutzengel für Menschen,
die in Not geraten sind, sich
aber – aus welchen Gründen
auch immer – nicht an die Polizei
wenden können. Aus dem
Sünder wird ein Samariter –
allerdings einer ohne jede
Barmherzigkeit, dafür aber
mit einer spezialangefertigten
Wilson Combat im Kydex-
Hüftholster.
In der „Orphan“-Zentrale
haben sie freilich wenig Freude
mit einem freischaffenden
Profikiller aus den eigenen
Reihen und blasen zum großen
Halali – allen voran die
emotional nahe am Gefrierpunkt
angesiedelte Candy
McClure, die mit Evan noch
eine ganz persönliche Rechnung
offen hat …
Der US-Amerikaner Gregg
Hurwitz, 48, ist nicht nur als
Romanautor und Comictexter
(Marvel, DC) sehr erfolgreich,
sondern auch als Drehbuchschreiber.
Das merkt man.
Seine Evan-Smoak-Reihe –
„Orphan X“ (2016), „Projekt
Orphan“ (2017), „Die Rache
der Orphans“ (2018), „Die
Spur der Orphans“ (2019)
und „Das Vermächtnis der
Orphans“ (2021) – kommt wie
ein Hollywood Blockbuster
daher und überzeugt mit
einem wirklich guten Spannungsbogen.
Hurwitz hat ein
feines Gespür dafür, wann er
das Visier runterklappen und
Vollgas geben muss und wann
er Tempo rausnimmt, um den
Leser mit ein paar Hintergrundhappen
zu füttern.
Das ist umso bemerkenswerter,
als der Autor quer
durch alle fünf Bände mit
zwei parallel laufenden Storys
jongliert – auf der einen Seite
der jeweilige Auftrag des
„Nowhere Man“ und die
in terne Jagd gesellschaft der
„ Orphans“ auf der anderen.
Die beiden Handlungsstränge
kommen einander zwar nur
selten in die Quere, aber wenn,
dann mit mächtig Zunder.
Stilistische Brillanz darf
man sich von einer Romanserie
dieser Gattung natürlich
nicht erwarten, wohl aber eine
präzise sprachliche Fokussierung
auf das Wesentliche:
Spannung bis zum Abwinken.
GREGG HURWITZ
„Evan Smoak“-Reihe
Deutsch von Mirga Nekvedavicius
HarperCollins
LEE CHILD
Der alljährliche Feiertag
für Thriller-Fans fiel 2021
auf den 26. Juli. Da erschien
der 23. Band der unwiderstehlichen
Jack-Reacher-
Reihe des britischen
Bestseller autors Lee Child.
Diesmal nimmt der härteste
Bluthund des Genres die
Fährte seines verstorbenen
Vaters auf, die ihn direkt
ins Fadenkreuz skrupelloser
Männer führt, die nicht
nur sprichwörtlich
über Leichen gehen …
„Der Spezialist“
(Blanvalet)
CHRIS LANDOW
Die bisher dreiteilige Romanreihe
rund um den Ex-Bundespolizisten
Ralf Parceval ist
eine echte Rarität. Denn hinter
dem Pseudonym Chris
Landow versteckt sich ein
deutscher Autor, der es offensichtlich
darauf anlegt, mit
voller Härte in ein englischsprachiges
Hoheitsgebiet
der Unterhaltungsliteratur
zu grätschen: den kompromisslosen
Action-Thriller.
Band 4 ist für Februar 2022
angekündigt.
„Ralf Parceval“-Serie
(Blanvalet)
STEPHEN HUNTER
Trotz erfolgreicher Hollywood-Verfilmung
von Teil 1
der Buchserie („Shooter“ mit
Mark Wahlberg in der Hauptrolle)
fristet Bob Lee Swagger
hierzulande ein Schattendasein
unter den Helden
der Hochspannungsliteratur.
Völlig zu Unrecht. Insgesamt
brachte US-Autor und
Pulitzer-Preisträger Stephen
Hunter den ehemaligen
Scharfschützen neunmal
in Stellung – und traf dabei
stets ins Schwarze.
„Bob Lee Swagger“-Serie
(Festa)
DAVID BALDACCI
Wenn es um knallharte
Einzelkämpfer geht, darf
David Baldacci nicht fehlen.
Mit einer Gesamtauflage
von über 40 Millionen
platzierte der Vielschreiber
aus Richmond, Virginia,
gleich mehrere einschlägige
Romanfiguren in den internationalen
Bestsellercharts.
Als Einstieg bietet sich
die „Will Robie“-Reihe an,
deren erster Teil den
nahe liegenden Titel
„Der Killer“ trägt.
„Will Robie“-Serie
(Bastei Lübbe)
THE RED BULLETIN 77
BACK TO BLACK
FABER-CASTELL PITT GRAPHITE MATT
Schwarzsehen als Innovation: Anders als andere
Blei stifte, die bei genauer Betrachtung nur graue Farbe
liefern, kann dieser Stift von Faber-Castell so richtig
schwarz, so richtig matt und so richtig hart
(von HB bis 14 B). faber-castell.de
VIELSEITIG
LENOVO YOGA 9i
Dieses Notebook von Lenovo lässt sich so falten,
dass es wie ein Tablet verwendet werden kann. Mit
IntelCore-Prozessoren der 10. Generation lässt es sich
nicht nur gut streamen, das Gerät ist auch für Fotound
Videobearbeitung geeignet. lenovo.com
Richtig gutes Zeug
Wie duftet die Nacht deines Lebens, kannst du zeichnen,
und wie viel Schwarz ist nötig? Hier sind die Antworten.
CLUB-STIL
Flakon im Art-déco-
Stil: Er soll Ralph’s
Club in Manhattan
widerspiegeln.
PROBIEREN, NICHT STUDIEREN
ZEICHEN-ANLEITUNG VON CARTOONIST PENG
Was du schon immer übers Zeichnen wissen wolltest,
aber nicht zu fragen wagtest. Peng, preisgekrönter
Cartoonist aus Österreich, zeigt vor, wie’s geht.
Ungewöhnlich, witzig und ungeheuer ansteckend!
dumont-buchverlag.de
NIGHT FEVER
RALPH’S CLUB
So könnte die Nacht deines
Lebens duften, meint Ralph
Lauren – nach Lavandin (einer
speziellen Lavendel-Kreuzung),
Muskatellersalbei und dem
Süßgras Vetiver.
ralphlauren.de
78 THE RED BULLETIN
GUIDE
Tipps & Trends
SEELE INKLUSIVE
LEICA SL2
In ihrem Metallgehäuse (aus
Magnesium und Aluminium)
steckt alles, was das Fotografenherz
begehrt – sogar
eine Seele, wie Leica uns wissen
lässt. Abgesehen davon
wird die spiegellose Vollformat-
Systemkamera hierzulande
hergestellt.
de.leica-camera.com
DURCHBLICK
Ergebniszentriert:
lichtstarkes
Leica-Objektiv
„Mir ist, als sei mein Leib
dort stehengeblieben, wo er ihn
zum letzten Mal umarmte.“
Ein Satz zum Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen von Botho Strauß.
Aus seinem neuen Buch „Nicht mehr. Mehr nicht“. hanser.de
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Datenspeicher in
jeder Größe und
für jeden Bedarf
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HERE COMES
THE SUN
COS WOOL TEDDY COAT
Wer dem grauen Winter ein
Schnippchen schlagen will –
in diesem zitronenfaltergelben
Kuschelmantel aus weichem
Wolle-Baumwolle-Gemisch
kriegt auch der trübste Tag
genug Farbe zum Flattern.
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FÜR ALLE FÄLLE
SANDISK PROFESSIONAL
Sie sind langlebig, leistungsstark und auch noch schön
anzusehen. Die professionellen Speicherlösungen von
SanDisk lassen sich außerdem blitzschnell an alle
Bedürfnisse anpassen, soll heißen: Sie wachsen mit,
wenn’s sein muss. sandiskprofessional.com
THE RED BULLETIN 79
„Anzeige“
Adrenalinkick in den Dolomiten
Nicht nur imposante Naturkulisse: Die Dolomiten
UNESCO Welterbe sorgen mit sportlichen
Abenteuern für einen Anstieg des Adrenalinspiegels.
Frischer Schnee, schroffe Felswände
und blauer Himmel – was
wie die Beschreibung einer Postkarte
klingt, ist in den Südtiroler
Dolomiten Realität. Ein Naturparadies,
das für ruhigen, sanften und
einfühlsamen Tourismus weltweit
bekannt ist. Die imposanten Berggipfel
haben aber noch viel mehr zu
bieten – vor allem Adrenalinjunkies
und Skifans kommen hier auf ihre
Kosten: Skitourengeher können
sich in der Dolomitenregion Drei
Zinnen verausgaben, Skifahrer- und
Freestyleherzen schlagen hingegen
in der Dolomitenregion Seiser Alm
höher.
DOLOMITENREGION SEISER ALM
Sport, Spaß und Adrenalin gibt es im
westlicheren Part der Südtiroler Dolomiten
– genauer gesagt in der Dolomitenregion
Seiser Alm. Dieses Hochplateau
wird als Freestyle-Paradies in den Alpen
bezeichnet. Was wie ein Werbeslogan
klingt, kann mit knallharten Fakten belegt
werden: Kein anderer Snowpark in den
Dolomiten kann nämlich mit einer 1,5 Kilometer
langen Parkline und 70 Obstacles
punkten. Zudem ist der Snowpark einer
der größten in Europa.
Die Seiser Alm hat sich mit Rails, Kicker,
Boxen und Whoops den Freestylern verschrieben
– egal ob Anfänger oder Profis.
Letztere treffen sich im Seiser Alm Snowpark
regelmäßig zu Contests und Shows,
die mittlerweile internationale Bekanntheit
erlangt haben – ebenso wie das gesamte
Skigebiet. An Superlativen ist auch dieses
kaum zu übertreffen: Das Skigebiet Seiser
Alm/Val Gardena wurde mehrfach preisgekrönt
und zählt zu den familienfreundlichsten
in den Alpen. Ganz abgesehen vom
atemberaubenden Ausblick auf die Dolomiten
samt Schlern, Langkofel, Plattkofel und
Rosengarten, hat das Skigebiet auch ganze
175 Pistenkilometer zu bieten. Wer den Kick
sucht, wird hier fündig: Auf der Goldknopf
Piste befindet sich eine Geschwindigkeitsmessanlage,
die sogenannte Speedtrap.
Auf 260 Metern und einem Höhenunterschied
von 73 Metern wird die Geschwindigkeit
der Abfahrer mittels Lichtschranken
gemessen. 116,41 Stundenkilometer wurden
dabei bereits als Rekord angeschrieben.
Wer mit seiner Leistung auf der Speedtrap
nicht zufrieden sein sollte, kann der Ursache
mittels Videoanalyse auf den Grund
gehen. Auf der Skimovie-Strecke hat jeder
die Möglichkeit, sein ganz persönliches
Rennvideo zu drehen. Einfach anmelden,
online abrufen, analysieren und mit weiteren
Versuchen den Wettkampfhunger
stillen.
Nur Piste herunter wedeln war gestern, in
der Dolomitenregion Seiser Alm ist ganz
klar Action geboten! Egal ob Skifahrer,
Snowboarder, Freestyler oder Wanderer –
jeder Einzelne kommt in dieser atemberaubenden
Bergkulisse auf seine Kosten.
Nach einem abwechslungsreichen Skitag
werden in den Ruhepolen der Dolomitenregion,
nämlich in den Dörfern Kastelruth,
Seis am Schlern, Völs am Schlern und Tiers
am Rosengarten, die Batterien wieder aufgeladen.
Und schon hat man Energie für
einen weiteren adrenalingeladenen Skitag
auf der Seiser Alm.
3 ZINNEN DOLOMITEN
Markante Gipfel, schneebedeckte Weiten.
„Anzeige“
© Seiser Alm Marketing/F-Tech, © Harald Wisthaler, © Dalpiaz Fabian
Eine andere Art von Nervenkitzel können
Skitourengeher in der Dolomitenregion 3
Zinnen erleben: bei einer aufregenden Skitour
auf einem der unzähligen Aufstiegshänge
rund um die Drei Zinnen.
Der berühmte Gebirgsstock, der im
Westen Südtirols unweit der österreichischen
Grenze in den Sextner Dolomiten
liegt, gilt als markantes Wahrzeichen der
gesamten Gebirgsgruppe. Hier haben
Skitourengeher die Qual der Wahl – aber
auch ein doppeltes Erlebnis. Während sich
der Körper bei sportlicher Betätigung auspowert,
freut sich der Geist mit allen Sinnen
über paradiesische Rahmenbedingungen:
knirschendes Schneegeräusch in den
Ohren, den Duft von frischer Schneeluft
in der Nase und vor seinen Augen atemberaubende
Felswände zum Anfassen
fernab vom Tal. Die Anstrengung rückt
angesichts der imposanten Naturkulisse
fast in den Hintergrund. Nach dem Aufstieg
ist einem die Belohnung sicher: ein
tiefes Gefühl der Zufriedenheit und eine
Erinnerung, die sich im Inneren festhakt
– und dort auch bleibt. Und die größte
Belohnung ist wohl die Abfahrt durch den
Pulverschnee.
Die Dolomitenregion 3 Zinnen ist ein Ort,
an dem Alpingeschichte geschrieben wurde
und bis heute spürbar ist. Auch Bergsteiger-Legende
Reinhold Messner hatte
wohl die spektakulären Felsformationen
im Kopf, als er die Südtiroler Bergwelt mit
den Worten beschrieb: „Es sind nicht die
höchsten Berge der Welt, auch nicht die
gefährlichsten, aber bestimmt sind es die
schönsten.“ Eine Aussage, die den Nagel
auf den Kopf trifft – wer es nicht glaubt,
der muss sich selbst davon überzeugen!
Diese einzigartige Berglandschaft mit ihren
Ortschaften Sexten, Innichen, Toblach,
Niederdorf und Prags wurde 2009 nicht
umsonst zum UNESCO Welterbe ernannt.
Die Dolomitenregion 3 Zinnen ist schon
allein deshalb eine (Ski-)Tour wert!
Eines muss auch den erfahrensten Tourengehern
hierbei aber bewusst sein: Respekt
vor der Natur und ihren Kräften steht an
erster Stelle. Wer in der eindrucksvollen
Bergwelt unterwegs ist, benötigt eine gute
Kondition, skifahrerisches Können und passende
Ausrüstung. Kenntnisse über Wetter-
und Schneeverhältnisse sind in den
Bergen ebenfalls unabdingbar. Deshalb ist
es wichtig, vor dem Start den Wetter- und
Lawinenbericht zu konsultieren und nur
mit entsprechendem Equipment zu starten
– im besten Fall in Begleitung eines Bergführers.
Und dann: Mitten hinein ins echte,
unverfälschte Dolomitenerlebnis!
Die Seiser Alm bietet ein
einzigartiges Bergpanorama mit
dem unverwechselbaren Profil
des Schlerns und der größten
Hochalm Europas.
seiseralm.it
Im Winter verwandelt sich
die Gegend rund um die
markanten Drei Zinnen in ein
Skitourenparadies inmitten der
Dolomiten UNESCO Welterbe.
dreizinnen.com
GUIDE
Geschenke
Kaffee wie vom Barista
DeLonghi La Specialista Maestro
Das richtige Mahlen, die optimale Dosierung, die ideale
Temperatur: Die perfekte Tasse Kaffee gelingt auf Knopf
druck – mit der Siebträgermaschine La Specialista Maestro.
Die macht das alles nämlich selbst. Das Einzige, was Sie
tun müssen, ist genießen. Preis: 1299 Euro, delonghi.com
FESCH
Das Stahlgehäuse
misst 360 × 350
× 450 mm (inkl.
Bohnenbehälter)
Frohes Fest!
Eine Uhr mit Formel-1-Technologie, ein unverwüstliches Handy,
ein flotter Roller: Hier sind 14 Geschenktipps für das Christkind in dir.
82 THE RED BULLETIN
X-MAS
LEICHTES GEPÄCK
BROMPTON P-LINE
Das Faltrad von Brompton ist Kult: Es
bringt einen flott durch die Stadt (die neue
P-Line wiegt nur 9,65 Kilo!), lässt sich
rasch zu einem handlichen Paket falten
und findet so auch in vollen Zügen Platz.
Preis: ab 2550 Euro, de.brompton.com
TRAGBAR
Zusammengelegt
passt das Rad
auch in den kleinsten
Kofferraum.
HALLO, ABENTEUER!
MOTOROLA DEFY OUTDOOR-HANDY
Wenn sich Smartphone-Experte Motorola
und Outdoor-Spezialist Bullitt zusammentun,
kommt ein kleiner großer Abenteurer
raus: Ob Stürze oder Wasser, Temperaturschwankungen
oder extreme Luftfeuchtigkeit
– dieses Smartphone hält alles aus.
Preis: 329 Euro, motorolarugged.com
HOCH HINAUS
THE NORTH FACE HIMALAYAN PARKA
Das Original unter den Kaltwetterjacken
kehrt als Teil der „More Than a Jacket“-
Kollektion zurück. Die übergroße Jacke
wurde einst für die Erkundung des Hochgebirges
entwickelt, ihre Stärke ist die
kuschelige und winddichte Daunenfüllung.
Preis: 360 Euro, thenorthface.de
DIE BRILLE ZUM HÖREN
FAUNA AUDIO
Die neuen Brillen von Fauna verbinden Hightech
mit schickem Design. Die getönten
Gläser schützen die Augen vor Blaulicht,
mit den Bügeln kann man Musik hören
und Telefonate führen, alles ohne Kabel
und mit freien Ohren. Preis: ab 199 Euro,
wearfauna.com
THE RED BULLETIN 83
X-MAS
SMARTER GENIESSEN
NESPRESSO VERTUO
Die Maschine, die mitdenkt: Die Nespresso
Vertuo liest den Barcode auf den Kapseln
ab und passt die Maschineneinstellung
dementsprechend punktgenau an. Egal
ob Espresso oder Gran Lungo: Die exakt
richtige Menge Wasser für jede Kapsel liefert
Kaffee genuss auf höchstem Niveau.
Preis: ab 149 Euro, nespresso.com
TEMPO-LENKER
Dank großer
Anzeige weißt du
immer, wie schnell
du unterwegs bist.
Rock ’n’ Roll
Ultron Air EKFV E-Scooter
Der Kick-Scooter verbindet die leise und elektrische Art
der Fortbewegung mit jeder Menge Fahrspaß. Zugelassen
für die Straße, bringt Sie der Scooter mit einer Reich weite
von bis zu 25 Kilometern und einer Höchstgeschwindigkeit
von 20 km/h ans Ziel. Preis: ab 499 Euro, a-to.com
COOLER KÜHLEN
LIEBHERR MYSTYLE KÜHLGERÄTE
Puristischer Kühler, digitaler Frischeprofi
oder doch lieber ein Alleskühler? Liebherr
hat Kühlgeräte entwickelt, die auf den
ganz persönlichen Geschmack abgestimmt
werden können. Da ist alles möglich –
egal welche Farbe, ob individuell bedruckt
oder mit spezieller Ausstattung.
Preis: ab 650 Euro, liebherr.com
DIE BESTEN MOMENTE
CEWE FOTOBUCH XL
Wir alle haben tausende digitale Fotos,
doch die wirklich wichtigen sind es wert,
ausgedruckt zu werden. Das geht jetzt
noch schöner: Das Fotobuch XL liefert
Ihre besten Aufnahmen in bester Qualität.
Preis: ab 42,90 Euro, cewe.de
84 THE RED BULLETIN
GUIDE
Geschenke
GESUND DURCH
DEN WINTER
SPERMIDINELIFE ® IMMUNITY KAPSELN
Höchste Zeit, unserem Körper in der
kalten Jahreszeit extra Unterstützung zu
gönnen: Das Nahrungsergänzungsmittel
Immunity+ stärkt das Immunsystem auf
Basis von Vitamin C und Zink, Weizenkeimextrakt
und Shiitake-Pilz-Pulver.
Preis: 77 Euro, spermidinelife.com
AB AUF DIE PISTE …
HEAD KORE 111
… und am besten mit dem richtigen Ski:
Der neue Kore 111 von Head ist leicht und
wendig. Seine Qualitäten basieren auf
einer Konstruktion aus Graphen, Karubaholz
und mehrfachen Carbonschichten.
Preis: 800 Euro, head.com
WO SIND DIE FISCHE?
GARMIN STRIKER CAST
Helfen Sie Ihrem Angelglück auf die
Sprünge! Der Striker 4-Fishfinder ist ein
Echolot zum Auswerfen (im Bild links),
das sich via App mit dem Smartphone verbindet.
Und verlässlich anzeigt, wo sich
unter Wasser die dicken Fische verstecken.
Preis: 149 Euro, garmin.com
Wendig über Stock und Stein
Canyon Signature Pro MTB Langarmtrikot
Mit dem atmungsaktiven MTB-Herrentrikot ist man für
jedes Trail-Abenteuer perfekt gerüstet: Der Polyester-
Elasthan-Mix transportiert die Feuchtigkeit schnell vom
Körper ab, die Mesh-Ärmel sorgen für Atmungsaktivität
und Bewegungsfreiheit. Preis: 59,95 Euro, canyon.com
Höchste Zeit
Casio Edifice – Scuderia AlphaTauri
Die Formel 1 verbindet Leidenschaft mit technologischer
Brillanz, und Casio weiß das mit seiner Partnerschaft mit
dem Rennteam Scuderia AlphaTauri zu nutzen: Für die
neue Uhr werden die 6K-Carbonfasern der Rennwagen
verwendet. Preis: ab 249 Euro, edifice-watches.eu
THE RED BULLETIN 85
ERLEBEN, WAS INSPIRIERT
FOTO: JAKE MAROTE / RED BULL CONTENT POOL
ABSEITS DES ALLTÄGLICHEN
EINFACH GUT LEBEN
FOTO: GREGOR KUNTSCHER // ASA12
FOTO: GREGOR KUNTSCHER // ASA12
DIE SCHÖNHEIT DER NATUR ENTDECKEN
ZEIT FÜR EIN GUTES LEBEN
FOTO: GREGOR KUNTSCHER // ASA12
DIE WELT ENTDECKEN UND BEGREIFEN
Inspirierende Geschichten vom Gelingen:
auf Papier, in bewegten Bildern, zum Hören und Staunen.
FOTO: GETTY IMAGES
magazinabo.com/inspiration
B O U L E V A R D D E R H E L D E N
MICHAIL SCHOLOCHOW
DAS VERSPRECHEN
Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten
inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit.
Folge 9: Ein Literatur-Nobelpreisträger und seine heldenhafte Lebenslüge.
Es gibt einfaches Heldentum und kompliziertes;
diese Geschichte berichtet
von kompliziertem. Angenommen,
es war so, wie ich es hier erzählen
möchte, dann wäre der Schriftsteller
Michail Alexandrowitsch Scholochow ein
selbstloser und aufopferungsvoller Held
gewesen. Seine Geschichte gehört allemal
zu den spannendsten der Schriftstellerei
im 20. Jahrhundert und er selbst zu jenen
widersprüchlichen Persönlichkeiten, wie
sie nur Diktaturen hervorbringen. Ich weiß,
man kann die Geschichte dieses russischen
Schriftstellers auch ganz anders erzählen,
nämlich als die Geschichte eines abgefeimten
Diebes von geistigem Eigentum, eines Plagiators,
eines Mannes, der sich viel Ehre und Ruhm ergaunert
hat, indem er das Werk eines anderen als das seine
ausgab. Lange Zeit wurden die Vorkommnisse auf diese
Weise dargestellt. Der Mann war immerhin ein Günstling
Stalins; ihm etwas Gutes zu lassen wäre in den
Augen vieler gewesen, als würde man ein mörderisches
System gutheißen. Inzwischen ist sich die Wissenschaft
ziemlich sicher, dass der Spott und die Verdammung,
denen der Künstler lange Zeit, vor allem im Westen,
ausgesetzt war, auf falschen Informationen beruhten.
Ich nehme mir die Freiheit, die Geschichte als eine
Heldengeschichte zu erzählen – was ist Wahrheit …
Der Nobelpreis für Literatur 1965 wurde Michail
Scholochow für seinen Roman „Der stille Don“ verliehen.
In den meisten Fällen vergibt das Komitee
den Preis für das Lebenswerk eines Autors, diesmal
stand in der Urkunde, dass die Ehrung ausschließlich
das genannte vierbändige Werk meine. Der Roman
entstand zwischen 1927 und 1940, das Erscheinen des
MICHAEL KÖHLMEIER
Der Vorarlberger
Bestsellerautor gilt
als bester Erzähler
deutscher Zunge.
Zuletzt erschienen:
der Roman „Matou“,
960 Seiten,
Hanser Verlag.
letzten Bandes lag also schon fünfundzwanzig
Jahre zurück. Auch den Mitgliedern des Komitees
war die Diskussion über die Autorenschaft
des Werkes bekannt. Noch bevor der
Roman zur Gänze der Öffentlichkeit vorlag
– entweder weil er noch nicht geschrieben
oder noch nicht vollständig herausgegeben
war –, kursierten Gerüchte, Scholochow
sei nicht, könne nicht der Autor sein. In
dem Buch wird auf unvergleichlich sinnliche
Weise das Leben der Donkosaken beschrieben,
besonders im ersten Teil, sodass
alle Kritiker überzeugt waren, das könne,
erstens, nur jemand schreiben, der selbst
in diesem Teil der Welt lebte oder lange
dort gelebt hatte; zweitens, einer, der ein
lebenserfahre ner Mann ist, denn was beschrieben wird
und wie es beschrieben wird, zeuge von großer Weisheit
und gefestigter Lebenssicht.
Scholochow war, als der erste Band erschien, ge rade
einmal dreiundzwanzig Jahre alt, und unter den
Donkosaken hatte er nie gelebt. Seine Mutter war
die Witwe eines Kosaken, ja, aber ob das ausreichte,
um ein solch breites Panorama zu entwerfen? Scholochow
hatte kaum die Schule besucht, eine genügende
literarische Bildung durfte also auch nicht vorausgesetzt
werden. Mit dreizehn Jahren bereits schloss er sich den
Bolschewiki an und zog in den Bürgerkrieg. Nach dem
Krieg arbeitete er in verschiedenen Häfen und Steinbrüchen,
vorübergehend als Buchhalter, was damals
jeder werden konnte, der alle Buchstaben kannte. Mit
einundzwanzig Jahren heiratete er die Tochter eines
Kosakenführers. Viel Gelegenheit, sich mit dem Leben
der Menschen zu beschäftigen, die in seinem Buch so
plastisch beschrieben werden, hatte er also nicht.
MICHAEL KÖHLMEIER BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT GETTY IMAGES (3)
92 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 93
B O U L E V A R D D E R H E L D E N
Die Heldengeschichte geht so: Im Jahr 1920 trifft
der gerade einmal fünfzehnjährige Michail Scholochow
in einem Lazarett Fjodor Dmitrijewitsch
Krjukow. Der Mann ist schwer verwundet und hat
zudem Typhus. Außerdem war er Offizier der Weißen
Armee, die im Bürgerkrieg gegen die Bolschewiki, also
die Rote Armee, gekämpft hatte. Um so einen sorgt man
sich in einem roten Lazarett nicht. Im Zivilberuf ist
Krjukow Schriftsteller. Die beiden unterhalten sich, sie
sind sich sympathisch, Krjukow soll einen mächtigen
Eindruck auf den jungen Scholochow ausgeübt haben,
dieser habe zu ihm aufgeblickt wie zu einem Vater.
Manche glauben, erst die Begegnung mit Krjukow habe
in dem späteren Nobelpreisträger den Wunsch geweckt,
selbst Schriftsteller zu werden.
Andere gehen noch weiter: Fjodor Krjukow wusste,
dass er bald sterben wird. Er hatte Vertrauen in den
jungen Mann, mit dem er sich in den Nächten unterhielt.
Krjukow hatte viele Jahre an einem Roman geschrieben,
hatte ihn noch nicht beendet, er war glücklich über sein
Werk, es war sein Lebenswerk. Aber er wusste, dass der
Roman eines Weißen niemals der Öffentlichkeit übergeben
würde, nicht in einem Land, in dem die Kommunisten
regierten. Krjukow – so diese Version der
Geschichte – übergab das Manuskript seinem jungen
Freund, er vertraute ihm das Manuskript an mit der
Bitte eines Sterbenden, dafür zu sorgen, dass es veröffentlicht
wird. Ja, es wurde sogar spekuliert, es sei
Krjukows Idee gewesen, dass Scholochow das Werk
zu einem Ende führe, sie hatten ja intensiv darüber
gesprochen, und dass er es dann unter seinem Namen,
dem Namen eines Soldaten der Roten Armee, veröffentliche.
Krjukow habe sein Werk über seinen Namen gestellt.
Und Scholochow habe am Sterbebett des Dichters
geschworen, dessen letzten Wunsch zu erfüllen.
Bleiben wir bei dieser Version. Scholochow war zu
jung und zu ungebildet, um die Qualität des Werkes
beurteilen zu können. Er hatte auch keine Ahnung,
wie das Verlagswesen funktionierte. Wahrscheinlich
hatte er damals noch kein einziges Buch gelesen. Vielleicht
sogar noch nie ein Buch in der Hand gehabt. Fjodor
Krjukow starb. Sein Manuskript verwahrte Scholochow.
Was sollte er tun? Krjukow hatte recht, niemand würde
das Buch eines Weißen verlegen. Also gab er sich, wie
ihm Krjukow geraten hatte, als der Autor aus.
Er glaubte nicht, dass der Schummel irgendwelche
Folgen haben würde. Wer interessierte sich in diesen
Zeiten schon für einen Roman! Also trug er den ersten
Teil des Manuskripts zu einem kleinen Provinzverlag
und gab sich als der Autor aus. Er meinte, damit habe er
Es war ihm klar, dass
ein Leben, das auf einer
Lüge aufbaut, jederzeit
zusammenbrechen kann.
sein Versprechen eingelöst. In dem Verlag aber war ein
Lektor, der die Qualität des Romans erkannte. Dieser
Lektor hatte selbst Ambitionen, eine kleine Provinzdruckerei
war ihm nicht genug. Und er meinte auch,
für diese Entdeckung sei nur ein großer, potenter Verlag
in der Hauptstadt das Richtige. Er bewarb sich beim
größten Verlag in Moskau um die Stelle des Leiters,
bekam sie und verlegte als sein erstes Buch „Der stille
Don“ von Michail Alexandrowitsch Scholochow. Das
Buch wurde ein sensationeller Erfolg.
Nun befand sich der junge Scholochow in einem
seelischen und in einem öffentlichen Konflikt – worüber
zu befinden viel Einfühlungsvermögen nötig
ist, um nicht ein vorschnelles Urteil zu fällen. Er, Scholochow,
war ein verdienstvoller Genosse, inzwischen
nicht nur Mitglied der KPdSU, sondern auch ein Funktionär.
Wenn einer wie er ein Buch schrieb, dann wurde
es auch verlegt. Also war „Der stille Don“ veröffentlicht
worden. Er hatte sein Versprechen eingelöst, er hatte
dafür gesorgt, dass der Roman seines Freundes verlegt
wurde. Dazu war es notwendig gewesen, zu lügen.
Was hätte er weiter tun sollen? Was, nun, nach dem
großen Erfolg? Sich stellen? Zugeben, dass nicht er der
Autor ist, sondern ein ehemaliger Offizier der Weißen
Garde, der gegen die Rote Armee gekämpft hatte?
Damit hätte er nicht nur erreicht, dass die Auflage
eingestampft worden und der Roman für alle Zeiten
verschwunden wäre, sondern er hätte auch sein eigenes
Leben in Gefahr gebracht, als unzuverlässiger Kollaborateur
wäre er womöglich hingerichtet worden.
Er spielte das Spiel weiter. Vielleicht glaubte er, ein
zweiter Band würde nicht mehr so viel Aufsehen erregen,
das ist ja oft der Fall. Das Gegenteil trat ein.
Der zweite und dann auch der dritte Band waren noch
größere literarische Sensationen. Und nicht nur das.
Stalin und seine Funktionäre stilisierten Scholochow
zum Idealbild des sozialistisch-realistischen Schriftstellers
sowjetischer Prägung.
Im vierten und letzten Band fand diese Tendenz
ihren Ausdruck – und die Literaturkenner waren enttäuscht.
Mehr als enttäuscht. Das Gerücht sagt, diesen
Band habe Scholochow selbst geschrieben oder nach
den inhaltlichen Maßgaben Krjukows vollendet, allerdings
ohne dessen Genie.
Was das Nobelkomitee in Stockholm trotz aller
Gerüchte dazu veranlasste, den Preis an Michail
Scholochow zu vergeben, auch darüber kann
man nur spekulieren. 1965 war der Kalte Krieg an seinem
Höhepunkt. Die Kubakrise lag gerade erst drei
Jahre zurück, der Schrecken eines Atomkriegs zwischen
den USA und der UdSSR saß noch tief. Vielleicht meinten
die Mitglieder des Komitees, mit ihrem Entscheid zur
Entspannung beitragen zu können. Wir wissen es nicht.
Michail Scholochow hatte ein Versprechen gegeben,
und er hatte das Versprechen gehalten. Sehr früh war ihm
bewusst, dass dieses Versprechen sein ganzes eigenes
Leben bestimmen wird. Und ihm wird auch klar
gewesen sein, dass ein Leben, das auf einer Lüge auf
94 THE RED BULLETIN
Vielleicht bekam er den
Nobelpreis nur, weil 1965
der Kalte Krieg an seinem
Höhepunkt war.
baut, jederzeit in sich zusammenbrechen kann. Mit
Fluch und Schmach. Zehn Jahre nach der Vergabe des
Nobelpreises wurde Scholochow vor laufender Kamera
hart mit dem Vorwurf des Plagiats konfrontiert. Da
brach er zusammen, weinte und sagte: „Richten Sie
bitte Ataman Glaskow aus, wie sehr ich mich schäme.
Ich bitte die Kosaken, mir zu verzeihen.“
Die Sache ist dennoch nicht eindeutig. Alles bleibt
immer Gerücht. Die Aufnahmen könnten getürkt
sein, den Frager sieht man nicht. Und so weiter.
Die Wissenschaft der literarischen Stilanalyse kam zu
konträren Urteilen. Die einen sagten, nein, Scholochow
hat nicht gelogen, er ist der Autor von „Der stille Don“,
seine späteren, spärlichen Werke sind zwar unvergleichlich
schlechter, aber er ist nicht der einzige Autor, den
das Talent schon in jungen Jahren verlassen hat. Andere
Spezialisten glaubten zu wissen, dass Scholochow sich
alles erschlichen hat: die Ehre, das Geld, den Preis.
Wie auch immer. Den Roman gibt es. „Der stille Don“
gehört zu den ganz großen literarischen Werken des
20. Jahrhunderts. Gleich, wer ihn geschrieben hat,
gleich, wie er gerettet wurde, er ist da, wir dürfen ihn
lesen. Ich möchte sagen: Michail Alexandrowitsch
Scholochow ist ein Held. Er hat uns etwas Schönes gegeben
– oder an uns weitergegeben –, und er hat dafür
sein Leben auf die Waage gelegt.
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